6617521-1955_41_05.jpg
Digital In Arbeit

Maß man für den Weißensee sehwavz sehen ?

Werbung
Werbung
Werbung

Kärnten Ist eines der schönsten Alpenländer überhaupt. Man wird auch in der Schweiz lange nach einem Berggebiet ähnlicher Größe suchen, in welchem die Natur alle Schönheiten so wohlgeordnet, sorgsam verteilt, in melodischer Steigerung zusammengefügt hat. Die meisten Alpenländer haben ja keine melodische, sondern mehr eine rhythmische Landschaft, in der die Größartigkeit der Bergkulisse den Ausschlag gibt.

Im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte sind, wie auch sonst überall im Alpengebiet, von Barberine bis zu den Weißenfelser Seen, aus den verschiedensten, stets aber rein wirtschaftlichen Gründen arge Zerstörungen von Naturschönheiten erfolgt. Sie aufzuzählen, hat keinen Sinn, da Unwiederbringliches eben nicht wiedergegeben werden kann. Höchstens könnte man noch dort, wo die Arbeiten erst im Anfangsstadium stehen, noch Wünsche des Naturschutzes äußern. (Muß es zum Beispiel wirklich sein, daß der Lüner See in Vorarlberg im Zuge des neuen Illwerke-Kraftwerkbaues seine herrliche blaue Farbe für immer verliert?) Wohl aber kann man rechtzeitig warnen, solange Ver-schandelungspläne noch im Anfangsstadium itehen.

Solche Verschandelungspläne sind jetzt in Kärnten ernsthaft aufgestellt und bedrohen die letzten ganz großen Naturschönheiten nicht nur Kärntens, sondern ganz Oesterreichs.

Die „Volkszeitung“ (Klagenfurt) veröffentlichte im August 1955 ein auch in den anderen Kärntner Zeitungen wiedergegebenes Projekt des Fremdenverkehrszweckverbandes Weißensee, das nach dieser Meldung auch vom zuständigen Kärntner Landesrat Karisch „wärmstens“ unterstützt wird (was wir aber bei einem so heimatverbundenen Mann doch nicht hoffen wollen), wonach zwischen Techendorf am Weißensee und Mosel am Ostufer dieses Sees eine Landesstraße geschaffen werden soll, die über das Südufer geht. Nun ist der Weißensee wohl mit Abstand der schönste aller großen Alpenseen, den Silser See im Oberengadin vielleicht ausgenommen. Dem Silser See hat er aber voraus, daß man in ihm auch baden kann, denn trotz seiner Höhenlage von 930 Meter erreicht er in jedem Sommer, sogar im diesjährigen kalten Sommer, eine Temperatur von 20 bis 21 Grad Celsius. Sein fjordartiger Charakter im Ostteil, zwischen dem Latschur (2236 m) und Hochstaff (2218 m) im Norden und dem Bergzug der Laka (18 51 m) im Süden, duldet dort keinerlei Bauten und Siedlungen, da die felsigen Berghänge mit ihren unberührten Wäldern direkt in den See abfallen, der von einem zauberhaften Grün ist, wie man es sonst in unseren Alpen nur vom Grünen See bei Oberort und vom Wasser der Salza her kennt. Am Westufer allerdings, das breite Uferstreifen hat, sind eine Reihe sehr schmucker Dörfer (Techendorf, Gatschach, Neusach und Oberdorf), die den immer zahlreicher werdenden Fremden Unterkunft in allen Preis- und Qualitätskategorien geben. Dazu kommt noch das etwas zu primitive, aber landschaftlich den schönsten Teil des Sees beherrschende Naggl und Ortsee am Ostufer, wo bisher so gut wie alles auf schlechten Barackenstil abgestellt ist. Dazwischen liegen rund zehn Kilometer unberührter Bergnatur. Am Südufer geht nicht einmal ein Fußweg dem Llfer entlang, am Nordufer führt über die hübsche Jausenstation Ronacherfels ein teilweise für sehr Bergungewohnte nicht ganz ungefährlicher Steig nach

Ortsee (zweieinhalb Gehstunden von Neusach bis Ortsee). Dieser Steig ist höchst romantisch. Wer ihn nicht benützen will, fährt mit dem Motorschiff und genießt die schöne Bergnatur. 1956 wird endlich auch ein neues Motorschiff mit weit größerem Fassungsraum in Dienst gestellt werden. Man möchte meinen, daß dem Fremdenverkehr damit Genüge getan ist.

