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Vierhundert Sklaven für jeden von uns: Das reicht

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Die Befürworter der „harten Technologie” verlangen in der Energiedebatte stets, daß rational argumentiert werden muß und die Naturgesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Beitrag weist ein Physiker unter Verwendung dieser A rgumentationslinie auf die Notwendigkeit des Umdenkens in der Energiepolitik hin.

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Die Befürworter der „harten Technologie” verlangen in der Energiedebatte stets, daß rational argumentiert werden muß und die Naturgesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Beitrag weist ein Physiker unter Verwendung dieser A rgumentationslinie auf die Notwendigkeit des Umdenkens in der Energiepolitik hin.

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Im Jahre 1980 wurde das Dogma vom fünfprozentigen Energiewachstum zumindest in den Zahlen revidiert. Das Orakel der Prognostiker billigt uns für die nächste Dekade nur noch 2,7 Prozent Zuwachs pro Jahr zu.

Es läßt sich leicht ausrechnen, daß dann der Energieinhalt der gesamten Erdmasse nicht schon in 1000, sondern erst in 1900 Jahren nicht ausreichen würde, um Österreichs Energiebedarf eines einzigen Jahres zu decken.

Aus der Energiestatistik des Jahres 1978 ergibt sich, daß jeder Österreicher - vom Baby bis zum Großpapa - statistisch gesehen Tag und Nacht ohne Unterbrechung eine Leistung von rund 4 Kilowatt (3830 W) in Form von Energie und in Österreich erzeugten Gütern und Dienstleistungen verbrauchte.

Anschaulich dargestellt heißt das, daß jeder einzelne von uns ununterbro-

chen über eine Muskelkraft von 400 menschlichen Sklaven verfügt. Für den Betrieb des Fernsehapparates beispielweise müßten vierzig (!) Männer in einer Tretmühle arbeiten. Selbst der Hofstaat der ägyptischen Pharaonen hatte für den Bau der großen Pyramiden pro Kopf weniger Sklaven zur Verfügung als der Durchschnittsösterreicher der Gegenwart.

Und doch - so sagt das Dogma vom materiellen Wachstum - ist uns das zu wenig.

Von der Meteorologischen Zentralanstalt in Wien werden seit Jahrzehnten genaue gesamtösterreichische Aufzeichnungen über die Leistungsdichte der Globalstrahlung und über die mittlere Sonnenstundenzahl geführt. Demnach strahlt allein auf die Fläche von Wien mehr Sonnenenergie ein, als in ganz Österreich an technisch „erzeugter“ Energie verbraucht wird.

Die gesamte Sonneneinstrahlungsdichte Österreichs ist 370mal größer als die technisch umgesetzte Energiedichte. Es ist nicht wahr, daß die unmittelbare Ausnützung der Sonnenenergie einen nur vernachlässigbar kleinen Anteil an der Energieversorgung liefern könnte, wie uns Verfechter der „harten Technologie“ suggerieren möchte.

Dazu kommt, daß uns aus Gründen des Wärmehaushaltes an der Erdoberfläche gar keine andere Wahl bleibt, als die stationär einstrahlende Sonnenenergie möglichst raffiniert auszunützen, an die wir und alle anderen Lebewesen seit Jahrmillionen sehr genau angepaßt sind. Die weitere Zunahme jeder anderen Energieform, sei es Kernenergie oder von außen gebündelte Sonnenenergie, würde in Kürze zu lokalen, dann zu regionalen und schließlich zu globalen Klimaänderungen führen.

A1I diese Konzepte gehen beharrlich an der Naturgesetzlichkeit des zweiten Hauptsatzes der Wärmelehre vorbei, nachdem letztlich jede Energieform in Wärme umgewandelt wird. Die Ziffern sind genau bekannt. In Wien betrug die auf jeden Quadratmeter bezogene, durch technische Energieumwandlung erreichte Leistungsdichte im Jahre 1978 bereits rund ein Zehntel der mittleren Sonneneinstrahlung.

Bei einem jährlichen Zuwachs von 5 Prozent errefcht Wien 1983, bei 2,7 im Jahre 1989 den kritischen Grenzwert der Klimabeeinflussung. Wir werden also möglicherweise noch vor Auslaufen dieser Legislaturperiode in Wien unser eigenes Wetter machen - auch ohne Zwentendorf. Leider wissen wir nichts über die Konsequenzen.

Unter der Voraussetzung des revidierten Dogmas vom 2,7prozentigen jährlichen Energiezuwachs würden wir

in Wien und Linz in 84 Jahren und in ganz Österreich in 220 Jahren eine Energiedichte erreichen, die gleich der eingestrahlten Globalstrahlung ist.

Selbst wenn es also gelänge, eine problemlose und unerschöpfliche technische Energiequelle zu schaffen, würde Wien in zwei Generationen die Energiedichte der natürlichen Sonneneinstrahlung künstlich verdoppeln. Die Folgen wären unabsehbar: Wien im Jahre 2062, ein Energieparadies für unsere Enkel - vermutlich mit dem Jahresklima der sommerlichen Sahara.

Für Ballungsräume stellt sich die dringendste Frage daher nicht danach, wie mehr Energie zugeführt, sondern wie mehr abgeführt werden kann.

Anhänger der „harten Technologie“ argumentieren mit den naturgesetzlichen Grenzen der direkten thermischelektrischen Energieumwandlung und des elektrischen Transportwiderstan- des gegen Dezentralisierung und Nutzung der Energie am Erzeugungsort. Dennoch kann nur durch Dezentralisierung ökologisch unvertretbare Erwärmung nach dem zweiten Hauptsatz der Wärmelehre vermieden werden.

Wir sind den Grenzwerten gefährlich nahe. Es gibt keine andere Energieform außer der stationären Sonneneinstrahlung, die diese Bedingung erfüllt. Da ohnehin ein beträchtlicher Teil des österreichischen Gesamtenergieverbrauches im Niedertemperaturbereich für Raumheizung und Brauchwasser aufgewendet werden muß, lohnt sich hier jeder wissenschaftliche und wirtschaftliche Vorstoß.

Es scheint mir gesamtwirtschaftlich zumindest fahrlässig, hochwertige elektrische Energie für Heizzwecke im Nie- dertemperaturbereich zu „vernichten“.

Wenn aus Sicht der Physik und Ökologie von Luxus und Verschwendung

gesprochen werden darf, dann vor allem hier.

Die Aussichten einer künftigen Entwicklung ohne wesentliche Einschränkungen gegenüber dem heutigen Stand erscheinen mir günstig, wenn wir

• uns zu menschlich-transzendenter Lebenswertung hinwenden und von ausschließlich sachbezogener Wertung aus wirtschaftlichen (!) Gründen abwenden,

• den Zuwachs des Energieverbrauches rasch und drastisch durch Einsparen und Umstrukturieren verringern, um den Verbrauch schließlich zu stabilisieren,

• unsere technische und wirtschaftliche Intelligenz zur unmittelbaren Nutzung und Speicherung der Sonnenenergie im Niedertemperaturbereich einsetzen und dafür vor allem die optimalen Eigenschaften der Kunststoffe als energiefreundlichste Werkstoffgruppe ausnützen,

• die mittelbare Nutzung der Sonnenenergie durch Land- und Forstwirtschaft, durch Wasserkraftwerke, Wärmepumpentechnik und Kohlenbergbau

vorantreiben,

• und uns schließlich Forschungsarbeiten über chemische und physikalische Latentspeicher und deren Transport intensivieren.

Prof.Dipl.-lng.Dr. Helmut Hubeny ist Ingenieurkonsulent für technische Physik in Wien.

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