Houston - © Foto: courtesy of Anthropocene Films Inc.©2018

Anthropozän: Es gibt kein Zurück mehr

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Die Ahnung von einem neuen Erdzeitalter ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Der Film „Die Epoche des Menschen“ zeigt dies in betörenden Bildern.

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Die Ahnung von einem neuen Erdzeitalter ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Der Film „Die Epoche des Menschen“ zeigt dies in betörenden Bildern.

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Etwas ist aus dem Lot geraten. Und da dieses Etwas systemisch stets mit einem anderen Etwas zusammenhängt, ist irgendwie alles aus dem Lot geraten: das Weltklima. Der globale CO2-Haushalt. Der Stickstoff- und Phosphorkreislauf. Das Netzwerk der Arten. Die Erde ist massiven Veränderungen ausgesetzt, und diese haben eine klar erkennbare Ursache: den „Faktor Mensch“. Obwohl die menschliche Spezies erst seit circa 200.000 Jahren auf der Bühne des Planeten erschienen ist, hat der „Homo sapiens“ dort bereits tiefe Spuren hinterlassen, die teils nicht mehr auszulöschen sind. Und das aus dem Lot geratene globale Gleichgewicht nimmt allmählich Konturen in gigantischem Maßstab an: als Anthropozän, als neues Erdzeitalter, als „Epoche des Menschen“.

Edward Burtynsky hat betörende Bilder dafür gefunden. Mit seinem Anthropozän-Projekt will er einen kritischen Moment der Erdgeschichte dokumentieren. Und mit Fotoausstellungen, Filminstallationen und 3D-Darstellungen in virtueller Realität ist es das größte Projekt geworden, das der kanadische Fotokünstler je in Angriff genommen hat; ein multimediales Gesamtkunstwerk mit edukativem Programm. Der Dokumentarfilm „Die Epoche des Menschen“, den Burtynsky dabei mit den Filmemachern Nicholas de Pencier und Jennifer Baichwal realisiert hat, präsentiert nun die eindrucksvollsten Aufnahmen von
einer Reise rund um die Welt: Wie bunte Puzzlesteine aus allen Erdteilen fügen sie sich zusammen, um eine unheimliche Ahnung von dem zu vermitteln, was der abstrakte Begriff des „Anthropozän“ für Menschen, Tiere und Pflanzen konkret bedeutet – und künftig bedeuten könnte.

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Je länger man der filmischen Bildsprache folgt, desto mehr dämmert die Einsicht, wo das Kernproblem zu finden ist.

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Müll-Deponie - Dandora, die ausufernde Mülldeponie bei Nairobi in Kenia, ist zum Biotop für Menschen, Tiere und Pflanzen geworden. - © Foto: ©Edward Burtynsky, courtesy Galerie Springer, Berlin/Nicholas Metivier Gallery, Toronto
© Foto: ©Edward Burtynsky, courtesy Galerie Springer, Berlin/Nicholas Metivier Gallery, Toronto
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Anthropocene - Brennendes Elfeinbein in Kenia: ein Symbol für den Kampf gegen die illegale Elefantenjagd. - © Polyfilm
© Polyfilm
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Carrara - Im italienischen Carrara wurde bereits in der Antike Marmor abgebaut. Heute haben moderne Maschinen die Arbeit übernommen. - © ©Edward Burtynsky, courtesy Galerie Springer, Berlin/Nicholas Metivier Gallery, Toronto
© ©Edward Burtynsky, courtesy Galerie Springer, Berlin/Nicholas Metivier Gallery, Toronto
  1. Dandora, die ausufernde Mülldeponie bei Nairobi in Kenia, ist zum Biotop für Menschen, Tiere und Pflanzen geworden.
  2. Brennendes Elfeinbein in Kenia: ein Symbol für den Kampf gegen die illegale Elefantenjagd.
  3. Im italienischen Carrara wurde bereits in der Antike Marmor abgebaut. Heute haben moderne Maschinen die Arbeit übernommen.

Oft reicht bereits ein einzelnes Bild, in dem das große Ganze aufzublitzen scheint: einer der weltweit größten Bagger, der im Tagebau bei Immerath in Nordrhein-Westfalen brutal in der Erde gräbt; die ausufernden Plastikberge der Dandora-Mülldeponie in Nairobi, Kenia; die rauchenden Erdölraffinerien in Houston, Texas, als trostlos schimmernde Nachtlandschaft.

Plutonium, Plastik & Co

Den Begriff des „Anthropozän“ hat der Atmosphärenforscher und Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorgeschlagen, um den Menschen als dominierenden Faktor für das weitere Schicksal dieses Planeten in den Fokus zu rücken. Dass die Erdgeschichte nach dem Holozän, dessen Beginn vor etwa 11.700 Jahren angesetzt wird, tatsächlich bereits ein neues Stadium erreicht hat, ist zwar immer noch nicht entschieden. Nach wie vor diskutieren die Experten, ob ein neues Erdzeitalter wissenschaftlich begründbar ist. Marker, an denen dies festgemacht werden könnte, gibt es einige: etwa das Plutonium von den Nuklearwaffentests der 1950er- und 60er-Jahre, Spuren aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, Reste von Plastik, Beton oder Kunstdünger. Sie alle haben sich in den Gesteinsschichten niedergeschlagen. Nun werden sie anhand von Proben aus den geologischen Schichten analysiert und über die letzten 300 Jahre verglichen.

