Versuch, nach den Sternen zu greifen

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Brauchen wir etwas so Fundamentales wie eine Dritte Industrielle Revolution, das heißt eine nachhaltige Transformation der heutigen Industriegesellschaften? Lässt sich eine solche Veränderung intellektuell vorzeichnen, anstoßen und beschleunigen? Ja, meinen zwei Klimaexperten und legen Denkanstöße vor.

Politisch ist die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Fall der Berliner Mauer zu Ende gegangen, sozioökonomisch jedoch erst mit der aktuellen globalen Wirtschaftskrise. Letztere zeigt unbarmherzig auf, dass ein immerwährendes Wachstum ein und desselben Systems auf einem begrenzten Planeten nicht möglich ist.

Dies gilt auch für Naturkapital: Die Mengen an fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgas, Kohle), die die Menschheit gegenwärtig pro Jahr verfeuert, haben durchschnittlich etwa eine Million Jahre benötigt, um sich in geo-chemischen Prozessen zu bilden. Nur durch diese hemmungslose Ressourcenverschleuderung und insbesondere durch die Bereitstellung einer scheinbar nahezu kostenlosen mineralölgestützen Mobilität ist die sogenannte Globalisierung zustande gekommen, welche allen Menschen auf direkte oder indirekte Weise Wohlstand bringen sollte. Nicht nur hat sich letztere Erwartung keinesfalls erfüllt, obwohl sich die Erschöpfung des entsprechenden Naturkapitals in einigen Jahrzehnten abzeichnet, was wiederum – ohne bezahlbare Alternativen – Milliarden Menschen in die Energiearmut absinken lassen dürfte. Darüber hinaus haben die (unbeabsichtigten) Nebenwirkungen der fossil-industriellen Betriebsweise, insbesondere die Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts, ein inakzeptables Risiko heraufbeschworen: nämlich die irreversible Destabilisierung des globalen Klimasystems.

Wir brauchen rasch eine große Transformation unseres wirtschaftlichen Lebens, wenn wir Umweltbedingungen erhalten wollen, die eine Hochzivilisation mit neun Milliarden Menschen erst möglich machen. Der in Gang zu setzende Prozess muss in qualitativer und quantitativer Hinsicht „transformativ“ sein und die meisten Wirtschaftsvorgänge auf diesem Globus erfassen. Obgleich man es im Alltag kaum spürt, ist klar, dass unser Wohlstand weitgehend auf der preiswerten Verfügbarkeit archaischer Brennstoffe beruht. Der gegenwärtige Weg zum Wohlstand ist eine historische Sackgasse. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen von Tag zu Tag deutlicher, wie wenig wir uns den ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen noch leisten können. Die globale Durchschnittstemperatur ist gegenüber dem vorindustriellen Niveau bereits um 0,8 Grad Celsius gestiegen. Eine noch viel stärkere Erwärmung ist „vorprogrammiert“ – die Treibhausgase sind bereits freigesetzt, sie werden ihre Wirkung aber erst in den kommenden Jahrzehnten entfalten.

Eine Publikation der renommierten Atmosphären- und Klimawissenschafter Ramanathan und Feng in den „Proceedings of the US National Academy of Sciences“ aus dem Jahr 2008 legt sogar nahe, dass sich eine planetarische Mindesterwärmung um 2,4 Grad Celsius nicht mehr vermeiden lässt, mit Argumenten, die sich zumindest nicht ohne Weiteres von der Hand weisen lassen.

Gewaltige Herausforderung

Bei einem Temperaturanstieg von über zwei Grad Celsius wären nicht nur graduelle Veränderungsprozesse – etwa eine Zunahme der Windgeschwindigkeiten bei Orkanen oder ein durch die thermische Ausdehnung des Wassers bedingter Meeresspiegelanstieg – zu erwarten. Mehr und mehr drohen hochgradig nichtlineare Entwicklungen. Grundelemente des Klimasystems könnten irreversibel in einen anderen Zustand umschlagen – mit Konsequenzen, die sich heute kaum vorhersehen lassen.

Um überhaupt die ernsthafte Chance zu wahren, das Klimasystem im Gleichgewicht zu halten und abrupte Veränderungen zu verhindern, wird man die atmosphärische Konzentration von Kohlendioxyd (dem wichtigsten Treibhausgas) auf einem Niveau von unter 400 ppm stabilisieren müssen – vor Beginn der Industrialisierung lag diese Konzentration bei 280 ppm, mittlerweile hat sie das 385-ppm-Niveau erreicht. Ernsthafter Klimaschutz bedeutet daher: Bis zum Jahr 2050 müssen die Treibhausgasemissionen global um 50 bis 80 Prozent sinken. Am Ende des Jahrhunderts sollte der Nullpunkt nahezu erreicht sein. Will man den Entwicklungs- und Schwellenländern dennoch eine Wachstumsperspektive ermöglichen, so werden die Industriestaaten nicht umhinkommen, ihre Emissionen bis 2050 um mindestens 90 Prozent zu reduzieren.

