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Jenseits des Machbaren

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Wenn es darum geht, Industrie- Wachstum, Ressourcenvergeudung und Schadstoffproduktion zu verewigen, ist einigen Wissenschaftlern kein Vorschlag zu phantastisch.

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Wenn es darum geht, Industrie- Wachstum, Ressourcenvergeudung und Schadstoffproduktion zu verewigen, ist einigen Wissenschaftlern kein Vorschlag zu phantastisch.

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Nicht wenige Wissenschaftl????r zeigen sich über den Zustand des Blauen Planeten besorgt, steigende Kohlendioxidkonzentration (C02), die Vergrößerung des Ozonlochs, die Produktionszunahme synthetischer Stoffe, die in der Natur nicht oder nur sehr langsam abgebaut werden und so fort. Abhilfe sehen

sie nur in der Veränderung der Lebensgewohnheiten jenes Wesens, das sich selbst homo sapiens sapiens nennt.

Ihnen gegenüber stehen Wissenschaftler, die für große und größte Eingriffe in der Natur sind, um die Welt zu sanieren. Als Antwort auf die Schreckensvisionen der Weltklimakatastrophe fürdasJahr2100, wenn die Tropenwälder längst bis auf einige Reservate abgeholzt und auf gewaltigen Autobahnen Massenströme von Kraftfahrzeugen unterwegs sind, wenn in Indien 1,5 Milliarden Menschen „ wohnen" und die Bodenschätze unter dem Eispanzer der Antarktis gehoben werden, entwickelten sie Strategien, die ein Weiterwachsen der Industrie ermöglichen sollen:

Das Phytoplankton der Ozeane, das bis drei Gramm C02 pro Quadratmeter Ozean aus der Luft filtert, soff auch im südlichen Polar-

meer in den Reinigungsprozeß einbezogen werden. Bis jetzt sind die Eisfluten um die Antarktis zwar reich an Nährstoffen (Nitrate, Phosphate), doch die antarktischen Gewässer ernähren nur ein Zehntel des Phytoplanktons, das dort leben könnte. Meeresbiologen der Moss Landing Laboratories haben die Ursache dafür festgestellt: Der Eisenanteil beträgt nur ein Fünfzigste! der Konzentration in den wärmeren Meeren.

Eisen aber ist fürs Leben unentbehrlich. Daher sollen 3,2 Millionen Kubikkilometer Antarktiswasser mit Eisenpulver gedüngt werden. Dadurch würde sich eine Algenblüte ergeben, die das Polarmeer in einen Riesenstaubsauger verwandeln soll. 6,4 Milliarden Tonnen Kohlendioxid (das entspricht der Menge, die weltweit pro Jahr in die Atmosphäre geblasen wird) könnten aufgenommen werden.

Eine noch „kühnere" Idee äußerte Frederick Turner, Professor an der Universität in Texas. Die Beendigung des Kalten Krieges setzt Millionen und aber Millionen von Dollars frei. Die Menschen, die bisher an einer Hochtechnologie zur Vernichtung der Menschen gearbeitet haben, könnten daher, so Turner, neue Aufgaben _übernehmen. Die Erschließung des Planeten Mars soll so möglich werden. Aus dem unbewohnbaren N achbam im Weltall soll ein grüner Stern

werden, auf dem durch den Einsatz der Gentechnologie neues Leben entwickelt werden kann. Das soll kein Problem sein, da die Zusammensetzung der Mars-Atmosphäre jener auf der Erde entspricht.

Nach der Begrünung des Mars, nach der Umwandlung irdischen Lebens in außerirdisches hätte dann die Menschheit die Möglichkeit, Leben auf die Erde zurückzuführen, das mit hohen und höchsten C02- Konzentrationen fertig wird. Die NaturhatJahrmillionen gebraucht, um verschiedene Lebensformen zu entwickeln. An uns soll es nun liegen, die Evolution so zu beschleunigen, daß wir überleben können.

Der Druck der Marsatmosphäre entspricht freilich nur einem Hundertstel des irdischen, die Durchschnittstemperaturen liegen bei minus 28 Grad Celsius. Bedingungen, die von irdischen Lebensformen schwer zu ertragen sind, wenn man von einigen Bakterien absieht, die auch mit diesen unwirtlichen Bedingungen zurechtkommen. Um die Temperatur auf dem Mars global zu erhöhen, schlägt Turner vor, das dunkle Material, das die Oberfläche des Marsmondes Phobos bedeckt, in die Atmosphäre des Mars zu schießen !

Solche Visionen sollten eher der Science-Fiction-Literatur vorbehalten bleiben. Die Anmaßung des Menschen, die komplizierten Okosy, steme unseres Planeten durch

gigantische Technologien sanieren zu wollen, zeigt, daß der Lernprozeß und der Weg zur Erkenntnis, daß wir den Blauen Planeten nur von unseren Kindern und Kindeskindern geborgt haben, gepaart mit der nötigen Bescheidenheit, noch nicht weit fortgeschritten sind.

Der Klimaforscher Mojib Latif vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg warnt vor „gefährlichen Illusionen": „Werdas

Übel nicht bei der Wurzel packt, ist grundsätzlich bescheuert! " An der Frage, ob wir wirklich alles brauchen, was wir haben oder ob unser Lebensstandard nicht zu Lasten des Lebens geht, führt kein Weg vorbei.

ERRATUM: Welche Fehlleistung veranlaßte mich, FURCHE-Redakteur nicht seit gestern, in der Nummer28/1990im Bildtext auf Seite lOaus Willy Lorenz einen Friedrich zu machen? Ich kann nur weiter darüber nachsinnen - und mich bei Willy Lorenz und den Lesern entschuldigen. Hellmu???? Butterweck

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