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Letzter Abglanz des Paradieses

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Warum bleiben alle Alpenpflanzen so gedrungen im Wuchs? Ist es die kühle Temperatur oder der karge Boden der windumtobten Joche und Gipfel, die das bewirken? Nein, es sind die starke Belichtung und der Mangel an Feuchtigkeit, die das stockige Wachstum hervorrufen und den gedrungenen Charakter der meisten Bergpflanzen formen. Vor allem aber das viele Sonnenlicht, das die Alpenblumen täglich schon etliche Stunden früher haben als ihre Schwestern im Tal.

Viel Mühe macht dem Alpengärtner alljährlich das Etikettieren seiner Bergkinder, nicht nur derer, die gerade in Blüte stehen, sondern auch der Sträucher und immergrünen Pflanzen. Da ist zum Beispiel d.e dichte, dunkelgrüne Legföhre, Zwerg- oder Kriechföhre, hierzulande gewöhnlich mit dem nicht sehr sympathisch klingenden Namen Latsche bezeichnet, dann das „jubelrote, dichte Königskleid“ der Alpenrose, der straffe Schaft des blauen Eisenhutes, das räkelnde Gerank der Alpenrebe, das borstige Gespreiz der Bergdistel, die feiste Sattheit des Purpurenzians, das kleine, immergrüne Hungerblümchen, der orchideenhafte Frauenschuh, der magische Schein der Pfingstrose, dieses Wunders der Berge — sie mag die älteste Blume sein, die noch aus Urzeiten auf uhs gekommen ist, ein Überbleibsel der Tage vor der Eiszeit. Sie rettete sich vor den andringenden Eismassen auf die Südseite der Alpen und blüht dort (beispielsweise auf dem Monte Baldo über dem dunkelblauen Gardasee), ein letzter Abglanz des Paradieses vor der großen Katastrophe.

Den ersten Alpengarten (nicht nur der Steiermark, sondern der Welt überhaupt) hat in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der „steirische Prinz“, der Habsburger Erzherzog Johann, nächst seinem „Brandhof“ auf dem nördlichen Abhang des Seeberges im steirischen Oberland angelegt. Etwa zehn Jahre später begann auch Prof. A. Kerner, der große Botaniker der Wiener Universität, Alpengärten anzulegen. Seiner Anregung verdanken die meisten botanischen Alpengärten Österreichs ihre Entstehung, so vor allem das „Alpinum“ im Innsbrucker Botanischen Garten zu Füßen der Nordkette und im Botanischen Garten zu Klagenfurt, dessen alpinen Teil in den Jahren 1913 bis 1939 Professor Prosen aufgebaut hat, unterteilt in sieben Hügelchen, die die bekanntesten Gebirgszüge des Landes darstellen mit ihren bodenständigen Alpenpflanzen, allen voran die Wulfenia carinthiaca, „des Kärntnerlandes Wunderblume“, die nur im wildzerklüfteten Plöcken-gebiet und sonst nirgends im ganzen weiten Alpenbogen zwischen dem Rhonetal und der Donauebene vorkommt.

Auch Wien hat seine Hochgebirgslandschaft mit Felsblöcken, schmalen Pfaden, spitzen Graten und winzigen Seen. Sie liegt im Herzen der Stadt, vom oberen Belvederegarten nur durch eine kleine, grüne Holztür getrennt, die durch die mächtige Parkmauer führt. Der lebendigste Teil dieses „Gebirgslandes“ aber ist die verschwenderische Pracht seiner Bergblumenschönheit, die hier in mehr als 2000 Arten versammelt ist. Nicht allein unsere österreichischen Alpen, nein, auch Pyrenäen und Apennin sind hier ebenso vertreten wie Nordamerika und Neufundland, der Ural und der Kaukasus. Und damit das ganze möglichst echt wirkt, ist inmitten dieser hochalpinen Blumenwelt, sozusagen „über Fels und Schrunden“, auch noch ein kleines Schweizerhäuschen aufgestellt, in welchem der Beschützer dieses Reiches, aus Steingeröll und Bergkräuterdüff,4 Oberverwalter Munsch, seht Arbeitszimmer aufgeschlagen hat.

Der Alpengarttn vor den Toren Wiens, den das Kulturreferat der niederösterreichischen Landesregierung zunächst dem Otto-Haus über dem grauen Kalkgewände der Rax angelegt hat — das Wort Rax soll von rauh kommen und soviel heißen wie rauhes Gebirge —, beherbergt nur solche Pflanzen, die auf dem weiten Hochboden der nach allen Seiten schroff abstürzenden Rax gedeihen und der Schonung bedürfen. Am meisten bewundert wird hier ein Edelweiß, dessen Stern einen Durchmesser von sechs Zentimetern hat. Während das Edelweiß, die Königin unter den Blumen unserer Alpen — „Nimmer wird sie finden, wer Gefahren scheut!“ —, in Niederösterreich schon recht selten geworden ist, ist es in Oberösteneich bereits gänzlich ausgestorben. Dafür aber finden wir es beispielsweise gehegt und gepflegt im Stadtpark von Wels, wo vor etwa einem Jahrzehnt Obergärtner Pichler einen alpinen Zaubergarten geschaffen hat.

„Klein, aber fein — und mein“, darf der Zollwachekontrollor Heinrich Breit sagen, der an der stark belebten Grenzbrücke in Schärding als Gruß an Österreichs Reisegäste ein farbenbuntes Alpenblumengärtlein angelegt hat. Teils in dichtem Moos versteckt, teils auf steinigem Fels wuchernd, glühen dort neben seltenen heimischen Alpenblumen auch solche aus Lappland und aus dem Kaukasus in vielfältiger Farbenpracht den Reisenden entgegen. An die vierhundert verschiedene Arten.

Wohl die schönste Lage aber hat der Alpengarten von Graz auf dem von der Sonne besonders ausgezeichneten Westabhang des Schloßberges, der inmitten des Großstadtlärms eine Wald- und Berginsel von einzigartigem Reiz darbietet. Gleich über ihren letzten Dächern, ein paar Schritte vom lärmenden Hauptplatz entfernt, steht schon das Edelweiß, ward vor etwa guten drei Jahrzehnten „ein Alpengartenwunder hold entbunden, Terrassen wohnlich, doch mit weiter Schau auf Berg und Tal, auf Fuß und Altstadtbau“. Rudolf Hans Bartsch nennt es „Die hängenden Gärten von Graz“,

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