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Auf Österreichs neuer Straße

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Auf dem Tennengebirge und dem Hagengebirge, dreißig Kilometer südlich vom Anschlußstück des „Salzburger Ringes“ der Autobahn an die Salzachtal-Bundesstraße, liegt Schnee. Im Tale aber grünen noch die Wiesen, flammen Kastanienbäume und Ahorne, leuchten in den kleinsten Bauerngärten Dahlien, Astern und türkische Nelken. Unser Wagen rollt langsam über die schon festgewalzte Strecke, man hört den Kies knirschen. Ein Bogen nach Norden. Links und rechts das sagenumwobene Walserfeld, wo ein dürrer Birnbaum auf die letzte Schlacht der Geschichte wartet. Camp Roeder zieht vorbei. Zwischen den Wohnbauten flattert Wäsche auf gespannten Leinen. Links kommt Schloß Kleßheim in Sicht, dann geht es über die Salzach, im Norden schimmern die Türme der Wallfahrtskirche Maria-Piain und nach kurzer Zeit halten wir beim Talübergang Söllheim. Das ist eine Gewölbereihenbrücke, geschickt in die Landschaftsform eingegliedert; zwölf Bogen tragen die Fahrbahn 42 Meter hoch über der Talsohle rund 282 Meter weit von einem Widerlager zum anderen. Es lohnt, die Straße zu verlassen und zum Talgrund hinunterzusteigen, die ganze Baumasse zu sehen, in der 18.000 Kubikmeter Beton stecken, für die 7180 Quadratmeter Konglomerat-Steinverkleidung und 79 Tonnen Stahl verbraucht wurden. Wie Zwerge erscheinen die Arbeiter oben am Brückengeländer; diese Zwerge aber waren es, welche die Baumasse von insgesamt 51.585 Tonnen mit Hilfe der Maschinen bewegt haben. Die Maschinen! Da wäre gleich etwas Auffallendes zu bemerken Alle Vorstellungen aus früheren Zeiten, selbst noch aus denen der ehemaligen Reichsautobahn, sind überholt. Es gibt keine quirlenden Menschenmassen, keine qualmenden Feldbahnlokomotiven, 1<eine Geleise spinnen ihre Netze über die Baustellen. Die modernen Straßenbaumaschinen haben diese Veränderung mit sich gebracht.

