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Hausgemachte; Naturkatastrophen

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Tatsache ist, daß die massiven Eingriffe in unsere Umwelt auch das Gefahrenpotential erhöhen. Die Versicherungen jedenfalls reagieren mit Prämienerhöhung. Ein alpines Land wie Osterreich ist von Gefährdungen besonders betroffen. Hier stößt die heute gängige Vorstellung, der Mensch habe die Dinge im Griff, an Grenzen. Es rächt sich zunehmend, daß man auf die besonderen, lokalen Gegebenheiten immer weniger Rücksicht nimmt.

Im alpinen Raum gab es jedenfalls die längste Zeit die Tradition, landschaftsbedingten Gefahren mit Naturverstand möglichst auszuweichen, mit Augenmaß zu siedeln und zu wirtschaften. Die entfesselbaren Kräfte standen ja in keinem Verhältnis zu den Schutzmöglichkeiten.

Auch heute sei mit einem naturgegebenen Katastrophenpotential zu rechnen, stellt Herbert Aulitzky (Universität für Bodenkultur, Wien) klar. So entstehe im nicht von der Vegetation bedeckten Kalkgebirge dauernd durch Verwitterung Lockermaterial, das nur darauf wartet, talwärts transportiert zu werden. Bei den starken, für das Gebirge typischen Begenfällen geschieht dies dann auch. Steile Hänge zusammen mit hohen Schneelagen bringen I Lawinengefahren. Auch sind die Alpen als junges Gebirge durchaus nicht von Erdbeben verschont.

Viele dieser Gefahren werden bagatellisiert, weil sie nur in großen Zeitabständen auftreten. Die Folge: unvorsichtige Nutzung dieser Landschaft und höhere Anfälligkeit für Katastrophen: Aulitzky schätzt, daß rund zwei Drittel der Katastrophenschäden heute auf menschliche Ei n wirku ngen zurückzuführen sind.

Besonders schwer wiegen Versäumnisse in der Land- und Forstwirtschaft, im Baugewerbe und im Tourismus. Ihre Folgen sind vielfältig:

■ Lawinen: infolge überalteter Bannwälder und geringer Baumdichte auf steilen Hängen,

■ Muren und Hochwässer: durch Kahlschläge auf -steilen Hängen, Monokulturen, Forststraßen, viele Skipisten,

■ Windwürfe: Schneisen für Lifte, Skipisten, Forststraßen.

Zweifellos läßt sich durch technische Maßnahmen (Lawinen- oder Wildbachverbauung) die Bedrohung verringern, ausschalten jedoch nicht. Einige Beispiele illustrieren, wie sich Versäumnisse auswirken können:

Im März 1990 zog ein Sturm über Europa. Er produzierte insgesamt 120 Millionen Festmeter Bruchholz. Am meisten betroffen war in Salzburg der Flachgau typischerweise in standortwidrigen Fichtenbeständen: Auf Höhen unter 800 Metern und nassen Böden erlitten sie weit größere Schäden als angepaßte Mischbestände. Ein richtiger Waldbau hätte den Schaden zwar nicht verhindert, aber erheblich verringert.

Nicht standortangepaßte Fichten -bestände waren auch 1958 in den stei-rischen Fischbacher Alpen verantwortlich für einen Erdrutsch von 280 Hektar Fläche. Achtstündige, schwere Begenfälle lösten diese Katastrophe, die fünf Menschenleben gefordert hat, in dem fast zu 100 Prozent bewaldeten Jasnitzgraben aus.

Gerade im Westen Österreichs, vor allem in unterbewaldeten Regionen, spielt die Wildbachtätigkeit eine große Rolle. Der Wald hat eine wichtige Pufferfunktion, was den Wasserhaushalt anbelangt. Er verdunstet viel Wasser (ein Hektar Fichtenbestand 43.000 Liter pro Tag) und fängt bis zu einem Viertel der Schneemenge ab. Wurzeln und I lumus halten das Wasser zurück. Wo der Wald verschwindet, rinnt mehr Wasser oberflächlich ab.

Ein Reispiel für die Folgen des Waldverlustes: der „Schesatobcl“ bei Rludenz in Vorarlberg. Vor 200 Jahren floß dort ein Bächlein. 1796 kam es zu einem Kahlschlag des Waldes auf 20 Hektar. 1802 ging schon die erste Mure ab und seither weitere 15. 'Trotz Investitionen von hunderten Millionen Schilling bildete sich ein 'Tobel von 0,6 Quadratkilometern Fläche. Auf dessen Schwemmkegel wurden in den letzten Jahrzehnten auch noch 260 Einfamilienhäuser gebaut, die zusätzlicher Schutzbauten bedürfen.

Problematisch ist auch die Anlage mancher Skipisten. Sie können örtlich größere Schäden zur Folge haben, rinnt doch aus Pistenrodungen eine zwei- bis sechsmal so große Wassermenge wie vorher aus dem Wald.