Nun ist es allerdings richtig, daß man eben nur auf dem erwähnten Fußsteig für Schwindelfreie oder zu Schiff vom Ostufer zu den Kurorten im Westteil des Seegebietes gelangen kann. Mit Auto kommt man an den Weißensee von Greifenburg her auf sehr steiler Straße (20 Prozent Steigung) oder von Hermagor über Weißbriach auf ebenfalls steiler und vor allem durchweg in sehr schlechtem Zustand befindlicher Straße. Man muß die Postautolenker bewundern, wie sie die steilen Kurven meistern. Zum Ostufer gelangt man von Paternion im Drautal über Stockenboi-Mösel oder aus dem Gailtal über die Windische Höhe und den

Farchtner See auf denkbar schlechten, außerdem aber langen, zeitraubenden Straßenstrecken (Paternion—Ortsee, 25 km, St. Stefan an der Gail—Ortsee, 20 km). Eine durchgehende Straßenverbindung längs des Sees setzt also voraus, daß erst einmal die abenteuerlich schlechten Ostzufahrststraßen ausgebaut werden (am Farchtner See gibt es „Straßen“stücke, die nur aus Wildbachgeröll bestehen). Das würde, einen entsprechend ausgebauten Schiffsverkehr nach Techendorf vorausgesetzt, vollständig genügen, um dem wirklich schönheitsdurstigen Besucher den See zu erschließen. Warum man aber eine Autoaussichtsstraße zum Durchrasen bauen will, erscheint völlig unklar. Begründet wird dies in der erwähnten Zeitungsmeldung damit, daß „hauptsächlich“ Deutsche den Weißensee besuchen und deren Zahl heuer um 50 Prozent angestiegen sei. Das stimmt. Aber abgesehen von der Frage, ob ein weiteres Ansteigen der Besucherzahl gewisser, für das Wesen anderer Länder verständnisloser deutscher Auto-Feriengäste, die leider einen zu hohen Prozentsatz dieser Gäste ausmachen, wünschenswert ist oder nicht, erweist man gerade den in- und ausländischen Freunden des Weißensees mit einer solchen Autostraße einen schlechten Dienst. Denn diese kommen eben wegen der Unberührtheit und einmaligen Schönheit der Osthälfte dieses zauberhaften Bergsees. Eine Autostraße längs dem Ufer dieser östlichen Seehälfte (10 km) kostet wegen der notwendigen Fels- und Kunstbauten rund 30 Millionen Schilling. Das Land Kärnten mit seiner ohnedies prekären Finanzlage täte sicher besser, statt so teure Neubauprojekte zu finanzieren, die im Vergleich mit den westlichen Bundesländern hier vielfach ungemein schlechten Landes-Nebenstraßen (Lesachtalstraße, Untere Gailtal-straße, Gurktalstraße u. v. a.) nicht bloß in ausgewählten Teilstücken, sondern systematisch von einem Ende zum anderen allmählich um-und auszubauen. Als besondere Kulturlosigkeit wird man es aber empfinden, daß die derzeit für Kraftfahrzeuge gesperrte, mit stiller Duldung aber von leichteren Personenkraftwagen befahrene berühmte Holzbrücke über den westlichen Teil des Weißensees nach der erwähnten Mitteilung durch eine Brücke aus Stahl ersetzt werden soll, die „mit Holz getarnt“ wird, um den Stil der jahrhundertealten Holzbrücke zu imitieren. So etwas nennt man Kitsch.

