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Um die Erforschung der Meerestiefe

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So hoch wir bereits in den Luftraum vordrangen, so nahe wir daran sind, mit den modernen Raketengeräten selbst die Zone der Erdatmosphäre zu verlassen, so kühn die Taten unserer Bergsteiger im Kampf um den höchsten Gipfel unserer Welt auch sind, so genau wir heute auch schon die feinste Struktur und die kleinsten Teilchen der belebten und unbelebten Materie zu durchdringen vermögen — so wenig wissen wir von alldem, was die Fluten des Meeres bedecken.

Man hat es oft gelernt und gehört und dennoch gleich wieder vergessen, daß die Fläche des Landes auf unserer Erdkugel von dem Ausmaß der Meeresoberfläche weit übertroffen wird. In Zahlen ausgedrückt: 149 Millionen Quadratkilometer Land und 361 Millionen Quadratkilometer Meer. Wenn auch der Mensch bereits in der Frühzeit seiner Entwicklung nicht davor zurückschreckte, sich auf die Wogen der Weltmeere hin au szu wagen, wenn er selbst mit den primitiven Hilfsmitteln, die ihm vor Jahrtausenden zur Verfügung standen, die schier unermeßlichen Weiten der Ozeane überquerte, so blieb er doch stets der festen Erde allein verbunden und empfand die Meere stets als das Trennende. Jahrhunderte hindurch waren alle Bemühungen. in deren Dienst man die aufstrebende Technik stellte, lediglich einer

Verbesserung des Verkehrs auf der Meeresoberfläche Vorbehalten. Man wollte sicherer, rascher und bequemer von einer Insel des menschlichen Lebens zur anderen gelangen, denn aus ozeanischer Sicht gesehen, sind auch die größten Kontinente nur wasser- umspülte Inseln. Erst als man so weit war, daß die Schiffahrt über das Stadium der Wagnis hinaus zu einen verhältriismäßig sicher beherrschten Instrument des modernen Verkehrs geworden war, konnte man dem Forscherdrange nachgeben und den Blick auch in die Tiefe des Wassers richten.

Ohne Tauchgerät erreichen geübte Taucher im Durchschnitt und von besonderen Einzelleistungen abgesehen, eine Wassertiefe von 15 Meter. Mit Hilfe einer heute sehr primitiv anmutenden, hölzernen würfelförmigen Taucherkiste stieg der Engländer J. Williams im Jahre 1692 ebenfalls 15 Meter unter die Wasseroberfläche hinab. Im Jahre 1865 erreichte der Franzose Bazin in einem Stahlzylinder die bereits sehr beachtliche Tiefe von 75 Meter und im Jahre 1899 kam der Italiener Piati Dal Pazzo mit einer Stahlblechkugel bis auf 50 Meter Tiefe hinab. Mit modernen Taucheranzügen kann man heute in Wassertiefen von 35 bis 40 Meter ohne jede Gefahr arbeiten, die modernsten U-Boote, können in Tiefen von 300 Meter verbleiben und sich auch fortbewegen. Von hier ab aber beginnen die enormen Schwierigkeiten, hier fängt das Geheimnis an, und hier steht man an der Schwelle der letzten ganz großen Abenteuer, für die unsere Erde noch Platz hat.

Seit in den Jahren 1839 bis 1843 die Schiffe der britischen Antarktisexpedition, „Erebus“ und „Terror“, die erste systematische- und praktische Tiefseeforschung betrieben hatten, blieb die Wissenschaft mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit in dieses Problem verbissen und suchte immer wieder nach neuen Methoden und Mitteln, die Beschaffenheit des Meeresbodens und die Frage nach dem Leben in den Tiefen der Meere zu lösen. Eine der berühmtesten Expeditionen war die des britischen Schiffes „Challenger“, von dessen Material heute noch in fast allen zoologischen Instituten der Welt Gebrauch gemacht wird, wenn es darum geht, die Formenfülle der winzigen Strahlentierchen zu zeigen, die zwar mikroskopisch klein sind, deren Skelette aber dennoch in Ablagerungen von vielen hundert Meter Tiefe den Meeresboden bedecken. Diesen ersten, klassisch gewordenen Versuchen, die Geheimnisse der Meerestiefen zu enträtseln, folgten dann in letzter Zeit die Unternehmungen des Amerikaners William Beebe, des Japaners Nomura, des Italieners Parenzan und schließlich die des bekannten Gelehrten Professor Piccard.