Typisch dafür

ist das Olympia-Gelände in der Axamer Lizum. Für die Slalompisten (15 Hektar) mußte man Wald roden. Schon nach ■ einem Jahr (1965) wurde im Gefolge von Begenfällen ein acht Meter tiefer Graben ausgeschürft und das Gelände um das Olympia-Hotel bis zu einem Meter hoch vermurt. Ähnliches ereignete sich 1977 und 1983.

Obwohl immer mehr Geld für Schutzbauten ausgegeben wird, mehren sich die Katastrophenfälle durch unvernünftiges Bauen im Tal. Jahrhunderte hindurch legte man Siedlungen nur an den sichersten Plätzen in den Tallagen an. Da nun seit einigen Jahrzehnten alles machbar erscheint, wird auch außerhalb dieser Sicherheitszonen, näher an Gefahrenquellen gebaut. Daher sind Kata-strophen vorprogrammiert - und zwar schon bei relativ kleinen, früher, unbedeutenden Niederschlägen.

Beispiel: Längenfeld im Ötztal, aus zwei Örtsteilen bestehend, die auf dem Schwemmkegel des Fischbaches Abstand zu diesem eingehalten hätten - bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Unvorsichtigkeit einsetzte. Ein Teil des Waldes zwischen den Orteilen wurde in Bauland umgewidmet. 1965 kam esi zur absehbaren Ver-murung (in den letzten 150 Jah-ren hatte es acht schwere Hochwässer gegeben), die 50 Wohnhäuser und 40 Wirtschaftsgebäude in Mitleidenschaft zog.

Beispiel Saalbach-Hinterglemm im Juli 1987: Die Saalach führte Hochwasser, das im Durchschnitt nur alle 60 Jahre eintritt: Ein Toter, zwei Verletzte, 18 zerstörte, 15 beschädigte Brücken, 5,5 Kilomter zerstörte und elf Kilometer beschädigte Straßen und Wege, 140 beschädigte Gebäude ...

Ein wichtiger Grund dafür war die Bebauung im Gefahrenbereich: 15 Prozent (57 Wohngebäude) in der roten, 20 Prozent in der gelben Zone, davon viele Gebäude erst in der Dekade vor dem Unglück errichtet.

Problematisch sind auch die Verkehrsbauten durch folgende Effekte:

■ Die Versiegelung führt dazu, daß Begenwasser nicht in den Boden eindringt, sondern oberflächlich abrinnt.

■ Das Anschneiden von Hängen und Aufbringen von Schüttungen begünstigen Hanganbrüche und Butschungen.

■ Dammschüttungen verringern' die Hochwasser-Bückhalteräume und erhöhen damit Hochwasserwellen.

■ Nicht ausreichend dimensionierte Brücken erschweren das Abrinnen von I lochwasser, begünstigen dessen Austreten und damit Vermurungen.

Vorsorgemaßnahmen sind überfällig: „Dieses weithin vorhandene ,schlummernde' Katastrophenpotential der Straßen, Forst- und Güterwege wäre zeitgerecht - vor den nächsten landschaftstypischen Starkregenfällen, die sicher kommen werden - zu sanieren.“ (Aulitzky)

Seit Verkehr und 'Tourismus ins Hochgebirge vorgedrungen sind, ist auch die Lawinenproblematik zum Sorgenkind geworden. 5.800 Lawinengänge gefährden Siedlungen in Höhenlagen, Straßen, Bahnstrecken.

Schwere Katastrophen haben glücklicherweise zu restriktiveren Gesetzen und zu größerer Vorsicht ge führt: Im März 1975 begrub eine Lawine in Mallnitz eine Bungalow-Feriensiedlung (acht Tote) und im Baum Kitzbühel sowie im Montafon forderten Lawinenabgänge 21 Tote.

Nunmehr sind Wildbach- und Lawinen-Gefahrenzonenpläne (hier ist Österreich international führend) eine wichtige Grundlage aller neuen Flächenwidmungspläne geworden. Damit wird zwar der Neubau in roten Zonen verhindert. Aber immer noch gibt es Häuser in Gefahrenzonen.

Wie ernstzunehmen solche Abgrenzungen sind, wurde beim Lawinenabgang vom März 1988 in St. Anton deutlich. Dort wurden sogar Häuser in der (weniger gefährdeten) gelben Zone schwer beschädigt. Die Katastrophe forderte sieben Menschen leben. Zusammenfassend stellt Aulitzky fest: },Die Bisken haben im allgemeinen deshalb zugenommen, weil aus den Oberläufen der Gewässer mehr Wasser und Geschiebe zu erwarten ist und im Unterliegerbereich weit in die natürlichen Gefahrengebiete vorgeschobene Siedlungen, Verkehrsstrukturen und Freizeiträume das Land und die Gesellschaft 'empfindlicher gegenüber Naturereignissen gemacht haben.“ Näheres siehe:

„ Naturkatastrophen hausgemacht? “ Herausgegeben von der „Osterreichischen Gesellschaft für Ökologie“ (Hammer-Purgstall (lasse 8, 1020 Wien), öS 150,-

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