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Auch Lebensstandard ist nicht unantastbar

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Als Reaktion auf ein FURCHE-Interview mit dem geschäftsführenden Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Prof. Herbert Krejci, sandte uns Dipl.-Ing. Dr. techn. Albert Hanzal, Wien, den auf dieser Seite abgedruckten Beitrag.

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Als Reaktion auf ein FURCHE-Interview mit dem geschäftsführenden Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Prof. Herbert Krejci, sandte uns Dipl.-Ing. Dr. techn. Albert Hanzal, Wien, den auf dieser Seite abgedruckten Beitrag.

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Im Ernst: Ich meine, daß die neuerliche Atomdiskussion in eine sachlich falsche Richtung läuft. Nicht, daß sich nicht jedermann auch zu Dingen äußern dürfte, von denen er nichts versteht; das ist ja gerade das Salz in unserer Demokratie. Aber bei der grundlegenden Formulierung der Probleme ist doch ein Existenzminimum an Sachkenntnis erforderlich, damit - wenn schon keine richtigen Antworten zu erwarten sind -wenigstens die Fragen nicht völlig falsch gestellt sind. In diesem Sinne habe ich den Leitartikel von Herrn Dr. Grinschgl in Ihrer letzten Nummer sehr begrüßt.

Es ist beispielsweise immer wieder von alternativen Energiequellen die Rede, wobei die „Atomlobby“ eingedenk ihrer bereits getätigten Investitionen an die Kernenergie denkt, während Umweltschützer und dergleichen an Sonnenenergie, Windenergie usw. denken. Beiden Haltungen gemeinsam ist, daß sie grundsätzlich nicht eine Einschränkung des Energiekonsums ins Auge fassen, sondern ein Ausweichen auf andere Energieformen.

Das Problem ist aber viel umfassender: Allem Anschein nach wird der globale Energiekonsum der Menschheit eine gewisse Grenze nicht gefahrlos überschreiten können. Die möglichen Gefahren sind beispielsweise irreversible Klimaveränderungen - man denke etwa an die Bedeutung des Golfstroms für das Klima Europas - über deren Wahrscheinlichkeit oder Unwahr-scheinlichkeit Experten heute kaum etwas Sicheres sagen können.

Dabei kommt es meines Erachtens gar nicht einmal so sehr darauf an, wo diese Grenze des vom „Raumschiff Erde“ tolerierbaren Energiekonsums der menschlichen Rasse hegt, sondern daß sie existiert und daß es ganz unverantwortlich ist, so einfach darauf los Energie zu konsumieren. Die technischen Systeme haben gewisse Toleranzgrenzen, innerhalb derer kleine Störungen innerhalb des Systems abklingen; solche Systeme sind stabil. Niemand weiß, ob und bis zu welcher Störungsgrenze das ökologische System Erde stabil ist und es ist zu befürchten, daß solche Fragen die selbsternannten „Experten“ auch nicht interessieren.

Schon der große Laplace hat die Frage untersucht, ob unser Planetensystem stabil sei; meines Wissens ist die Frage bis heute insofern unbeantwortet, als die Bedeutung der von Laplace notwendigerweise getroffenen Vereinfachungen auf das Endergebnis umstritten ist. Nun wäre eine etwaige Instabilität der Planetenbahnen nicht dem Menschen anzulasten, die zugehörige Katastrophe wäre zweifellos höhere Gewalt.

Hingegen wäre beispielsweise ein Instabilwerden des heutigen Klimazustandes der Erde infolge Abgasen usw. sehr wohl eine selbstverschuldete Katastrophe der menschlichen Rasse.

Nun gibt es leider viele Beispiele aus der Geschichte der Technik, die zeigen, daß man zum jeweiligen Zeitpunkt einfach das gemacht hat, was machbar war; so etwa nach dem Motto: Erlaubt ist, was möglich ist. Der möglicherweise falsche Schluß, den Politiker aus dieser Geschichte zu ziehen geneigt sind, lautet: Wenns bei der Eisenbahn, beim elektrischen Strom und beim Auto gut gegangen ist, warum solls dann bei der Atomenergie schief gehen?

Die Einsicht in die wahrscheinliche globale Begrenzung des Energiekonsums hat eine kurzfristige Konsequenz: Man muß Prozesse mit schlechtem Wirkungsgrad (typisches Beispiel: Wärmeentwicklung der Glühlampe) durch solche mit hohem Wirkungsgrad ersetzen, damit man bei gleichem Energieeinsatz mehr Energie zur Verfügung hat. Das ist im Prinzip eine altbekannte Sache, wenngleich sich bei der Realisierung natürlich Schwierigkeiten einstellen.

Die großtechnische Zurückdrängung entropiemäßig unbefriedigender Prozesse wäre meines Erachtens auch eine Frage der zweckmäßigen Besteuerung, die etwa die Entropieerzeugung, also die Energievergeudung zu belasten hätte, damit technische Anwendungen mit gutem Wirkungsgrad finanziell begünstigt würden.

Von der Industrie her sind meiner Meinung nach deswegen keine Impulse zu erwarten, weil das Management die innovatorischen Risken mangels jedweder Absichtserklärung etwa in der Steuergesetzgebung ja gar nicht zu kalkulieren imstande ist und sich daher viel lieber mit einer Fortschreibung des gegenwärtigen Zustands begnügt.

Schließlich erscheint mit die halbwegs gerechte Aufteilung der global einsetzbaren Energie, die ein der

Menschheit gemeinsames Gut ist, eine moralische Frage zu sein. Solange es ein ungeschriebenes Dogma der Sozialpartner ist, daß eine Nivellierung des Lebensstandards nach unten zu Gunsten der nichtprivilegierten Majorität der Menschheit eine Zumutung wäre, die man nur zurückweisen könne, dürften hier keine Fortschritte zu erzielen sein.

Es sollte einmal jemand den Mut haben, den Leuten klar zu sagen, daß zwar kurzfristig mit verbesserter Energieverwertung das Auslangen gefunden werden kann, daß aber langfristig ein teilweiser Verzicht auf unseren Lebensstandard unumgänglich sein wird.

Wie diese sachlichen Notwendigkeiten mit unseren demokratischen

Wahlmechanismen in Einklang zu bringen sind, die nur kurzfristige und nur kantonsweise Entscheidungen ermöglichen, wo doch langfristige und globale Entscheidungen erforderlich wären, weiß ich nicht; aber ich meine, das wäre doch eine zu diskutierende Frage. Wenn man dem Club of Rome folgt, dann drängt aber die “Zeit, so daß der Wunsch nach einer globalen Energie-Diktatur (Diktatur im altrömischen Sinne des Cin-cinnatus gemeint!) verständlich wird.

Ich habe bisher als selbstverständlich unterstellt, daß die heute Lebenden sich für die Generationen nach ihnen verantwortlich fühlen; vielleicht ist diese Grundeinstellung nicht selbstverständlich und die Scheidung der Geister findet zwisehen denen statt, die „hinter mir die Sintflut“ sagen, und jenen, die in ihren heutigen Entscheidungen noch ungeborene Generationen von Menschen mitzubedenken sich verpflichtet halten.

Ich wünsche mir einen Meinungsbildungsprozeß unter Christen in der Richtung, daß auch die Energie ein der menschlichen Rasse zur Verfügung gestelltes Gut ist, über das Rechenschaft gefordert werden wird; dementsprechend sollte bei den gegenwärtig zu treffenden Entscheidungen auch die künftige Bewohnbarkeit des Planeten Erde mitbedacht werden.

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