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Digital In Arbeit

Druck auf die Politiker erzeugen

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Seit fünf Jahren beobachtet das "Worldwatch Institute" den Zustand der Erde. Im folgenden ein Gespräch mit dessen Leiter über die aktuelle Lage und notwendige Konsequenzen.

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Seit fünf Jahren beobachtet das "Worldwatch Institute" den Zustand der Erde. Im folgenden ein Gespräch mit dessen Leiter über die aktuelle Lage und notwendige Konsequenzen.

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FURCHE: Wie ist der Gesundheitszustand des Planeten Erde?

LESTER BROWN: Er verschlechtert 6ich. Bei der Erarbeitung des jährlichen Berichts über den Zustand der Erde (“State of the World") erheben wir den physischen Status des Planeten. Bei der Bewertung aller wesentlichen “Lebenszeichen“ erkennt man, daß sich dieser Zustand verschlechtert. Wir haben nicht ein einziges Anzeichen entdeckt, das sich innerhalb der letzten fünf Jahre zum Besseren verändert hätte. Die Waldfläche ist Jahr für Jahr kleiner geworden. Die Wüsten haben sich ausgedehnt. Die Bodenschicht ist dünner geworden. Die Ozonschicht wurde anscheinend weiterabgebaut. Der Kohlendioxidgehalt ist gestiegen. Die Vielfalt der Lebewesen nimmt ab.

FURCHE: Warum wählen Sie einen globalen Ansatz, wenn doch das Gros der Entscheidungen auf Länder ebene zu fallen hat?

BROWN: Die einzelnen Länder haben keine imabhängigen Öko- Systeme. Wir alle haben eines gemeinsam : das Klima-System. Wir müssen daher einen Vorstellungsrahmen entwickeln, der uns erkennen läßt, wie die Dinge auf der Welt Zusammenhängen.

In “State of the World“ wird Maumoon Abdul Gayoon, der Präsident der Malediven im Indischen Ozean, zitiert, der davon spricht, daß sein Volk bedroht ist - und zwar von der Energiepolitik der anderen Nationen. Der fortgesetzte Einsatz fossiler Energie wird zu einem Anstieg des Kohlendioxid-Gehalts der Luft und damit zu einer Erwärmung der Erdatmosphäre führen. Dadurch steigt wiederum der Meeresspiegel, wodurch voraussichtlich ein Großteil der Malediven-Inseln (von denen viele nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen) überflutet werden wird.

Das Schicksal der Welt häng{ auch vom Erfolg der Agrarreform in der Sowjetunion ab. Kommt sie gut voran, so wird das zu einem bedeutenden Anstieg der Energie-Effizienz - und damit zu weniger Kohlendioxid-Ausstoß - führen.

FURCHE: Wie macht man den Regierungen klar, daß sie gegen etwas so wenig Greifbares, wie es Klimaveränderungen sind, heute schon Maßnahmen setzen müssen?

BROWN: Die Klimaveränderung - mit Temp eraturveränderungen von nur ganz wenigen Graden - ist schwer als Gefahr greifbar zu machen. Man muß sie den jeweils örtlich Betroffenen plausibel machen: Kommt es etwa zu einer Verdoppelung des Kohlendioxidgehalts der Luft, so wird es beispielsweise in Washington statt bisher 36 in Zukunft 87 Tage mit Temperaturen von mehr als 32 Grad Hitze geben.

FURCHE: Versuchen Sie die Aufmerksamkeit der Politiker auf solche Probleme zu lenken?

BROWN: Ich glaube, daß es zunächst nicht so sehr um die Aufmerksamkeit der Politiker, sondern um die der Öffentlichkeit geht. Sobald sich die Öffentlichkeit, beispielsweise über den Abbau der Ozon-Schicht, zu sorgen beginnt, werden auch die Politiker ansprechbar. Politiker neigen dazu, sich auf wenige politische Anliegen - die sie zu beherrschen meinen - zu konzentrieren. Die Klimaveränderung ist für sie zu abstrakt. Vielleicht wird der Giftmüll ein politisches Thema.

FURCHE: Was können Techniker dazu beitragen, eine nachhaltige, zukunftsträchtige Wirtschaftsweise zu ermöglichen?

