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Droht uns Gefahr von neuen Arten?

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Der deutsche Zoologe und Evolutionsbiologe Hubert Marki gibt Biologen und Biochemikern das gute Gefühl, nur die Naturwissenschaften seien zu Rettern der Welt berufen.

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Der deutsche Zoologe und Evolutionsbiologe Hubert Marki gibt Biologen und Biochemikern das gute Gefühl, nur die Naturwissenschaften seien zu Rettern der Welt berufen.

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Hubert Marki, Präsident der deutschen Forschungsgemeinschaft, ist eine kompetente Auskunftsperson, wenn es darum geht, den Bewußtseinsstand einer breiten Schicht von Naturwissenschaftlern in Sachen Menschheitsgefährdung und Alter-

nativen zu erkunden. Seine Aufsatz- Sammlung „Evolution, Genetik und menschliches Verhalten“ wird von immer mehr Biologie- und Biochemie-Studenten gelesen. Sie gibt ihnen das Gefühl, allein sie seien zur Rettung der Menschheit berufen.

Der, so Marki, stehe „das Wasser hoch am Hals, und wenn der Geruch nicht täuscht, handelt es sich dabei zunehmend um Abwasser“ - ein Erstarren vor der Gefahr sei aber genauso gefährlich wie unbedachter Wagemut.

Marki bereichert das Repertoire apokalyptischer Gefahren tim eine bisher kaum genannte: Die ökologischen Nischen, die durch das gewaltige Artensterben, das heute stattfindet, entstehen, könnten durch noch nicht existierende Arten besetzt werden, die dem Menschen das Leben sauer machen. Es sei nicht nur möglich, sondern würde sogar der Logik der Evolution entsprechen, würden neue Lebensformen gerade jene chemischen Stoffe, mit denen der Mensch das große Artensterben in Gang setzte, nicht nur „vertragen“, sondern sogar zu ihrer Lebensgrundlage machen.

„Die Menschheit beherrscht mit ihren wenigen Dutzend Nutzpflanzen- und Nutztierarten weltweit bereits den größten Teil der produktiven Landbiotope; sie kontrol-

liert damit einen größeren Anteil am Energiefluß biologischer Nahrungsketten als jede andere biologische Spezies, ja bald mehr als alle anderen gemeinsam. Es gibt bereits heute keinen Bereich unserer Erde, der nicht durch Folgen menschlichen Wirtschaftens beeinflußt und verändert wäre, von der fernen Antarktis bis zur Gashülle der äußeren Atmosphäre, von den Gletschern der Hochgebirge bis in die tiefe See…

Überdies ist keine der relevanten ökologischen Belastungsgrößen stabil, keine hat ein Maximum, geschweige denn ein Optimum erreicht. Mit annähernd zwei Prozent Zuwachsrate schwillt die verbrauchende, ausbeutende, abfallerzeugende Menschheit jetzt jedes Jahr um etwa 90 Millionen weiter an, das heißt, alle drei Jahre kommt zusätzlich die Gesamtbevölkerung der Europäischen Gemeinschaft dazu.“

Ein immer kleinerer Teil lebt in tradierten ökologischen Zusammenhängen, das ökonomische Gefälle wird immer unerträglicher. Marki sieht „in ihren Auswirkungen gar nicht überschaubare Selektionsdrucke“ wirken:

„Machen wir uns nichts vor: Eine 200-Millionentonnen-Menschheit mit einer Mil liardentonnen-Getrei- de und Feldfruchtproduktion, mit 1,2 Milliarden Rindern, 1,1 Milliar- denSchafen, 0,8 Milliarden Schweinen, 0,5 Milliarden Ziegen, von Hunden und Katzen, Hühnern, Gänsen und Enten ohne Zahl ganz zu schweigen, ist für die Organismenwelt um uns nicht nur ein atemberaubend drückender Koloß, sondern zugleich eine gigantische Ressource, ein Dorado an organischer Substanz, die mein anzapfen und ausbeuten kann. Es glaube niemand, daß die Evolution der Bakterien und Pilze, der Würmer und Schadinsek-

ten sich verlangseunt hat oder zum Stillstand gekommen ist, nur weil so viele Blumen und Schmetterlinge, Vögel und Fische verschwinden…

