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Völlig losgelöst von der Erde - auf ins All

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Patriotismus, aber auch die Demonstration von Macht und Überlegenheit waren starke Motivationen für das Vorantreiben der Weltraumprojekte der vergangenen Jahrzehnte. Mit dem Ende der Sowjetunion verlor dieser Wettbewerb seinen Reiz.

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Patriotismus, aber auch die Demonstration von Macht und Überlegenheit waren starke Motivationen für das Vorantreiben der Weltraumprojekte der vergangenen Jahrzehnte. Mit dem Ende der Sowjetunion verlor dieser Wettbewerb seinen Reiz.

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Auf der Suche nach neuen Anreizen und „Verkaufsargumenten” für die Raumfahrt hat man den Mond wiederentdeckt, zumindest in einer Studie der European Space Agency (ESA). Sie sollte grundsätzlich klären, auf welchen Gebieten der Raumfahrt Europa eine wichtige Rolle spielen könnte. In „Mondmission”, unter Mitarbeit von 75 Wissenschaftlern aus sieben europäischen Ländern, liegen die utopisch anmutenden Vorstellungen der Experten nunmehr vor.

Dank der amerikanischen Apollo-und der russischen Luna-Mondpro-gramme ist der Mond der besterforschte Planet neben der Erde. Er ist uns relativ nah (300.000 Kilometer) und er hat die gleiche Entstehungsgeschichte wie die Erde. Obwohl Amerikaner und Russen das ferne Raumfahrtziel „Mars” haben, der Mond bleibt auch für sie interessant - als Zwischenstation auf dem Weg ins All. Europas Visionen, bis hin zur Besie-delung unseres Nachbarplaneten, könnten daher durchaus auf Kooperationsbereitschaft treffen.

Monderforschung

Erst 14Prozent der Mondoberfläche sind erforscht. Ihn besser zu kennen, ist Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen. Die Experten empfehlen daher die genaue Vermessung der Oberfläche mit Satelliten und letztem technischen Know how. Die letzte Mondsonde war immerhin vor zwanzig Jahren dort!

Die Errichtung einer unbemannten Mondbasis wäre der nächste notwendige Schritt. Das Ziel: Die Erforschung der Umgebung - Meteoriten, Sonnenwinde, kosmische Strahlen - und aller Einflüsse, die das Gesicht des Mondes in den letzten drei Milliaren Jahren geformt haben. Automatische Kameras und Forschungsstationen für alle Disziplinen berichten von hier aus zur Erde. Ein funktionierendes „Transportsystem” für Proben vom Mond zur Erde könnte die Arbeit vor Ort ergänzen. Da die Zusammensetzung des Mondkörpers repräsentativ ist für viele Sonnensystemplaneten, erhofft man sich von der Erforschung des Mondkörpers Aufschluß über die interplanetarische Entwicklung vieler Milliarden Jahre zu gewinnen.

Neue Perspektiven der Beobachtung eröffnenObservatorienamMond. Dafür sprechen gleich eine ganze Reihe von Gründen: Weder Atmosphäre und Ionosphäre noch Weltraummüll trüben den Blick. Hohe Stabilität, das Fehlen elektromagnetischer Felder auf der Rückseite des Mondes, geringe Temperaturen, kein Licht und die geringe Mondumdrehung, die lange Beobachtungen erlaubt, sind ideale Bedingungen für die Himmelsbetrachtung. Die elektromagnetisch freie Umgebung des Mondes würde zu einer neuen Generation von Teleskopen führen, dem VLF - Very Low Frequency, meinen Wissenschaftler und empfehlen eine Planstudie für die zukünftige VLF-Astronomie von der erdabge wandten Seite des Mondes. Solch ideale Voraussetzungen und die neuen Radioteleskope ermöglichen die Beobachtung der Kometenaktivitäten, der Oberfläche und Atmo-

Sphäre von Planeten und die Entdek-kung bisher noch unbekannter interstellarer Sternformationen und Planetensysteme. Im Bereich der Spekulationen liegt das Aufspüren erdähnlicher Planeten und außerirdischer Intelligenzen.

