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Gefährlich und unnötig

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Die Reaktorprogramme, die in den letzten 30 Jahren entwickelt wurden, beruhten auf der Annahme, daß niedrige Strahlendosen harmlos seien. Im Laufe der letzten Jahre hat sich jedoch durch viele hervorragende wissenschaftliche Untersuchungen diese Annahme als unhaltbar erwiesen.

Beispielsweise haben Statistiken über amerikanische Strahlenarbeiter und Beschäftigte in Atom-U-Boot-Werften im Vergleich zu dem bisher angenommenen ein etwa zehnfaches Krebsrisiko ergeben. In Gegenden erhöhter natürlicher Strahlung in Indien wurde ein vermehrtes Auftreten verschiedener Formen erblichen Schwachsinns gefunden. Eine sehr genaue Untersuchung hat an Bewohnern der Gegend von Gastein eine mit der Strahlenbelastung steil zunehmende Häufigkeit von Chromosomenbrücheh nachgewiesen.

Neue Arbeiten in der BRD haben ergeben, daß die von Atomkraftwerken im sogenannten Normalbetrieb mit der Abluft abgegebenen radioaktiven Stoffe über die Anreicherung in der Nahrungskette zu einer Überschreitung der höchstzulässigen Strahlenbelastung führen können.

Bei uns in Österreich wird stets unkritisch behauptet, die zusätzliche Strahlenbelastung im Umkreis von Zwentendorf würde höchstens ein Prozent der natürlichen Strahlung ausmachen, obwohl die Behördenvertreter im Parlamentshearing 1978 zugeben mußten, daß überhaupt kein umfassendes radioökologisches Gutachten vorliegt.

Wir wissen heute, daß die meisten Krebsfälle von Umwelteinflüssen ausgelöst werden. Krebsforscher geben als aussichtsreichste Strategie gegen Krebs das Erkennen und Ausschalten seiner Ursachen an. Zu einer solchen - dringend nötigen - Umwelthygiene steht eine Großtechnik wie die Atomindustrie, die in allen ihren Bereichen vom Uranbergbau bis zur Abfalldeponie zum Teil langlebige radioaktive Substanzen in die Umwelt freisetzt und damit die Krebsrate und das Auftreten von Erbkrankheiten langfristig erhöht, in unüberbrückbarem Gegensatz.

Wer unter Hinweis auf französische Glas-Einschmelzversuche behauptet, das Atommüllproblem sei gelöst, macht sich einer Irreführung der Bevölkerung schuldig.

Selbst wenn sich das Einschmelzen der hoch-radioaktiven Abfälle längerfristig bewähren sollte, ist damit nur ein Teilproblem gelöst. Ungelöst bleibt weiterhin die Wiederaufarbeitung der Brennelemente, die heute nirgendwo zufriedenstellend funktioniert, die Behandlung der niedrig aktiven Abfälle, die in großen Volumina anfallen und nur zum kleinen Teil zurückgehalten werden können und schließlich die Bewältigung der riesigen Mengen von radioaktivem Schrott und Schutt, die beim Abreißen der Atomanlagen selbst anfallen. Für all das müßten in Österreich Lagerstellen gefunden werden.

Von diesen Langzeitüberlegungen abgesehen, bedeutet jedes Atomkraftwerk eine akute Gefährdung. Die Lük-kenhaftigkeit der Sicherheitskonzepte wurde vom Unfall in Harrisburg dokumentiert, ebenso die unzureichende Katastrophenvorsorge der Behörden.

Die nach dem Unfall in der Umgebung aufgetretene signifikante Zunahme der Säuglingssterblichkeit paßt nicht zum offiziellen Image der Atomkraftwerke und wurde deshalb vertuscht und abgestritten.

In einem so kleinen Land wie Österreich wird jeder schwere Nuklearunfall zu einer Katastrophe, insbesondere wenn große Verseuchungszonen am Rande des Wiener Ballungsraumes und Vergiftung des Grundwassers aufträten.

Allein wegen dieser Gefahren ist eine Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes

Zwentendorf nicht zu rechtfertigen, selbst wenn man damit auf den Vorteil des vielgepriesenen „billigen” Atomstroms verzichten müßte. Seit sich jedoch in neueren Kalkulationen (siehe unter anderem Kapusta 1980, Schriftenreihe der Technischen Universität Wien) der Strom aus AKW als überaus teuer erwiesen hat - teurer als aus Kohlekraftwerken, erweist sich der Verzicht sogar als volkswirtschaftlicher Vorteil.

Eine Wirtschaftsweise, die unter Verschwendung billigen Erdöls erfolgreich war, kann bei drastischer Verteuerung der Energiebasis nicht beibehalten werden. Verschwendung teurer Energie im großen Stil führt unweigerlich zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Deshalb hat am Ende des Zeitalters der billigen Energie nicht der Bau aufwendiger Großkraftwerk - die teure Energie zusätzlich verfügbar machen - Vorrang, sondern die zahlreichen technisch ausgereiften Maßnahmen zur Effizienzsteigerung im Energieeinsatz.

Hier gibt es eine breite Palette: statt großer thermischer Kraftwerke, die mit fast zwei Drittel der erzeugten Wärme einen Fluß heizen (z. B. das geplante „Zwentendorf-Ersatzkraftwerk”Moos-bierbaum mit beinahe 400 Megawatt), sind kleine moderne Anlagen zu errichten, die verbrauchernahe eine wirtschaftliche Nutzung der Abwärme zu Heizzwecken ermöglichen. Es gibt heute ausgereifte Verfahren wie z. B. die Wirbelschicht-Verbrennung, die eine ausgezeichnete Abgas-Entschwefelung und Reduzierung der Stickoxyde gestattet.

Im dicht besiedelten Gebiet können solche Anlagen einen Großteil der Einzelfeuerungen ersetzen und damit einen wichtigen Beitrag zur Luftreinhaltung leisten. Verbesserung der Wärmedämmung von Gebäuden bringt eine drastische Verminderung des Verbrauchs an Heizmaterial bei Steigerung der Wohnqualität (Schalldämmung ist dabei ebenfalls verbessert).

Investitionen dieser Art sind wirtschaftlich effizient. Sie ermöglichen Einsparung der immer knapper und teurer werdenden fossilen Energieträger und entlasten dadurch die Außenhandelsbilanz. Sie schaffen sinnvolle Arbeitsplätze auch abseits der Industriegebiete, dort wo arbeitsuchende Menschen wohnen.

Wie die Bundesrepublik Deutschland bei großzügigem Wirtschaftswachstum ihren Energiebedarf unter den von 1973 senken kann und bei einem Kohleverbrauch wie im Jahr 1960 ohne Atomenergie und Erdöl auskommen kann, beschreiben Krause und Bossel in ihrem neuen Buch „Energiewende - Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran” (S. Fischer Verlag). Der dort ausführlich dargestellte Weg gilt im wesentlichen auch für Österreich.

Im Lichte dieser neuen Entwicklungen erweist sich ein Verbot der Atomenergie nicht nur als ein Dienst an unseren Kindern und Kindeskindern, sondern auch an unserer heimischen Wirtschaft.

Dr. Peter Weish ist Biologe am Institut für Umweltwissenschanen und Naturschutz der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften.

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