Weiter auf der breiten Fahrbahn. Mitunter weist uns die Bauleitung von der „besseren Hälfte“ (dort, wo schon Sand eingewalzt ist) auf die „schlechtere“ (wo erst die Kiesdecke liegt, welche der Reibewirkung der Pneus , gegenüber gleichgültiger bleibt). Diese Fahrdecke der je 7,5 Meter breiten Richtungbahnen wird in Beton von 22 Zentimeter Stärke (davon 6 Zentimeter Ober- und 16 Zentimeter Unterbeton) in zweischichtiger Bauweise ausgeführt. Dazu ist es nötig, auch Geologe und Chemiker, ja auch Physiker zu sein. Laufend entnimmt man den verschiedenen Bauabschnitten Sand- und Kiesproben, um die jeweils beste Mischung herauszubekommen. Diese Betondecke wird mit Baustahlgitter (es sieht wie ein liegender Rost aus) bewehrt und ist in Feldlängen von je 10 Meter unterteilt, wobei Querfugen in 30 Meter Abstand und ansonst Scheinfugen vorgesehen sind. Nächst dem Zilling-viadukt im Kilometer 143 der Autobahn (ein etwas größeres Objekt als jenes bei Söllheim), in der Höhe von Eugendorf, steht die erstmals in dieser Größe bei uns eingerichtete Betonaufbereitungsanlage, und nicht weit davon sieht man das seltsame Ungeheuer, welche wie ein niedriger, überbreiter Wagenzug anmutet. Die Mischmaschinen schlucken den Baustoff, auf zwei weit voneinander entfernten Schienen rollt das bedachte Betonierungsgerät. Vorne rudern, wie bei einem Dampfer, Räder durch den Sand, der diei Zentimeter hoch auf der Bahn verteilt wird, die mitgehende Vibrationsbohle hämmert wie eine Gigantenfaust dreitausendmal in der Minute mit einem Gewicht von 7000 Kilogramm nieder. Zweihundert Meter Fahrbahndecke läßt dieser Straßendrache jeden Tag hinter sich. Die Breite der Autobahn beträgt 28,5 Meter. Die tatsächliche Baubreite jedoch ist oft mehrfach größer. Dal sehen wir gleich im Streckenabschnitt Talgau, nicht weit vom Mondsee, einer der heikelsten Stellen übrigens, als Rutschterrain bekannt. In dieser Gegend fallen jährlich 1200 Millimeter Niederschlag (Wien: letztes Jahrhundertmittel 653 Millimeter). Die Baubreite mit der nötigen Flangsicherung, den Entwässerungsanlagen und Böschungen sowie der Einordnung nebensächlichster Feldwege und Rinnsale beträgt mitunter HO Meter (Wiener Ringstraße 56, Gürtel 76 Meter von Baulinie zu Baulinie). Die Autobahn ist also auch breitenmäßig ein weiter Begriff. Das erste Problem ergibt sich gleich nach dem Mondsee, auf dessen Raniälandschaft der künftige Fahrer einen herrlichen Ausblick von der Höhe westlich des Ortes haben wird. Zwei Möglichkeiten werden studiert: die erste, ursprünglich geplante, ist der Weg entlang des Ufers des Attersees über Nußdorf, die andere zöge mehr westlich. In Oberösterreich werden in de1 ersten Bauetappe (es gibt vier Etappen, die Einseretappen sind: Salzbürg—Mondsee; Satt-ledt—Ennsdorf; Matzleinsdorf bei Melk—Sankt Pölten-Christofen; und die Salzburger und Lin-zer Zubringer); bei Mondsee und Sattledt (an der Bahn Wels—Grünau), gegen Enns zu, auf elf Baulosen die Erdarbeiten durchgeführt. Allein im Bereiche dieser Baulose sind 5 3 Brücken und Durchlässe zu erstellen. Die meisten von ihnen sind bereits fertig. In ganz Oberösterreich wird die Bahn 180 Brücken haben, welche 460 Millionen Schilling kosten (Gesamtaufwand der Etappe I: 1.530,000.000 S). Das eindrucksvollste Bauwerk ist hier wohl die Aitertalbrücke, da längste Bauwerk der Strecke Salzburg—Wien: 29 Meter über dem Tal mit einer Tragwerklänge von 430 Meter; bis jetzt ist dies der längste (nicht durch Dehnungsfugen unterbrochene) Spannbetonbalken der Welt. Nun bleibt der Wagen am Ufer der Enns stehen. Wir gehen zum Fluß hinunter und sehen nach Norden:' da liegen in der Ferne die alte Straßenbrücke und die Eisenbahnbrücke — vor gar nicht langer Zeit ein Symbol der Unfreiheit, der Trennung. Heute schauen wir zur Krone der neuen Autobahnbrücke hinauf, wo 6ich die Krane drehen, wo man Stahltrossen schleppt — die neue Brücke ist schon ein Sinnbild unserer wiedererlangten Freiheit.

In Niederösterreich sind Erdarbeiten auf 13 Baulosen im Gange oder bereits fertig; 76 Brücken sind im Bau, bis Ende 1956 dürften rund 60 davon im wesentlichen fertig sein, mit dem Bau von 10 weiteren beginnt man noch dieses Jahr. Zwischen Wien und Enns werden einmal 253 Brücken stehen/die einschließlich der Flügelmauern eine Gesamtlänge von rund 12.000 Meter haben. Westlich von Melk gibt es das zweite Problem der Autobahn: das ist die Trassierung entweder gemäß dem alten Plane, der indes im Räume der Strengberge erhebliche Bauwerke nötig machen würde, oder nach einer, wahrscheinlich auch billigeren Variante1 mehr südlich davon. Die einzige Einbuße bei dieser weiten Abart war der Verlust des Ausblicks auf das Donautal gegen Ardagger und auf die Höhen des Strudengaüei.