Leben auf dem Mond?

Die „Monderforschung” wie auch die „Forschung vom Mond aus” wird ohne Menschen und deren Kreativität und Intelligenz nicht vollständig gelingen. Was also liegt näher, als sich Gedanken über die Besiedelung des Mondes zu machen?

Über die Entstehung des Lebens gibt es heute zwei Theorien. Die erste siedelt die Entstehung des Lebens auf der Erde an; die zweite spricht von außerirdischem Import auf die Erde. Im Rahmen der Monderforschung hofft man die Bestätigung für eine der beiden wissenschaftlichen Annahmen zu finden, vor allem dann, wenn organische Moleküle am Mond entdeckt werden würden. Die Theorie vom Import auf die Erde vor Milliarden Jahren wäre damit bewiesen.

Leben auf der Erde - ist es einmalig im Universum oder ist Leben ein planetarisches Phänomen?

Diese Frage aller Fragen hofft man unter anderem auch mit Hilfe der am Mond installierten VLF-Teleskope zu beantworten. Der Blick in die unendliche Weite des Weltraumes, der Wasservorkommen ortet und außerirdische Intelligenzen aufspürt - Fiktion oder Realität ?

Die größte Herausforderung wird sein, auf unserem Nachbarplaneten eine Umgebung zu schaffen, die Leben unter erdähnlichen Bedingungen ermöglicht.

Die Mondoberfläche ist, mangels Atmosphäre, jeglicher Art von Strahlen aus dem Weltraum ungeschützt ausgesetzt. Ein wirksamer Strahlenschutz müßte entwickelt werden. Die Erkenntnisse aus der Monderforschung über das Strahlungsfeld könnten dabei hilfreich sein. Die geringe Schwerkraft - ein Sechstel der auf der Erde vorhandenen Gravitation - ist ein weiteres Problem, das die Wissenschaft bei der Errichtung irdischer Lebenssysteme in den Griff bekommen muß.

Eine künstliche Welt im All

Das spektakulärste und schwierigste Projekt, da sind sich die Fachleute einig, werde die Schaffung; eines künstlichen Ökosystems mit Nahrungsversorgung, Luftaustausch und Abfallbeseitigung sein. Es wird daher empfohlen, eine eigene Planstudie in Auftrag zu geben. Diese soll prüfen, wie dieses sich selbsterhaltende Überlebens-Kreislaufsystem - unter Verwendung der am Mond reichlich vorhandenen Rohstoffe, Sonnenlicht und Wasser, das man dort zu finden hofft - aussehen könnte. Mikroorganisamen, Pflanzen und Tiere an die Mondumgebung anzupassen, ist dabei notwendig. Diesbezügliche Anpassungsstrategien müßten entwickelt werden.

Die Überlegungen, ein künstliches Ökosystem zu schaffen, sind keines-weg so utopisch, wie sie scheinen.

In der Nähe von Tucson, Arizona, läuft ein „Biophäre-2-Projekt”. Für zwei Jahre leben acht Menschen auf 13.000 Quadratmeter in totaler Isolation von Biospähre-1 , nur mit Energie von außen versorgt. Die künstliche Welt mit tropischem Regenwald, Ozean, Marschland und Wüste, Pflanzen und Tieren könnte wichtige Erkennmisse für eine künstliche Mond-Biosphäre bringen. So ist zu erwarten, daß das Projekt insgesamt wichtige Erkenntnisse bringt, doch der Versuch läuft unter normaler Erdschwerkraft, und die ist am Mond nicht vorhanden.

Die ESA- Studie „Mondmission” hatte das Ziel, mögliche zukünftige Ziele der Raumfahrt zu definieren. Kosten der Projekte wurden nicht vorgegeben. Vielleicht war das der Grund, daß die Visionen der Wissenschafter etwas übers Ziel schössen und daß zu erwarten ist, daß viele der durchaus realisierbaren Projekte mit dem Vermerk „zu teuer” in der Schublade verschwinden.

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