In einer Stahlkugel von nur 1,5 Meter Durchmesser ziemlich hilflos eingeschlossen und lediglich an einem Stahlseil hängend, stieß Beebe 1934 bis 923 Meter unter die Meeresoberfläche vor und hält damit immer noch den Rekord der größten jemals von einem lebenden Menschen erreichten Meerestiefe. Seine kühne Expedition, die ihn mehrmals um Haaresbreite am sicheren Verderben vorbeiführte, brachte so entscheidende neue Erkenntnisse über das Leben in den tieferen Meeresregionen, daß sie von bleibendem Wert für die Wissenschaft sein wird, selbst wenn es einmal möglich sein sollte, noch tiefer hinabzusteigen und vor allem auch größere Räume zu erfassen, als es Beebe möglich war. Die drei anderen genannten Forscher versuchten, jeder auf seine Weise, von dem Prinzip des passiven Aufgehängtsein an dem von einem Schiff herabgelassenen Drahtseil loszukommen und wenigstens eine gewiss aktive Bewegungsmöglichkeit zu erreichen. Das Tiefseetauchboot Nomuras, dem sich Tiefen bis zu 1600 Meter öffnen sollen, taucht mit Motorenkraft und ist mit Quarzfenstern ausgerüstet. Piccard versuchte sozusagen das Prinzip des Freiballons, mit dem er ja seinerzeit nach obenhin so große Erfolge erreichte, auch für die Tiefen des Ozeans anzuwenden. Er befestigt seine Beobachtungskugel an einem Schwimmgerät und verzichtet auf jede Kabelverbindung mit dem Mutterschiff. Er scheiterte an der Schwerfälligkeit seines Apparats und vor allem an der unendlichen Langsamkeit des Emportauchens. Am bedenklichsten aber ist an seinem Gerät der Umstand, daß er selbst bei geglücktem Auftauchen hilflos unterhalb des Schwimmtanks hängt, und zwar nur mehr wenige Meter, aber dennoch i m Wasser bleiben muß, bis das Expeditionsschiff das Schwimmgerät aufgefunden hat. Pietro Parenzan hat etwas ganz anderes, nämlich eine Art Kleinst- U-Boot gebaut, mit dem er bis zu 20 Stunden unter Wasser bleiben kann, und das im Comosee eine Tiefe von 400 Meter erreichte. Als er jedoch seinen Apparat in den Gewässern um die Insel Capri für ernstliche Versuche einsetzte, scheiterte er ebenso wie Piccard an technischen Unzulänglichkeiten.

Als man im Jahre 1860 eines der ersten nach Amerika gelegten Tiefseekabel aus großer Tiefe heraufbolen mußte, weil es beschädigt war und repariert werden sollte, war man sehr darüber erstaunt, an diesem Kabel lebende Organismen vorzufinden. Man hatte nämlich allgemein angenommen, daß das Tierleben im Zusammenhang mit der Abnahme des Lichtes ein Ende finden würde. Bekanntlich endet mit etwa 500 Meter Meerestiefe der letzte Schein des Tageslichtes, und schon in einer Tiefe von 200 Meter ist der Lichteinfall so gering, daß praktisch keine Vegetation mehr existieren kann. Die bereits erwähnten Tiefseeexpeditionen und nicht zuletzt die vielen Tiefseefänge, die der Prinz von Monako, der bekanntlich die Ozeanographie besonders förderte und auch ein eigenes Institut für ihre Erforschung einrichtete, haben dann bald gezeigt, daß auch die lichtlosen Zonen des Meeres von Tieren reich belebt sind. Tiefseefischfänge, die der Prinz von Monako bei Kap Verde bis zu Tiefen von 6025 Meter durchführen konnte, lieferten selbst aus diesen enormen Abgründen des Ozeans noch einen bodenbewohnenden Fisch und einige wirbellose Tiere. Man weiß heute, daß in der Region zwischen 1800 unid 3600 Metei;