Eine dritte Frage, die schon Viele Gemüter erregte, ist die Wiener Einfahrt. Für die alte Südführung, für die bekanntlich schon viele Vorarbeiten (darunter besonderi im Brückenbau) geleistet wurden, spricht die Förderung der Südbahngemeinden (abgesehen von. Kuns.tstätten wie Heiligenkreuz), für die nur recht,sein soll, . was für den westlichen • Fremdenverkehr billig ist. Auch zum kommenden Großflughafen liegt diese Einfahrt günstig, abgesehen davon, daß die Autobahn auch nach Osten weisen soll (als ein Teil der überaus wichtigen transkontinentalen Linie E 6, welche von London über Brüssel Aachen, Köln, Nürnberg, Passau, Wien nach Istanbul führt). Eine Westeinfahrt setzt die Verwirklichung der im Wienflußbett g ^planten Schnellverkehrsstraße voraus.

Wird die Autobahn die Landschaft beeinträchtigen? Und was hat der Fußgänger davon?

In den von uns besichtigten Strecken legte man auf eine harmonische Eingliederung der Autobahn in die Landschaft besonderen Wert. Die gärtnerische Ausgestaltung, die Ausbildung der Parkplätze und der Mittelstreifen ist den Gutachten von Landschafts- und Gartenarchitekten unterworfen. Es wird bahneigene Pflanzgärten geben, und wo diese nicht ausreichen, werden Baumschulen zur Lieferung von Sträuchern und jeweils der Landschaft angepaßten Bäumen herangezogen. Das ursprüngliche Landschaftsbild hat übrigens in vielen Teilen, die wir sahen, unerwartet rasch das frühere Gepräge angenommen: die kahlen Einschnitte und' Böschungen sind vom Grün überzogen und aus der Ferne oft kaum mehr wahrnehmbar.

Und der Fußgänger? Wir sind über die beängstigend schmalen Straßen entlang des Mondsees und Attersees gefahren. Im Sommer sind sie besonders an Sonntagen bei schönem Wetter für den Massenverkehr nicht geeignet und mitunter ausgesprochen gefährlich. Wenn einmal die Autobahn den Durchgangsverkehr aufsaugt, werden die jetzigen Straßen wieder zu dem, was sie einmal waren: zu Wanderwegen, die höchstens dem Ortsverkehr und der Landwirtschaft dienen, zu idyllischen Sträßlein. Wenn eine Gemeinde wie Unterach am Attersee allein 40 Kilometer Wanderwege gebaut hat, so kann man daraus ersehen, daß die Menschen dort nicht allein auf die Autobahn zählen, sondern sie als willkommenen Zubringer ansehen. Das gilt für die ganze Strecke zwischen Salzburg und Wien. Ja, man wird rasch zu einem bestimmten Punkte kommen wollen, aber (mit Ausnahme der Kilometerjäger) auch ab und zu halten und seitwärts Bögen schlagen.

AI wir von der Trasse der Autobahn abbiegen, ist es schon recht dunkel, ein herber Wind weht vom Donautale her. Ein Arbeiter sieht zum klaren, besternten Himmel auf und sagt: „Hoffentlich bleibt das gute Wetter!“ Wir wollen es wörtlich und symbolisch (für die Beistellung der weiteren Geldmittel) annehmen. In der Ferne bleiben die Lichter der Werkhäuser zurück und bald gleichen sie den Sternen, die über uns leuchten.

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