UNO-Klimakonferenz in Glasgow
DISKURSUN-Klimagipfel: Planet der Gefühle
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zu wenig, um die Klimakrise zu bewältigen. Um angemessen zu reagieren, braucht es eine wichtige Zutat: Mitgefühl. Ein Essay anlässlich des Weltklimagipfels in Glasgow.
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zu wenig, um die Klimakrise zu bewältigen. Um angemessen zu reagieren, braucht es eine wichtige Zutat: Mitgefühl. Ein Essay anlässlich des Weltklimagipfels in Glasgow.
Die Erde hat Fieber. Angesichts der Klimakrise ist das ein häufig bemühtes Bild. Und es passt doppelt. Einerseits entspricht die globale Erwärmung dem menschlichen Maßstab des Fiebers. Das angestrebte Klimaziel von maximal 1,5 Grad Celsius Erderwärmung ginge da noch als „erhöhte Temperatur“ durch. Die Staatengemeinschaft versucht, die Fieberkurve abzuflachen. Doch die 2,7 Grad globale Erwärmung, auf die wir laut einem aktuellen UN-Report derzeit zusteuern, sind klar im kritischen Bereich. So wie man sich um einen Patienten mit knapp 40 Grad Fieber ernsthafte Sorgen machen muss, zeichnen Modelle bei rund drei Grad Erderwärmung bedrohliche Szenarien: 3,9 Milliarden Menschen würden dann in Regionen leben, in denen das Wasser knapp wird. Die Folgen wären unabsehbar: So haben Dürren bereits in Syrien zu einem langjährigen verheerenden Krieg beigetragen.
Das Bild des fiebernden Planeten weckt andererseits eine vermenschlichte Vorstellung von Mutter Erde. Der Naturforscher James Lovelock hat diese uralten Fantasien in den 1970er Jahren erstmals in eine – bis heute umstrittene – wissenschaftliche Theorie gegossen. Laut seiner Gaia-Hypothese erscheint unser Planet als eine Art Superorganismus, der mit selbstregulativen Mechanismen ausgestattet ist. Der Begriff „Gaia“ bezeichnet die Erdgöttin, die „große Mutter“ des griechischen Mythos, den Urquell des Lebens.
Wenn der Planet nun an Fieber leidet, könnte man also darauf hoffen, dass seine Biosphäre über genügend Selbstheilungskräfte verfügt. Welche Rolle aber spielen die Menschen im Bild dieser planetarischen Krankheit? Sie sind die Krankheitserreger und die Abwehrzellen zugleich. Der US-Umweltaktivist Paul Hawken sieht in ökologisch engagierten Organisationen eine „Immunantwort“ der Menschheit, die wie spontan entsteht, um den Planeten vor den krankmachenden Kräften zu schützen. „Das Wort ‚Immunität‘ kommt aus dem Lateinischen im munis, was ‚bereit zu dienen‘ bedeutet“, schreibt er in seinem Buch „Wir sind der Wandel“ (Hans-Nietsch-Verlag 2010).
Soziale Immunantwort
Ähnlich wie das Immunsystem die innere Verteidigungslinie eines Organismus ist, so sei Nachhaltigkeit eine Strategie, die es der Menschheit ermögliche, in ein globales Gleichgewicht zurückzufinden. Bleiben wir bei diesem Bild: Es geht darum, dass die Gattung Mensch dem Planeten dienlich wird. Fakten allein aber sind zu wenig, um diesen Wandel zu schaffen. Sich nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse vor Augen zu halten, reicht nicht aus, um angemessen zu reagieren. Das zeigt auch die aktuelle Phase der Corona-Pandemie drastisch.
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