BROWN: Würde ich mich auf ein Technikstudium stürzen, so würde ich mich fragen, wo ich einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Bei der Energie liegen da beispielsweise die günstigen Perspektiven nicht mehr bei der Atomtechnik, sondern bei den photo-voltaischen Zellen, die Sonnen- in elektrische Energie um wandeln, oder bei der Erdwärme oder bei der Energie aus dem Wind. Die emeuerbaren Quellen der Energie haben Zukunft.

Ingenieure könnten auch Fragen der Energie-Effizienz aufgreifen: Wie sind Bauwerke zu konzipieren, dieEnergieverlusteminimieren?Wie müssen Verkehrssysteme aussehen, die das Ansteigen der Kohlendioxidemissionen verhindern? Das sind die Fragen, von denen die Zukunft der Menschheit abhängt.

FURCHE: Welche technischen Entwicklungen faszinieren Sie?

BROWN: Da würde ich relativ einfache Techniken nennen. Denken wir an Recycling: Wir könnten Behälter entwickeln, die für die Aufbewahrung aller Flüssigkeiten geeignet sind. Statt sie wegzuwerfen, würden wir diese Behälter einfach waschen, die Etiketten wegnehmen und neue anbringen. Wir könnten auf diese Weise ein im

Vergleich zu heute enorm wirksames System entwerfen. Es ist eine ganz einfache Idee, die vollständig in der Reichweite unserer Technik liegt.

Eine unverhältnismäßig große 2£ahl junger Leute kommt zu uns ans “Worldwatch’’-Institut. Viele von ihnen sind sehr talentiert. Sie könnten sich jeder Richtung - von denen einige sehr lukrativ erscheinen - zuwenden.

FURCHE: Welche positive Entwicklungen erhoffen Sie sich von den kommenden Jahren?

BROWN: Da gibt es einiges, was man sich in Erinnerung rufen sollte.

Erstens hat sich ein öffentliches Bewußtsein in Umweltfragen en wickelt, das es vor Jahren einfach noch nicht gab. Eine Verwaltung, die Sensibilität für diese Fragen entwickelt, könnte rasch zu Entscheidungen kommen und die Dinge damit bald ins Rollen bringen.

Können wir als Zivilisation auf die Bedrohung der klimatischen Veränderungen reagieren? Ich weiß es nicht Wenn wir jedoch nicht von dem Trend globaler Erwärmung wegkommen, ist es nicht schwer vorherzusehen, daß wir in absehbarer Zeit all unser Kapital dazu einsetzen werden müssen, um unsere Wirtschaft an die veränderten klimatischen Gegebenheiten anzupassen. Unsere gesamte heutige Landwirtschaft - mit ihrem Bewässerungssystem und ihrer Fruchtfolge - ist auf ein klimatisches Regime eingestellt, das sich seit Beginn landwirtschaftlicher Tätigkeit nur geringfügig geändert hat. Mit einem steigenden Niveau der Weltmeere zurechtzukommen, würde außergewöhnliche hohe Ausgaben zum Schutz des Reisanbaus in den Deltas und den reichen Tiefebenen Asiens erfordern. Die Bewahrung der tiefliegenden Städte der Welt könnte sogar noch viel aufwendiger werden. Die für all das notwendigen gigantischen Aufwendungen könnten unsere wirtschaftliche Entwicklung zu einem vollständigen Stillstand bringen.

FURCHE: Welche Mittel sind ihrer Meinung nach zur Rettung erforderlich?

BROWN: Die ersten notwendigen Schritte würden etwa 150 Milliarden Dollar erfordern. Das erscheint viel, ist aber nur ein Sechstel des Gesamtbetrags von rund 900 Milliarden Dollar, die wir weltweit in die Rüstung stecken. Wir sind fixiert auf eine militärische Vorstellung von Sicherheit. Für einige Länder bedeutet aber das Anwachsen der Wüsten eine weitaus schwerer wiegende Bedrohung. Wenn wir uns entschließen, die Welt zu retten, dann wird dies substantielle Anstrengungen erfordern. Fast alle diese Investitionen werden aber einen beachtlichen Ertrag abwerfen.

Lester Brown ist Leiferdes ‘Worldwntd\ Institute’ in Washington D.C.,das Jahresberichte über den Zustand der Erde veröffentlicht Das Interview ist ein Auszug aus Dialogue 3/1969. Aus dem Englischen von Christof Gaspari.

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