Mit der Erbauung der geplanten Straße würden auch die berühmten Holzflöße verschwinden, die nur noch am Königssee ein Gegenstück haben. Auf ihnen befördern die Bauern der Südseite Roß und Wagen mit Heu über den See. Im Morgennebel ist das oftmals ein ganz zauberhaft schönes Bild. Vorbei wäre es auch mit der Romantik am Paterzipf, und der Bodenbauer am Fuß der Hochgipfel der Egelgruppe (Bodenalm, 1223 m) wird dann auch dem Kraftwagenverkehr erschlossen, eine der einsamsten und schönsten Waldlandschaften wird dahin sein. Es ist wohl zuzugeben, daß es unter manchen Gesichtspunkten wünschenswert wäre, eine Fahrverbindung längs dem Weißensee zu schaffen; wenn man schon diese Interessen für vordringlich hält, dann wäre es zudem vorzuziehen, die schon bis östlich Neusach (zum Schuttkegel unterhalb der Fellscharte) bestehende gute Autostraße am nördlichen Seeufer nach Ortsee fortzusetzen, und zwar, wenn sie Aussichtsstraße sein soll, möglichst hoch am Berg (über die Höhenkoten 1203, 1157, 1253 und die Parzelle Würden, 1280 m) zur Ausmündung des Silbergrabens. Diese Strecke ist um gut einen Kilometer kürzer als die Trasse am Südufer und erfordert keine neue Brücke über den See. Der schöne Fußweg am Seeufer könnte bleiben. Die sehr großen technischen Schwierigkeiten sind freilich dieselben wie am Südufer. Dafür wäre diese Trasse am Sonnenhang, während die geplante Trasse durch steile, sehr schattige Nordhänge führen würde und schon bei geringer Schneelage unbefahrbar wäre.

Daß die Interessen des Fremdenverkehrs den Kraftwagenverkehr zu weltberühmten, schönen Berggebieten keineswegs erfordern, lehrt das Beispiel der Schweiz. Nach Zermatt gibt es keine Autostraße und jeder Kraftfahrverkehr hört in

St. Nikiaus auf. Ebenso ist der Weg zur prachtvollen Taminaschlucht bei Bad Ragaz nur Pferdefahrzeugen offen. Auch viele andere schweizerische Berggebiete sind dem Kraftfahrzeugverkehr verschlossen, darunter gerade besonders schöne Gebiete. Man kann davon nur lernen.

... und das Maltatal?

Gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Weißensee-Straßenprojekts erfolgte auf der Kärntner Messe 1955 auch die einem weiteren Personenkreis dadurch bekanntwerdende Ankündigung der staatlichen Draukraftwerke AG., auf deren (übrigens mustergültig gestalteten) Pavillon, wonach im obersten M a 11 a t a 1, im Kleinelendtal und Großelendtal ein riesiger Stausee angelegt werden soll, der die gesamten Gletscherwässer dieser großartigen Gletscherwelt (Großelendkees, Kleinelendkees, Pleßnitzkees, Kesselkees usw.) auffangen und speichern soll. Ob dieser Stausee dazu dient, ein eigenes Krafthaus im Maltatal zu bedienen oder ob das Wasser zur Werksgruppe Reißeck übergeleitet werden soll, was technisch wohl sehr großen Schwierigkeiten begegnen würde: in jedem Falle wäre es bei der Bildung dieses riesigen Stausees mit den Schönheiten des „Tales der stürzenden Wasser“, wie man das Maltatal nennt, vorbei. Das Maltatal, das beim romantischen Renaissancestädtchen Gmünd mit seinen Lodronschen Schlössern, Toren und Türmen beginnt, vermittelt den Zugang durch die Hochalmspitzgruppe, die nur von dieser Seite aus leicht ersteigliche Bergflanken bietet. Auch in die östliche Ankogelgruppe und zur Hafnergruppe mit dem östlichsten Dreitausender, dem Malteiner Sonnblick (3032 m), bietet es schöne, wenn auch weite Anstiege. Das Tal selbst wird seit der Entdeckung der Schönheit des Hochgebirges von vielen Freunden erhabener Alpenlandschaft wegen seiner zahlreichen großen Wasserfälle und von der Malta gebildeten farbenprächtigen kleinen Bergseen, hier„Tümpfe“ genannt, aufgesucht und durchwandert. Neben den Fallertümpfen ist besonders der Blaue Tumpf berühmt. Dieses ruhige, landschaftlich hervorragend schöne Tal würde nicht nur alle Tümpfe, sondern auch etliche seiner großen Wasserfälle verlieren, aber auch der schöne Almboden am Sonntagsboden wäre dahin. Der ungeheure Eismantel der Hoch almspitze, die mit ihren 3345 Metern ob der Harmonie ihrer Linien die „Königin der Hohen Tauern“ genannt wird, würde sich zwar in einem Stausee spiegeln, was gewiß auch schön ist, aber mit der Ruhe und Erhabenheit dieses entlegenen Gletscherwinkels wäre es vorbei.

Die Draukraftwerke haben sich, was man anerkennen muß, auch in den Reißeckbergen bemüht, die hochalpine Landschaft möglichst zu erhalten. Gelungen ist ihnen das, soweit man es bisher beurteilen kann, nur sehr unvollkommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung