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Atome, Raketen, Raumschiffe

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Am 7. August 195.5 ist in Kopenhagen der 6. Internationale Astronautische Kongreß zu Ende gegangen. Am gleichen Tage wurde in Genf die erste internationale Ausstellung für friedliche Verwertung der Atomenergie eröffnet. Das zeitliche Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse ist ein Sinnbild dafür, wie weit es der Mensch des 20. Jahrhunderts gebracht hat. Die vereinigte Kraft des Atoms und der Rakete ist in seiner Hand — Wunschträume aus den Kindertagen der Menschheit sind Realität geworden oder stehen als nahe Wirklichkeit vor unseren Augen; die offizielle Ankündigung von Eisenhowers Pressechef schließlich, die USA würden zwischen Juli 1957 und Dezember 195 8 den ersten künstlichen Erdsatelliten in den Weltraum schießen, mit der finanziellen; Garantie dieses 10-Milüonen-Dollar-Experimentes durch den Staat, ist die sachlichste und konkreteste Anerkennung des Strebens und Forschens von. Einzelgängern und Gruppen während der letzten 50 Jahre. Im wirtschaftlich und politisch so gut fundierten Bericht des Züricher Bankhauses Julius Bär und Co. liest man über die Woche vom 30. Juli bis 5. August freilich dies: „Fast wie ein Resultat der leider dieses Jahr sich bei uns klimatisch nur sehr wenig bemerkbar machenden .Hundstage' mutet es an, daß die Amerikaner mit dem .künstlichen Satelliten' so große Publicity betreiben. Nachdem man im westlichen Lager keine politischen Satelliten kennt, muß man sich wohl mit synthetisch hergestellten begnügen. Auf lange Sicht sind beide wohl gleich zuverlässig.“

Nun, die USA teilen die Skepsis bezüglich der Zuverlässigkeit des künstlichen Satelliten jedenfalls nicht. Die Entwicklung der Mittel zur Reise in den Weltraum hat einen Grad erreicht, der durch Witze nicht mehr wegzudiskutieren ist. Wernher von Braun, Sohn des letzten deutschen Reichsministers für Landwirtschaft • vor Hitler, Dr. rer. nat. der. Berliner Universität mit einer Arbeit über „Theoretische und experimentelle Beiträge zum Problem der Flüssigkeitsrakete“, technischer Schöpfer der Vorbedingungen der V 2, der sich im Mai 1945 mit den Mitarbeitern der Versuchsanstalt Peenemünde den Amerikanern ergab und zur Zusammenarbeit zur Verfügung stellte, hat dem 5. Internationalen Astronautischen Kongreß in der Universität Innsbruck, 1954, eine Botschaft gesandt, in der es hieß: „Die Zeit ist nahe, da es kein Mensch mehr wagen wird, an der Möglichkeit des Weltraumfluges zu zweifeln . ..“ Im Herbst 1953 ist vom amerikanischen Flugzeug- und Raketenwerk Glenn L. Martin das erste Raumschiff wie folgt angekündigt worden: „Wir sind imstande und bereit, ein Raumschiff für den Flug nach dem Mond zu konstruieren, zu erbauen und abzuliefern, wenn es im Sinn der Bemühungen unseres Landes zu seiner Verteidigung liegt, daß- ein solcher Auftrag gegeben wird.“ Man merkt in der Stilisierung dieser Mitteilung den tragisch-magischen Zusammenhang aller Eroberung des Weltraums mit den Kriegs- und dementsprechenden Verteidigungstendenzen im menschlichen Leben. In Leonardo da Vincis Nachlaß fand sich der Satz: „..., wie und warum ich nicht meine Art schreibe, unter dem Wasser zu bleiben, solange ich bleiben kann: und dies veröffentliche ich nicht oder erkläre es wegen der bösen Natur der Menschen, welche Art sie zu Ermordungen auf dem Grund des Meeres anwenden würden, indem sie den Boden der Schiffe brächen und selbige mitsamt den Menschen versenkten, die drinnen sind ...“ Leonardos Erkenntnis von der Verderbtheit der menschlichen Natur, die ihn nötigte, auf den Ruhm des Entdeckers des Unterseebootes zu verzichten, hat eine Entwicklung in der Eroberung des Meeres und im Seekrieg um fast 400 Jahre hinausgeschoben, doch nicht verhindert. Und die Weltraumeroberer mit Atom und Rakete in unserer Gegenwart kennen Leonardos Skrupel nicht.

Als „Tag Null“ der Weltraumschiffahrt wird von den Astronauten der 24. Februar 1949 bezeichnet. An diesem Tage ist die amerikanische Forschungsrakete „WAC Corporal“ — ohne Bemannung — 403 km hoch in den luftleeren Weltraum gestiegen. Ihr Start erfolgte nach dem ,,Stufenprinzip“: sie war auf eine V 2 aufgesetzt und wurde losgelassen, als die V 2 in 3 5 km Höhe ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte. Die in Amerika vervollkommnete V2 hat am 22. August 1951 selbst den Weltraum erreicht — 213 km über der Erdoberfläche. Das große amerikanische Magazin „Colliers“ brachte im Hinblick auf die Weltraumfahrtsmöglichkeiten im März 1952 eine Serie populärwissenschaftlicher Artikel unter dem Gesamttitel „Worauf warten wir noch?“ Wernher von Braun, der heute den Titel eines Direktors des Ordinance Rocket Center der amerikanischen Wehrmacht führt, erklärte im Rahmen dieser Artikelserie sein Satellitenprojekt: „In den nächsten 10 oder 15 Jahren wird die Erde einen neuen Begleiter am Himmel bekommen, einen von Menschen erbauten Satelliten, den ersten Stützpunkt der Menschheit im Weltenraum. Er wird von Menschen bewohnt sein; man wird ihn von der Erde als einen ruhig wandernden Stern sehen; er wird jedoch mit unfaßbarer Geschwindigkeit um die Erde kreisen, eingebettet in jene dunkle Unendlichkeit außerhalb der Atmosphäre, die wir als .Weltraum' bezeichnen. Die Teile dieses künstlichen Mondes werden Stück für Stück in den Weltraum hinausgebracht werden: seine Bahn wird dieser künstliche Mond wahrscheinlich in einer Höhe von 1730 km ziehen, alle zwei Stunden einmal um die Erde herum. Die Natur wird für den Antrieb sorgen; auf seinem Kurs gehalten wird er durch das präzise Gleichgewicht zwischen seiner Geschwindigkeit und der Anziehungskraft der Erde — genau wie der Mond selbst, der infolge dieser beiden Faktoren auf seiner Bahn bleibt. Der 75 m weite, radförmige Satellit wird sich mit einer Geschwindigkeit von 7,08 km in der Sekunde, also 25.400 km in der Stunde, das ist zwanzigmal so schnell wie der Schall, fortbewegen. Diese Geschwindigkeit wird aber für die auf dem Satelliten Lebenden nicht spürbar sein. Die Raumstation wird ihnen den Eindruck einer völlig stabilen Plattform machen. Von einem solchen Stützpunkt aus ist der Flug nach dem Mond selbst nur ein Schritt ...“ Seinen Behauptungen fügte Wernher von Braun exakte Zahlen und Berechnungen bei.

Das Wesen des Wernher-von-Braunschen-Planes gibt Heinz Gartmann im Buche „Träumer, Forscher, Konstrukteure“ in konzentrierter, allgemeinverständlicher Form so wieder: „Einstufige Raketen mit flüssigen Treibstoffen haben nicht die Kraft, die Anziehungskraft der Erde zu überwinden. Ihr Antriebsvermögen genügt für Flüge auf 400, vielleicht auch 600, 800 oder 1000 km Höhe. Der Antriebsbedarf für wirkliche Weltraumfahrt ist unvergleichlich größer. Mehrstufige Raketen, Gebilde, die als mächtige Türme aus Stahl und Leichtmetall abfliegen und dann — des größten Teiles ihrer Substanz durch stufenweise Abtrennung während des Aufstiegs entledigt — als verhältnismäßig kleine Gleitflugzeuge an dem gesteckten

Ziel ankommen, erweitern den Wirkungsbereich, führen aber auch noch nicht zur Befreiung von der Fessel der irdischen Schwerkraft. Sie können den Mond nicht erreichen. Indessen kann ihr Antriebsvermögen genügen, sie als künstliche Satelliten außerhalb der Atmosphäre um die Erde kreisen zu lassen.“

Wie weit stehen wir in der Raketenentwicklung? Die USA-Raketenwerke stellen die sogenannten „Kinder der V 2“ her; die bekanntesten und berühmtesten heißen „Honest John“ — eine 7 m lange Rakete mit Atomsprengkopf — und „Nilce“, eine Rakete mit Elektronengehirn, die das Flugzeugziel selbsttätig aufspürt und ihm nachjagt. Friedlicher sieht die dreistufige Rakete „Hermes C“ der General Electric aus, die für interkontinentale Strecken bestimmt ist. Der neue Schießplatz der USA für Raketenexperimente befindt sich bei Cocoa am Bananas River in Florida (Cap Canaveral). Seine Versuchsstrecke ist 15.000 km lang und führt in die Antarktis, ohne Festland zu berühren. Großbritannien ist mit der Veröffentlichung der Resultate seiner Experimente mit Raketen aus Sicherheitsgründen sehr zurückhaltend. Man weiß, daß bei Aberporth in Südwales am 26. Juli 1952 neue Raketenwaffen vorgeführt worden sind, ferngesteuerte Raketen, die eine Geschwindigkeit von 3 500 km in der Stunde aufweisen und ungeahnte Höhen erreichen. Die Präzision der Raketenselbstlenkung wird mit hundert Prozent angegeben. Frankreich hat eine schwere Rakete „Veronika“ konstruiert (Gewicht 1000 kg, Länge 6 Meter). Abfeuerungs-versuche finden in der Sahara statt. Ueber Paris sieht man immer wieder sehr schnelle Flieger mit scharf abgegrenzten, leuchtend roten Feuerstrahlen dahinjagen, bei denen es sich um die geheimgehaltenen neuen französischen Raketenflugzeuge handeln dürfte. Von der UdSSR weiß man, daß die zurückgehaltenen deutschen Forscher einen rasanten Fortschritt in der dortigen Raketenforschung bewirkt haben. Auch dort wurde eine Verbesserung der deutschen V 2 durchgeführt; man weiß ferner, daß eine zweistufige Rakete mit 3000 km Reichweite entwickelt worden ist. In allen diesen Forschungen gehen Weltraumgedanken und militärische Pläne Hand in Hand — ja im allgemeinen sind erst infolge militärischer Erwägungen die Voraussetzungen für die Arbeit der Forscher zu friedlichen Zwecken gegeben.