In zwei Jahren soll die internationale Anthropozän-Arbeitsgruppe, in der mit Michael Wagreich auch ein Forscher der Universität Wien vertreten ist, darüber abstimmen, ob ein neues Erdzeitalter offiziell anzuerkennen ist. Danach müssen jedoch auch die Internationale Kommission für Stratigrafie (ICS) sowie die Internationale Gesellschaft für Geowissenschaften (IUGS) ihre Zustimmung erteilen. Das könnte frühestens 2024 der Fall sein. Doch unabhängig von seiner akademischen Bestätigung floriert der Begriff des „Anthropozän“ schon längst weit über den Fachdiskurs hinaus – in den großen Debatten der Gegenwart ebenso wie in der künstlerischen Imagination.

Atacama, Chile: Ein Verdunstungsbecken, in dem Lithium gewonnen wird, erscheint aus der Vogelperspektive. Hier, in der trockensten Wüste der Welt, wird der Treibstoff für die digitale Welt gewonnen: Lithium findet sich in den Smartphones ebenso wie in den Batterien der Elektroautos. Das Becken glitzert in der Sonne, die Kamera verweilt auf den psychedelisch schillernden Farben. In BurtynskysBildern wird selbst die menschbedingte Zerstörung ästhetisiert, um die Zuseher in den Bann zu ziehen: das Fällen eines Baumes, das Verbrennen von Elfenbein, das Bleichen der Korallenriffe im Zeitraffer. „Es gibt diesen Moment der Ehrfurcht und Entdeckung, wenn man etwas ursprünglich Schönem begegnet“, sagte der Künstler letztes Jahr im FURCHE-Interview. „Wenn man ein bisschen Zeit damit verbringt, wird einem klar, worum es eigentlich geht (...).Die Zuseher beschäftigen sich weiterhin damit – trotz der unbequemen Wahrheiten, die dahinter stehen.“

Gaia unter Druck

Mit Erläuterungen aus dem „Off“ bietet der Film, der an der Kreuzung von Kunst und Wissenschaft positioniert ist, auch harte Fakten. Und dekliniert die großen Themen des Anthropozäns: den globalen Raubbau an den Rohstoffen, den Klimawandel und das Artensterben, die wachsende Technosphäre durch Müll und andere „Terra-Fossilien“ sowie die drastische Umgestaltung der Erdoberfläche durch Rodung oder Urbanisierung. Die Dialoge mit den gezeigten Personen bleiben hingegen oft oberflächlich. Doch Bilder sagen ohnehin mehr als Worte, und je länger man der Bildsprache folgt, desto mehr dämmert die Einsicht, wo hier das Kernproblem zu finden ist: im grausamen Umgang der menschlichen Spezies mit „Mutter Erde“ (die in der umstrittenen Gaia-Hypothese sogar als eigenständiger Organismus gesehen wird). An allen Schauplätzen, von Sibirien bis Südamerika, wird sie derangiert und misshandelt, geschunden und verletzt, manipuliert und ausgesaugt. Und das wird manchmal sogar gefeiert und beklatscht, so wie 2016 bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels in der Schweiz.

Aus menschlicher Perspektive ist das durchaus berechtigt, denn es ist eine herausragende Leistung, Bergmassive mit einem 57 Kilometer langen Tunnel zu durchlöchern und darin Züge verkehren zu lassen. Der Film stiftet allerdings zum Perspektivenwechsel an und animiert zu so etwas wie einer planetarischen Sichtweise: „Mutter Erde“ wird hier zum Gegenüber des Menschen.

An allen Schauplätzen des Films wird ‚Mutter Erde‘ derangiert und misshandelt, geschunden und verletzt, manipuliert und ausgesaugt.

Im Marmorsteinbruch im italienischen Carrara plagen sich die Bagger mit riesigen Gesteinsbrocken. Mit gewaltigen Greifzangen versuchen sie, diese herauszulösen, doch das fordert selbst die modernen Maschinen. Der Stein bleibt lange regungslos, während die Bagger beben und mitunter sogar vom Boden abheben – bis endlich doch ein Brocken aus der Wand herausgerissen wird. Bereits die antiken Römer haben hier Marmor abgebaut. Die Dynamik, die das Anthropozän hervorgebracht hat, entsteht schon im Altertum.

Doch die Technologie-Entwicklung seit der Industrialisierung führt nun zu „Kollateralschäden“ im globalen Maßstab. Hinzu kommt die wachsende Weltbevölkerung, die im Jahr 2050 von derzeit knapp acht auf knapp zehn Milliarden angewachsen sein soll. Der Druck auf Gaia wird weiter steigen. „Die Erde hat Fieber und muss wieder abkühlen. Wir sind ihre Betreuer. Wenn wir uns in puncto ‚Lebensstil’ gar nicht verändern, dann wird unsere Prognose nicht gerade günstig sein“, sagt Edward Burtynsky, der sein Projekt jedoch nicht als Anklage verstanden wissen will. „Jeder ist doch auf die eine oder andere Art in die
Probleme des Anthropozän verstrickt.“

Auch wenn die offizielle Anerkennung noch aussteht: Das Anthropozän ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Die planetarische Sichtweise sollte fortan zum Maß aller Dinge werden. Es gibt kein Zurück mehr.

Anthropoce Film - © Polyfilm
© Polyfilm
Film

Die Epoche des Menschen (Anthropocene: The Human Epoch)

CA 2018. R: Jennifer Baichwal, Edward Burtynsky, Nicholas de Pencier.
Mit Hannes Jaenicke, Alicia Vikander.
Polyfilm. 87 Min.

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