Tiefe über 120 verschiedene Tierarten Vorkommen, die 39 verschiedenen Gattungen angehören. Allerdings scheint in einer Tief von etwa 2000 Meter die Mehrzahl des tierischen Lebens langsam aufzuhören, und darunterliegende Regionen bis zum Meeresboden sind verhältnismäßig arm an Formen, wenn auch nicht immer an Individuen. Mit welchen Überraschungen man in der Tiefseeforschung zu rechnen hat, beweist die Tatsache, daß man im Jahre 1939 eine Fischart entdeckt hat, die den Namen Latimeria Chalumnae erhielt und die einer Fisdi- gruppe angehört, die man bisher nur aus Versteinerungen in geologischen Schichten kannte, deren Alter man auf etwa 50 Millionen Jahre zu schätzen hat. In letzter Zeit erfuhr man aus Amerika, daß der sogenannte „Höllenpolyp“ (Vampyroteuthia infernalis) in Tiefen von 2000 bis 3000 Meter lebt, niemals höher als höchstens 700 Meter unter die Oberfläche des Meeres heraufsteigt und einer Gruppe der Weichtiere angehört, die bisher ebenfalls nur aus Fossilien bekannt wurde. Man kann demnach dieses seltsame Wesen, das wie so viele Tiefseetiere auch Leucht vermögen besitzt, als einen sozusagen übriggebliebencn Zeitgenossen der Dinosaurier ansehen, die vor vielen Jahrmillionen ausstarben.

Die letzte große Tiefseexpedition, die im Herbst 1948 von einer mehr als eineinhalb Jahre dauernden Unternehmung in allen sieben Meeren zurückkam, war die des schwedischen Schulschiffes „A 1 b a t r o s“. Sie knüpfte in mancher Hinsicht an die 1938 durchgeführte deutsche „Meteor“-Expedition an und brachte nicht nur eine Fülle zoologischen Materials aus Tiefen bis zu 5000 Meter mit, sondern auch ganz neue Ergebnisse von Untersuchungen des Meeresgrundes. Hiefür bediente man sich neuer, verbesserter Methoden des sogenannten „Echolotes“, das im ersten Weltkrieg entwickelt worden war, als man bei Versuchen, untergetauchte U-Boote aufzuspüren, entdeckte, daß ein Echo auf ausgesandte Schallwellen auch in vertikaler Richtung eintritt, also vom Meeresboden zurückgeworfen wird.

Die schwedische „Albatros“-Expedition verwendete erstmalig den Echographen, der als selbstschreibendes Gerät arbeitet und gewissermaßen fortlaufende Kurven der Oberflächenformen des Tiefseebodens verzeichnet. Es gelang auch, durch die Auswertung des sogenannten Doppelechos die £)icke der Meeresablagerungen zu bestimmen, die den ursprünglichen, felsigen Meeresboden bedecken. Schließlich führte der „Albatros“ noch ein besonderes Gerät, nämlich eine ganz neuartige Lotröhre mit, die es ermöglichte, Bodenproben aus den Ablagerungen des Meeresbodens bis zu einer Länge von 18 Meter zu entnehmen. Damit aber hat man eine ungestörte Schichtenfolge vor sich, die mehrere Millionen Jahre der Erdgeschichte umfaßt.

Im Vordergrund aller Probleme der Tiefseeforschung steht heute neben den biologischen Fragen die Erkundung der großen unterseeischen Gebirge, die man sowohl im Atlantik wie auch im Pazifik entdeckte und die zum Teil recht seltsame Formen aufweisen, so kennt man aus Vermessungen der amerikanischen Marine die sogenannten „Guyots“, das sind langgestreckte Berge, die 1000 bis 2000 Meter unter dem Meeresspiegel liegen und flache Gipfelebenen von großer Ausdehnung aufweisen. Man konnte bisher nok keine plausible Erklärung für das Zustandekommen solker unterseeisker Gebirgsformen geben.

Darüber hinaus aber taucht immer wieder das Problem des versunkenen Kontinents, die Frage nak „Atlantis“ auf, die skon Plato 460 Jahre vor Christi auf- warf. Ein Nakweis eines solken untergegangenen Erdteils würde die Wurzeln der menskliken Geskikte um rund 4000 Jahre zurückverlegen. Viele, sowohl naturwissen- skaftlike wie auk kulturgeskiktliche Hinweise lassen die Existenz eines später versunkenen Kontinents zwischen Westindien und den Kanarisken Inseln durk- aus möglik erskeinen. Als interessantes Teilgebiet der Erforskung der Weltmeere hat nunmehr eine internationale Forskungs- organisation, in der auk österreik vertreten ist, die Vorarbeiten für eine neue Atlantissuke aufgenommen und will zu- näkst an den Steilküsten der Azoren nach Spuren prähistorisker Zivilisation suchen.

Alles in allem ersieht man skon aus dem, was hier nur andeutungsweise gesagt werden konnte, welken Umfang und welke Bedeutung für alle Gebiete menskliken Forskens die Erkundung der Tiefsee besitzt. Der Größe des Geheimnisses, dem hier der Mensk in aller Kleinheit gegenübersteht, entsprikt die Größe seines Wagens und seines Eifers.

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