Wie soll das alles möglich sein? Mit Sicherheit nicht ohne den Einsatz neuer und neuartiger Techniken, insbesondere der umfassenden Nutzung der Sonnenenergie. Wir benötigen intelligente und nahezu verlustfreie Netze für den Stromtransport; Mobilität muss auf alternative Weisen angetrieben werden; Gebäude können und sollten von Wärmeschleudern in Kraftwerke verwandelt werden. Auch werden wir alle unter Effizienz etwas völlig anderes verstehen müssen, als wir es bislang zu denken gewöhnt sind. Für unsere Fragestellung bedeutet dies: Der erforderliche Wandel wird so fundamental sein, dass der Begriff einer „Industriellen Revolution“ ihn tatsächlich passend beschreibt.

Damit kommen wir zum intellektuellen Agens des Wandels: Brauchen wir ein „Apollo-Projekt“ für den Klimaschutz, also ein öffentlich gefordertes und gefördertes internationales Programm, das die besten Ideen und Umsetzungsvorstellungen bündelt? Erneut lautet die Antwort: „Ja“.

Sie beruht auf langjähriger Beobachtung des politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Geschehens im Klimabereich. Viele andere Mittel, die helfen, Innovationsprozesse zu beschleunigen, sind erforderlich, doch keines kann konzertiertes Handeln zur Entwicklung und Implementierung der entscheidenden Nachhaltigkeitskonzepte gänzlich ersetzen, denn keines ermöglicht den Systemwechsel. Ein Blick auf das übrige Instrumentarium verdeutlicht dessen Grenzen und zeigt die Lücke auf: Alle klimapolitischen Sonntagsreden rufen zur Selbstbeschränkung auf oder appellieren an den mündigen Verbraucher. Außer Frage steht, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem breiten Spektrum der Möglichkeiten, die eine freiheitliche Welt bietet, unverzichtbar ist. Zu Recht hat Harald Welzer kürzlich die Verantwortung der Eliten beim Klimaschutz beschworen – sie sind es, die die Lebensstilentwürfe einer Gesellschaft prägen. Und dennoch: Wir sind alle Ich-bestimmte Menschen und kennen die Grenzen der Opferbereitschaft für das Allgemeine.

Aus diesem Grund müssen Innovationsprozesse institutionell induziert werden. Traditionell geschieht dies ordnungsrechtlich, das heißt durch Ge- und Verbote. Hinzu treten Fördermaßnahmen zur Markteinführung und -steuerung, also Subventionen, Abnahmepflichten usw. Seit einigen Jahren werden überdies die grundlegenden Mechanismen des Marktes genutzt. Wir gestalten diesen so, dass künstliche Knappheiten Antriebe zur Innovation darstellen. Mit dem Europäischen Emissionshandel hat man ein ökonomisch sinnvolles Instrument des Klimaschutzes geschaffen und eine konzeptionelle Grundlage zur langfristigen Ausgestaltung eines internationalen Klimaschutzsystems gelegt.

Ein Apollo-Projekt für den Klimaschutz

Dennoch besteht Grund zur Annahme, dass weder eines dieser rechtlich verbindlichen Instrumente der Innovationsförderung allein noch eine intelligente Kombination aus allen einen Systemumbruch ermöglichen wird. Der Grund ist einfach: Die Politik wird kaum den Mut besitzen, Grenzen zu setzen, die die Rentabilität klimaschädlicher Handlungsweisen völlig aufhebt, sofern noch keine bezahlbaren Alternativen auf dem Tisch liegen.

Weniger die kurz-, als vielmehr die längerfristigen Innovationsprozesse erfordern ein stärkeres Engagement öffentlicher Geldgeber. Hiermit lässt sich das Risiko der Wirtschaft reduzieren, auf das falsche Pferd zu setzen. Außerdem entsteht Vertrauen in die Bereitschaft der Politik, rechtzeitig den Rahmen für den Erfolg der Innovationen zu setzen. Wie man dieses konzertierte Zusammenwirken nennt, ist nicht entscheidend. Der Begriff „Apollo-Projekt“ macht immerhin deutlich, worum es geht: Wir müssen versuchen, nach den Sternen zu greifen. Ohne Masterplan wird dies nicht gelingen.

Eigentlich sollte man sofort beginnen, etwa mit der Erörterung der Frage, ob wir nicht (fast) alle Probleme des europäischen Klima-Energie-Komplexes mit einem transmediterranen Solarverbund lösen können: Die Sahara kann beim Einsatz schon erprobter Technologien nahezu unbegrenzt Strom ohne Kohlenstoffschuld bereitstellen.

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