In dauernder Entwicklung ist das Studium des Menschen und seiner physiologischen Fähigkeit, die Reise in den Weltraum auszuhalten. Der Siebenbürger 'Mittelschullehrer Hermann Oberth, der „Vater der Astronautik und Raketenwissenschaft“ (der heute gleichfalls in den USA tätig ist), hat als zwölfjähriger Junge mit Hilfe selbstgefundener mathematischer Formeln ermittelt, daß die Idee Jules Vernes in dessen Roman „Von der Erde zum Mond“, ein bemanntes Geschoß aus einem 275 m langen Kanonenrohr mit Hilfe von 164 Tonnen Sprengstoff nach dem Mond abzufeuern, unrealisierbar sei, weil so zwar die Anziehungskraft der Erde überwunden werden könnte, aber gleichzeitig die Wucht der schlagartigen Geschwindigkeitssteigerung beim Abschuß die Menschen darin zerquetschen würde. Er kam auf die Rakete als Beförderungsmittel, weil sie sich nur langsam und mit zunehmender Geschwindigkeit in Bewegung setzt. Man hat seit damals unendlich viel gelernt, was der Mensch in Zusammenarbeit mit der Rakete auszuhalten imstande ist. Dr. Hubertus Strughold, ein deutscher Arzt, der seinerzeit die erste Vorlesung der Welt über die „Flugphysiologie des Menschen“ gehalten hat, wirkt heute auch in den Vereinigten Staaten. Dort ist, um einige praktische Ergebnisse zu nennen, der Testpilot Bill Bridgeman mit dem Raketenflugzeug Sky Rocket 25 km hoch gekommen. Ein anderer Testpilot, Charles Yaeger, hat mit dem Raketenflugzeug „X-l A“ 2900 km in der Stunde erreicht, ohne körperlichen Schaden zu nehmen. Freiwillige, die sich zu Geschwindigkeitsexperimenten auf den Raketenschlittenbahnen melden, nehmen um der Wissenschaft willen schwerste physische Anstrengungen auf sich. Die Raketenschlitten auf den Gleitbahnen bei Alamogordo in New Mexico und auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien erzielen 2400 km in der Stunde; die Menschen auf den Schlitten erleiden Nasenbluten in Strömen, und ihre Sehnen und Knochen reißen und krachen, als ob die ganze menschliche Konstruktion auseinanderginge.

Wir befinden uns in der Aera der Eroberung des Weltraums. Nur 50 Jahre sind vergangen, seit ein allgemein belachter Berliner „Erfinder“, Hermann Ganswindt, als „Edison von Schöneberg“ karikiert, das Raumschiff prophezeite. Der Russe Ziolkowskij hat die ersten wissenschaftlichen Berechnungen der Rakete für den kosmischen Raum aufgestellt; der Amerikaner Goddard hat die Düsen von Pulverraketen verfeinert, einer der wichtigsten Schritte zur Steigerung der Raketenflugmöglichkeiten; Hermann Oberth hat die Raumfahrt aus der Utopie zu einer Wissenschaft gemacht; von Zbörowsky und Walter entwickelten die Rakete zum verläßlichen Motor: und Wernher von Braun machte mit seiner V 2 den ersten konkreten Schritt in den Weltraum. Dieser erste Schritt war, wenn auch wider den Willen des Forschers, ein Schritt zur Vernichtung tausender Menschen der Zivilbevölkerung Londons und anderer britischer Städte — ein Jahr bevor die amerikanische Atombombe zehntausende Menschen in Hiroshima liquidiert oder zu langsamem Hinsterben unter Qualen verurteilt hat. Man vergesse diese weltgeschichtliche Ehe zwischen technischem Fortschritt und gräßlicher Vernichtung nicht. Doch heißt es, und das ist dem Menschengeschlecht gegeben, immer wieder die Hoffnung hoffen — sperare contra spem. So dachte auch Wernher von Braun in seinem Schreiben an die British Interplanetary Society in London, die ihn trotz der Toten Londons durch seine V 2 im Jahre 1949 zum Ehrenmitglied ernannt hat: „Wir wollen hoffen, daß es das letzte Gemetzel war und daß Raketen von nun an nur noch ihrer eigentlichen Bestimmung dienen werden — dem Weltraumflug!“ Und es brauchte dieser willkürlichen „eigentlichen Bestimmung“ der Raketen durch Wernher von Braun nicht, würde der Mensch als solcher seiner eigentlichen Bestimmung treu bleiben, Gott zu dienen.

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