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Radioaktive Isotope in der Medizin

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Wichtige Probleme der Medizin und Biologie haben sich mit der Frage nach dem Schicksal verschiedenster Substanzen im lebenden Organismus zu beschäftigen. Die Frage: Was geschieht mit einer bestimmten Substanz, nachdem sie dem Körper in irgendeiner Weise zugeführt wurde? ist oft von ausschlaggebender Bedeutung. Eine weitgehende Aufklärung derartiger Probleme wurde durch die Verwendung radioaktiver Isotope möglich.

Was sind radioaktive Isotope? Unter Isotopen versteht man Elemente, deren Atome sich voneinander dadurch unterscheiden, daß sie bei gleichem Aufbau der Elektronenschale eine andere Zusammensetzung des Atomkernes zeigen; der Unterschied liegt dabei in einer Verschiedenheit der Neutronenanzahl. Da die chemischen Eigenschaften eines Elements ausschließlich von der Elektronenschale seiner Atome abhängig sind, zeigen alle Isotope eines Elements chemisch vollkommen gleichartige Eigenschaften. Von fast allen Elementen kann man nun Isotope künstlich herstellen, die die Eigenschaft haben, Strahlen abzugeben, die zwar nicht für das bloße Auge, wohl aber für eigens dafür konstruierte Meßgeräte wahrnehmbar und quantitativ erfaßbar sind. Es handelt sich dabei um die gleiche Strahlung, die von den natürlichen radioaktiven Elementen, wie zum Beispiel vom Radium, ausgesandt wird, also um Alpha-, Beta- und Gammastrahlen. Ebenso wie Radium, zerfallen auch die radioaktiven Isotopen anderer Elemente innerhalb eines gewissen Zeitraumes, der durch die sogenannte Halbwertszeit charakterisiert ist. Es ist dies jene Zeit, innerhalb deren die Hälfte der Substanz zerfallen ist; sie liegt zwischen Bruchteilen einer Sekunde und Tausenden von Jahren. Die Messung insbesondere der Betastrahlen erfolgt mit dem Geiger-Müller-Gerät, das ja bekanntlich aus demselben Grund auch zur Auffindung radioaktiver Uranerzlager verwendet wird. Das Prinzip der Messung beruht auf der Tatsache, daß radioaktive Strahlen Gase ionisieren und dadurch für den elektrischen Strom leitend machen können. Radioaktive Isotope fast aller Elemente wurden auch in die verschiedensten chemischen Verbindungen eingebaut. Selbst kleinste Mengen solcher „markierter“ Substanzen können, unabhängig von eventuell erfolgten chemischen Umwandlungen, mit dem Geiger- Müller-Gerät überall hin, also auch in alle Teile des menschlichen KörpeTS verfolgt werden. Die Vorteile dieser Methodik liegen auf der Hand: Keine chemische Nachweismethode ist imstande, zwei chemisch völlig identische, aber aus verschiedenen Quellen stammende Substanzen voneinander zu trennen und mengenmäßig zu bestimmen. Mit Hilfe der radioaktiven Isotopen ist dies möglich.

Die Verwendung der radioaktiven Isotopen in der modernen Medizin ist vielfältig. Wie bereits erwähnt, geben sie der wissenschaftlichen Forschung wertvolle Aufschlüsse über das Verhalten verschiedener Stoffe im Körper. Darüber hinaus ermöglichen sie aber auch auf Grund ihrer Strahlung die Behandlung und Erkennung gewisser Erkrankungen.

Die größte Bedeutung hat das radioaktive Jodisotop J131 erlangt. Die Schilddrüse besitzt die Fähigkeit, Jod aus der Blutbahn einzufangen und zu speichern, um es für den Aufbau des Schilddrüsenhormons zu verwerten. Bei Uberfunktionszuständen der Schilddrüse — typisches Beispiel ist die Basedowsche Erkrankung — produziert die Schilddrüse zu viel Hormon, und als Behandlung kommt neben der medikamentösen und operativen Therapie auch eine Bestrahlung mit Röntgen- oder Radiumstrahlen in Betracht. An Stelle einer solchen Bestrahlung kann auch Radiojod zugeführt werden. Dieses wird genau so wie „gewöhnliches“ Jod von der Schilddrüse gespeichert und sendet auch hier seine Strahlung aus. Die Bestrahlung von außen wird also durch eine solche von innen ersetzt. In gleicher Weise können auch krebsige Geschwülste der Schilddrüse „von innen bestrahlt werden; allerdings sind nur solche Schilddrüsengeschwülste einer derartigen Bestrahlung zugänglich, deren Gewebe wie das normale Schilddrüsengewebe Jod speichert. Außerdem wird’J131 auch zur Feststellung der Schilddrüsenfunktion verwendet. Die Jod- speicherungsfähigkedt dieses Organs wird sowohl bei Uber- als auch bei Unterfunktionszuständen entsprechend verändert. Zur Diagnose derartiger Zustände wird nun Radiojod verabfolgt und die Stärke der radioaktiven Strahlung mit dem Geiger-Müller-Gerät in der Halsgegend über der Schilddrüse gemessen; sie wird natürlich um so stärker sein, je mehr Jod die Schilddrüse aufgenommen hat. In vielen Fällen übertrifft diese Methode die bisher geübte Grundumsatzbestimmung als diagnostisches Hilfsmittel in der Beurteilung von Schilddrüsenerkrankungen an Genauigkeit.