‘Das Imperium schlägt zurück : Das ist eben in ganz anderem Sinne wirklich Science Fiction, denn vor allem der Science, der Wissenschaft verdankt der Mensch ja seinen überwältigenden Erfolg, und sie erfinden in einer Fiction, die nur allzu schnell reale Wirklichkeit wird, eben dadurch ständig neue Wirklichkeiten, mit denen die Reiche der Mikroben, Pflanzen und Tiere nicht nur geschlagen sind, sondern gegen die ihr Evolutionsvermögen auch unausweichlich immer wieder zurückschlägt.“

Nur wissenschaftlicher Fortschritt einechließlichmolekularbio- logisch-b iotechnischer Grundlagenforschving könne Rettungsanker zur Verfügung stellen: „Das Leben auf dieser Erde hat des öfteren vergleichbare Umbrüche meistern müssen, wobei der Entdeckung neuer genetischer und biochemischer Verfahren stets ausschlaggebende Bedeutung zukam. Alles spricht dafür, daß es der Menschheit nur dann gelingen kann, diese Herausforderung zu bestehen, wenn sie sich mit Augenmaß aller erdenklichen und vernünftigen wissen- schaftlich-technischenMöglichkei- ten bedient, um an die Stelle einer Schadensfolgen anhäufenden, Ressourcen verschwendenden und Lebensgrundlagen zerstörenden Extensivwirtschaft eine hochproduktive, langfristig ohne Schadensakkumulation beständige Intensivzivilisation treten zu lassen.

Voraussetzung dafür ist erstens das klare Langfristziel lebens- und umweltverträglicher, wenn schon nicht im hergebrachten Sinn naturverträglicher Lebensführung, und zweitens mehr Wissen über die Bedingungen dafür und die technischen Mittel und Wege dorthin. Wissen und Können - mit ethisch zulässigen Mitteln erworben, zu sittlich erlaubten Zwecken eingesetzt — sind immer und uneingeschränkt besser als Unwissenheit und Hilflosigkeit.“

Was Marki vorschlägt, ist eine wissenschaftliche Vorwärtsstrategie. Niemand wird ihm widersprechen, wenn er meint: „Weniger wissen und weniger können löst keines der drängenden und uns bedrohenden Probleme, es kann uns allenfalls über verhängnisvolle Entwicklungen täuschen… Eine Krise ist keine Katastrophe, sie muß auch nicht zu einer Katastrophe führen. Eine Krise ist vor allem eine Herausforderung, es eben nicht zur Katastrophe kommen zu lassen.’

Leider nimmt der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft genau jene Haltung, die er den Wissenschafts-Skeptikern vorwirft, im Hinblick auf nicht von den Naturwissenschaften entwickelte Strategien zur Krisenbewältigung selber ein, wenn er lapidar erklärt, den Weg zurück in bescheidenere Lebensweisen gebe es nicht. Und genauso illusionistisch sei die Forderung, wir sollten „aufhören mit der Landnahme, aufhören mit dem Konsumzuwachs…, aufhören mit der fortschreitenden Biotopzerstörung…“

So gelangt er zu einem Bild des Menschen als eines Wesens, das mittels Wissenschaft in kurzer Zeit neue Evolutionsprozesse erfolgreich in Gang setzen kann, aber nicht in der Lage ist, der Evolution eine ihrer ältesten Strategien abzuschauen, Sackgassen zu erkennen und Fehlentwicklungen nicht weiter zu verfolgen. Und das ist schade bei einem Mann, dem man in so vielen Punkten zustimmen kann.

EVOLUTION, GENETIK UND MENSCHLICHES VERHALTEN. Von Hubert Marki. Serie Piper. Piper Verlag, München 1989. 132 Seiten. Tb., öS 99Z4

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