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Das Gift im täglichen Brot Österreich hält Cadmium-Rekord

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Sind wir bald alle vergiftet? Es mutet schon fast als Wunder an, daß die Species Mensch noch nicht ausgestorben ist. Daß wir mit der Nahrung auch gewisse Giftstoffe konsumieren, ist längst kein Geheimnis mehr, aber über das genaue Ausmaß dieser sukzessiven Vergiftung konnte man sich bisher noch einigen Illusionen hingeben. Nun liegen aber die Ergebnisse einer vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung über die Belastung der Nahrung in Österreich mit toxischen Schwermetallen vor, und diese Resultate lassen die Bezeichnung „Lebensmittel“ bereits beinahe fragwürdig erscheinen.

So stellten die Lebensmittelchemiker fest, daß der Österreicher im Durchschnitt mehr von dem Giftstoff Cadmium zu sich nimmt, als die Weltgesundheitsorganisation WHO für gerade-noch erträglich erklärt hat. 1972 bezeichnete die WHO 1,6 bis 2,0 Müli- gramm Cadmium pro Person und Monat als obere Toleranzgrenze, 1975 ermittelte man für Österreich bei Erwachsenen einen Durchschnittswert von 2,02 Milligramm. Österreich liegt mit dieser Zahl international an der Spitze, allerdings liegen die Untersuchungen in den zum Vergleich herangezogenen Ländern schon einige Jahre zurück und ergaben zum Teil ebenfalls sehr hohe Werte.

Das Metall Cadmium gelangt aus Abraumhalden von Blei- und Zinkbergwerken in die Umwelt, ist aber auch in Düngemitteln und Klärschlamm in beträchtlicher Menge vorhanden. Die Kontamination von Lebensmitteln und ihren Rohstoffen kann sowohl über den Boden wie auch durch Staub und Aerosol erfolgen. Die Giftwirkung von Cadmium besteht in der Ansammlung in Niere und Leber. Bei Säuglingen erhöht sich der Cadmiumgehalt in diesen Organen in den ersten drei Lebensmonaten auf das 200fache. 40 Prozent des gesamten mit der Nahrung aufgenommenen Cad-

miums wird mit Schwarzbrot gegessen, das wie Reis, Haferganzkom, Muscheln, Sardinen, Fischkonserven und Schweinenieren besonders viel Cadmium enthält. Das am stärksten mit diesem Metall belastete Nahrungsmittel sind Rindemieren, die zum Glück selten gegessen werden.

Auch der Gehalt von Blei, Arsen und Quecksilber in unserer Nahrung ist nicht gerade gering, obgleich Österreich hier im unteren Mittelfeld und noch relativ weit von den Toleranzgrenzen der WHO entfernt ist. Arsen kommt vor allem in Meerestieren, aber auch in Reis und Obst recht häufig vor und wirkt in organischen Verbindungen weit giftiger als in anorganischen. Die Ablagerung in Haaren, Haut und Nägeln steht fest, mittels einer Fischdiät kann Arsen aber rasch ausgeschieden werden. Daß es Krebs auslöst, konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

Die Quellen der Belastung mit Blei sind im wesentlichen die Abgase von Verbrennungsmotoren, die Kleinkinder erfahrungsgemäß mehr gefährden als Erwachsene. Die höchsten Bleigehalte zeigten Gewürze, vor allem Thymian und Krauspetersilie, weil diese Pflanzensorten durch ihre rauhe stark strukturierte Blattoberfläche besonders viel an bleigesättigtem Staub aufnehmen. Dazu kommen Sardinen-, Gemüse- und Obstkonserven, wobei das Verlöten der Dosen die Ursache dafür sein dürfte. Im Vergleich mit anderen Ländern ist der Bleigehalt in österreichischen Nahrungsmitteln relativ hoch. Erwachsene essen monatlich im Durchschnitt 5,9 Milligramm des giftigen Schwermetalls, das entspricht ungefähr der Hälfte der von der WHO als gerade noch ungefährlich angesehenen Menge.

Quecksilber fmdet sich besonders in Fischen und Fischprodukten, sonst aber kaum in Nahrungsmitteln. Lediglich in heimischen Pilzen, vor allem Herrenpüzen, die oft in industriefernen Waldgebieten wachsen, war interessanterweise ein hoher Quecksilbergehalt festzustellen. Von dieser Warte aus müßte der Zuchtchampignon dem „in unberührter Natur wachsenden vorgezogen werden.

Uber all diese Untersuchungsergebnisse referierte Ing. Dr. Werner Pfannhauser bei einem vom Klub für Bildungs- und Wissenschaftsjorunali- sten veranstalteten Treffen in der heuer fünfzig Jahre alten Lebensmittelversuchsanstalt in Wien, die Österreichs größte private Einrichtung auf diesem Gebiet ist. Neben Pfannhau- sers zum Teil alarmierenden Zahlen sollte man aber auch die aus anderen Referaten hervorgegangenen Tatsachen nicht unter den Tisch fallen lassen.

Man kann mit statistischem Material eindrucksvoll beweisen, daß durch das DDT die Zahl der Malaria-Erkrankungen stark zurückgegangen ist. Dafür enthält aber heute die Muttermilch bereits wesentlich mehr DDT als die Kuhmüch. Vor allem in tierischen Fetten und pflanzlichen ölen sind immer mehr Pestizide - chlorierte Kohlenwasserstoffe und Phosphorsäureester - nachweisbar. Gefahr geht auch von den polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen im allgemeinen und von 3,4-Benzpyren im besonderen aus, die als Nebenprodukte beim Verbrennen organischen Materials (Heizungsanlagen, Abfallverbrennung, industrielle Prozesse, Kraftfahrzeuge), aber auch beim Rauchen und Räuchern entstehen und über die Luft auf die Pflanzendecke, in den Boden und in den Wasserkreislauf gelangen.

Die Chemiker betonen, daß sie nur nüchterne Zahlen und Fakten nennen, die Konsequenzen aber andere ziehen müssen. Ob die von der WHO festgesetzten Toleranzgrenzen, die meist den hundertsten oder tausendsten Teil einer eindeutig als giftig erkannten Menge betragen, richtig sind, haben die Mediziner zu klären. Die Medizinische Fakultät der Wiener Universität strebt ein Institut für Toxikologie an, die Entscheidung liegt bei den Ministern (Leodolter und Firnberg). Müs-

sen sich die Mediziner mit den Folgen der vergifteten Nahrung beschäftigen, so liegt es an Umweltschützem und vieüeicht auch Agarpolitikem, vorbeugende Maßnahmen zu treffen, um Land und Leute, Mensch, Tier und Pflanze möglichst vor Vergiftung zu bewahren.

Was kann der einzelne angesichts der zunehmenden Vergiftung der Nahrungsmittel, verursacht durch die Vergiftung der Umwelt, tun? Es bleiben im wesentlichen zwei Möglichkeiten. Entweder man steüt seinen Speisezettel nach den Erkenntnissen der Wissenschaft zusammen, was ungeheuer mühsam und nur bis zu einem gewissen Grad erfolgreich sein dürfte, oder man nährt die Hoffnung, die Menschheit werde sich, sofern die Vergiftung nur gemächlich zunimmt, langsam aber sicher an Metalle, Pestizide und 3,4-Benzpyren im täglichen Brot gewöhnen. Eine dritte Möglichkeit wählen schon heute die Kettenraucher: die Erkenntnisse der Wissenschaft überhaupt zu ignorieren, sicher nicht die gesündeste, aber die bequemste Lösung.

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