Ebenfalls große Bedeutung kommt dem radioaktiven Phosphor in der modernen Medizin zu. Mit diesem radioaktiven Isotop ist es gelungen, eine Krankheit zu heilen, für die es früher keine wirklich erfolgversprechende Therapie gegeben hat: die sogenannte Polycythaemie. Es finden sich hier zu viele rote Blutkörperchen im Blut.

Durch den radioaktiven Phosphor wird nun dieses Zuviel an roten Blutkörperchen beseitigt. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet dieses Isotopen ist die Ermittlung der Blutströmungsgeschwindigkeit, die bei verschiedenen Kreislauferkrankungen verändert ist. Zu diesem Zweck wird radioaktiver Phosphor in der Gegend der Leistenbeuge in die Beinarterie injiziert und die Zeit festgestellt, die vergeht, bis an der Fußsohle, wieder mit Hilfe des Geiger-Müller-Ge- rätes wahrnehmbar, eine radioaktive Strahlung auftritt. Sie entspricht der Zeit, die das Blut braucht, um von der Leistenbeuge zur Fußsohle zu gelangen. Außerdem hat der radioaktive Phosphor der Wissenschaft wertvolle Aufschlüsse über den Stoffwechsel von Kohlenhydraten, Phosphorlipoiden, Nukleinsäuren und anderen, ferner über Fermentreaktionen sowie über Vorgänge im Knochen und in den Zähnen gegeben.

Die Resorption des Eisens aus dem Darm ist weitgehend vom Eisenbedarf des Organismus abhängig; sie ist bei Eisenmangelzuständen (Blutarmut) wesentlich erhöht. Das Ausmaß dieser Resorption kann mit radioaktivem Eisen festgestellt und für die Diagnose von Eisenmangelzuständen verwertet werden. Auch zum Studium der Bildung des Blutfarbstoffes und der daran beteiligten Vorgänge eignet sich radioaktives Eisen.

Die übrigen radioaktiven Isotopen beanspruchen vor allem wissenschaftliches Interesse. Nur um einen allgemeinen Überblick zu geben, seien davon erwähnt: Radioaktives Kalzium (und Strontium) für das Studium des Stoffwechsels und des Transports dieses Elements bei verschiedenen Zuständen, bei Knochenerkrankungen (zum Beispiel Rachitis) und bei der Knojchenbruchheilung. Radioaktives Kupfer wird für Untersuchungen über die Beteiligung dieses Elements an der Blutbildung verwendet. Radioaktives Natrium und Kalium haben bei Forschungen über die Durchlässigkeit verschiedener Zellmembranen und Kapillaren neue Erkenntnisse ermöglicht. Das Anwendungsgebiet des radioaktiven Kohlenstoffes kennt fast keine Grenzen.

Bei der Anwendung der radioaktiven Isotopen am Menschen muß berücksichtigt werden, daß sie gewisse Gefahren in sich birgt, die durch die radioaktive Strahlung dieser Körper bedingt sind. Die Strahlenschäden äußern sich vor allem in Blutveränderungen (Abnahme der Blutplättchen) und Blutungen, die auf eine Schädigung des Knochenmarks zurückzuführen sind. Theoretisch könnten natürlich auch alle anderen Schädigungen auftreten, die man als Folgen einer radioaktiven Bestrahlung kennt. Bei sachgemäßer Behandlung, insbesondere bei richtiger Dosierung, sind jedoch diese Gefahren so minimal, daß sie den Wert der radioaktiven Isotopen für die moderne Medizin in keiner Weise schmälern können. Immerhin wird es trotz der bereits geleisteten Arbeit noch einige Zeit dauern, bis dieses neue Gebiet der medizinischen Forschung vollkommen erschlossen ist.

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