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Das Auge vom Mount Palomar

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Am 7. Jänner 1610 richtete Galilei sein selbstverfertigtes - Fernrohr auf Jupiter und entdeckte vier Monde dieses Planeten. Dies Ereignis brachte den ersten handgreiflichen Beweis für die Lehre des Kopernikus und war sozusagen die Geburtsstunde der modernen Astronomie. Vom neuen Fernrohr auf dem Mount Paiomar in Kalifornien wird eine Entscheidung von ähnlicher Bedeutung erwartet. — Die neue Sternwarte selbst liegt nahe bei San Diego auf 1710 Meter Meereshöhe und in 35 Grad 21 Minuten 20 Sekunden nördlicher Brei e. Sie besteht aus dre Kuppelgebäuden und etlidien Nebenbauten. Die Kosten betragen weit über sechs Millionen Dollar.

Die Arbeit an diesem modernen Weltwunder hatte praktisch 1928 begonnen und wird — vom zweiten Weltkrieg (1942/45) unterbrochen — kn Sommer 1948 vollendet werden. Ein Riesen instrument ist es, das 450.000 kg Glas und Stahl enthält. Es steht in einem Kuppelgebäude von 45 Meter Höhe. Die Kuppel selbst wiegt eine Million Kilogramm. Das Herzstück des Fernrohrriesen ist ein Glasspiegel von 512 Zentimeter Durchmesser und 20 Quadratmeter Oberfläche — gleichsam ein Stehplatz für 80 Personen. Der

Spiegel allein ist 20.000 kg schwer. Dieses „größte Auge der Welt“ kann — rein flächenmäßig betrachtet — soviel Licht fassen wie eine Million Menschenaugen. Es faßt 16.000mal mehr Licht als Galileis berühmtes Instrument von 40 Millimeter Durchmesser.

Daß mehrere Linsen, richtig zusammengestellt, das Blickfeld bedeutend vergrößern, war 1608 die zufällige Entdeckung des holländischen Brillenschleafers Jan Lippershay. Galilei hatte davon erfahren, und so begann die Wissenschaft des Fernrohrs und seine wertvolle Auswertung. Die größten Baumeister auf diesem Wege sind: Kepler, Huygens, W. Hersdiol, Fraunhofer, Foucault, Steinheil... Und heute steht die Welt staunend vor dem Fünf-Meter-Spiegel.

Zwei Wege hatte man hier beschritten. Man baute Linsenfernrohre oder Refraktoren und Spiegelfernrohre oder Reflektoren. In ersterem brechen zwei Linsen das eingefangene Licht, nämlich das Objektiv, die große Haupdinse am äußeren Ende, und das Okular, wo unser Auge ansetzt. Einen Meter Durchmesser besitzt das Objektiv der Yerkes- S tern warte (USA). Infolge ihrer Bauart — .in der Mitte gewölbt und am Rande sich verdünnend — kann die Größe dieser Ein-Meter-

Linse wegen der Gefahr des „Durchsackens" nicht mehr überboten werden.

Das Glas bleibt nämlich eine zähflüssige Masse auch in völlig abgekühltem Zustand. Je größer also das Gewicht einer Glaslinse, um so mehr wird jenes „Durchsacken“ beschleunigt. Dadurch werden die gewonnenen Bilder notwendig verzerrt. Außerdem ver- sdiludit das Glas einer Brechungslinse um so mehr an Licht, je größer sie ist. Hier könnte nur eine neue, großartige Erfindung abhelfen. Eine solche haben wir für die „Welt im kleinen" — das Elektronenmikroskop; aber noch nicht für die „Welt im großen“. (Die besten Elektronenmikroskope erzielten lOO.OOOfache Vergrößerung. Neue- stens werden Protonen mikroskope gebaut. Schon der erste Versuch erreichte 600.OOOfache Vergrößerung.)

' Leichter geht es bei den Reflektoren — vielleicht werden wir in einigen Jahrzehnten noch den Zehn-Meter-Spiegel erleben? — Ein großer Hohlspiegel mit langer Brennweite ist das Kernstück dieser Fernrohre. Das e;n- gefangene Licht wird zurückgeworfen und mit Hilfe eines kleinen flachen oder konvexen Spiegels zum Okular reflektiert. Der neue Spiegel ist nicht massiv, sondern „aufgelockert". Er besteht aus Glaskammern. Darüber liegt eine verhältnismäßig dünne Quarzschicht, mit einer feinen Aluminiumschicht überzogen. Der Spiegel braucht das Lidit nicht zu brechen. Er sammelt es nur

— das ist seine eigentliche Stärke — und strahlt es dann zurück zum kleinen Okular. Damit soll das Wesentliche der beiden Fernrohrarten angedeutet sein. Unser Fünf-Meter- “Spiegel ist nun der größte Reflektor auf Erden und wird es wohl lange bleiben.

Hier muß auch Dr. Georg E. Haie, ein berühmter Sonnenforscher (USA), genannt werden. Ihm verdankt die Welt Und die Wissenschaft den neuen Riesenspiegel. Er ist aiich der Schöpfer des 2 ]Ą -Meter-Spiegels auf dem Mount Wilson und des genannten größten Refraktors auf der Yerkes-Sternwarte — beide in den USA. Mit 13 Jahren schon hatte Haie sein erstes Teleskop gebaut. 1928 regte er öffentlich und mit großem Erfolg den Bau eines 5-Meter- oder gar 7 -Meter-Spiege s an. Wie früher, gelang es seinem Organisationstalent auch diesmal, Geld und Mitarbeiter herbeizuschaffen. Leider hat er die Vollendung des Werkes, den Triumph seiner Mühen nicht mehr erlebt.

Am 25. März 1934 geschah in New York nach kleineren Probeversuchen der erste große Guß. Dabei wurde ein Spezialglas, das Py- r e x g 1 a s, verwendet — aus Quarzsand, Soda und Borax geschmolzen. Von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends wurden 105 Gießpfannen in die Form entleert — 19.000 kg Glas. Da stürzten in der Gußform einige Kerne der Unterlage und — verdorben war das Werk. Erst der zweite Guß gelang:

2. Dezember 1934. Die Abkühlung — sie dauerte zehn Monate lang — mußte äußerst langsam und vorsichtig geschehen, um jede Spannung im Glas zu vermeiden. Dann wurde der Spiegel in einem eigens gebauten Güterwagen nach Kalifornien gefahren. 5,33 Meter ragte der verpackte Riese in seinem Sonderzug über das Geleise empor.

Die Fahrt glich stellenweise einem Triuniph- zug. Der „Telsskopsonderzug“ durchquerte Kansas — Kolorado — Neu-Mexiko — Arizona und die Mojavewüste. Er wandert endlich über den Cajonpaß nach St. Bernardino ans kalifornische Gestade. Dort wurde er kunstvoll und fadigemäß vier Jahre lang geschliffen. 4000 kg Glas verlor er dabei. Indessen arbeiteten ebenso tüchtige Metallkonstrukteure am Bau des Gestells für den Spiegel. Das ganze Werk kann sich tatsächlich an Gewicht und Konstruktion mit den größten Lokomotiven messen, an Genauigkeit der Ausführung aber mit dem feinsten Mikroskop.

Die Hoffnung und Begeisterung für das größte Riesenauge der Welt ist sehr groß. Es wird theoretisch zweimal tiefer ins Weltall sehen lassen als der 2 Yt-Meter-Spiegel, an Lichtstärke viermal größer sein und einen achtmal größeren Raum im Weltall erschließen. Der 214 -Meter-Spiegel erreicht nodi die Sterne bis zur 19. (scheinbaren) Größenklasse. Das neue Instrument wird jedodx beinahe bis zur 21. Größe die Sterne erfassen. Der 2 lA -Meter-Spiegel hat das Rätsel der Spiralnebel gelöst und eine ungeahnte Fernsicht eröffnet. Der 5-Meter-Spiegel dürfte auf nahezu 1000 Millionen Lichtjahren eine Durchmusterung des Weltenraiumes gestatten. Man hofft, daß er das große Raumrätsel lösen wird. („Dehnt sich das Weltall aus?") Auch im Rätsel der Übersterne erwartet man neues Wissen — andererseits aber auch in der Planetenforschung. Es ist noch gar nicht abzusehen, welche schwierige Fragen er beantworten, welche neue Erkenntnisse er schenken wird.

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