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Ein längeres Leben durch weniger Essen

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Manche Einzeller sind unsterblich. Andere müssen sich alle 40 bis 50 Generationen paaren, damit auch ihre Nachkommen nicht altern. Sowohl bei manchen einzelligen Lebewesen, als auch bei mehreren höheren Tierarten, verlängert Hungern das Leben. Die Verringerung der Kalorienzufuhr ist auch beim Menschen das einzige bisher bekannte Verfahren, bei dem einiges darauf hindeutet, daß es die arttypische maximale Lebensspanne verlängert - alle sonstigen Maßnahmen wie Prophylaxe, Therapien und Unfallverhütung beugen lediglich dem vorzeitigen Tod des Individuums vor.

Schon vor 60 Jahren fand Clive McCay von der Cornell-Universität in Ithakä/New York heraus, daß Ratten, die etwa 30 Prozent weniger Futter bekamen als sie bei freier Futterwahl aufnehmen würden, nicht nur schlanker waren und weniger Erkrankungen hatten, sondern auch bis zu 40 Prozent älter wurden als die Vielfraße der Kontrollgruppe. Heute hat man diese Reobachtung an vielen niederen Tieren bestätigt und ist dabei, die entsprechenden Experimente auch an Rhesus- und Totenkopf-äffchen durchzuführen. Eine Forschergruppe unter George S. Roth am Amerikanischen National Institute of Aging hat 1987 mit diesen Versuchen begonnen, die natürlich extrem lang dauern, denn die normale Lebenserwartung der Affen liegt zwischen 20 und 40 Jahren.

Die Schmalspurdiät bekommt den Tieren gut. Ihr Körpergewicht ist um ein Drittel geringer als normal, sie sind völlig gesund und sie fressen gierig. 90 Prozent von mehreren hundert Parametern, darunter Körpertemperatur, Blutfettwerte, Blutzucker oder Insulineffizienz verändern sich in charakteristischer Weise, meist zum Jugendzustand hin. Offenbar schaltet das Stoffwechselsystem in einen lebensverlängernden Sparmodus, um schlechte Zeiten zu überstehen.

Vergleichbare Untersuchungen beim Menschen sind weitaus schwieriger, da sich das Experiment ja über die ganze Lebensdauer der Versuchspersonen erstrecken müßte. Außerdem dürfte ein normaler Mann bei extremer Kalorienrestriktion nur noch 45 bis 55 Kilo wiegen, selbst bei gemäßigter Hungerdiät würde sein Körpergewicht noch immer um 25 Prozent unter ser-nem Normalgewicht liegen.

Auch für Kinder ist wenig Essen nicht ratsam - denn die Hungerdiät, auch wenn sie ausgeglichen ist, führt bei Labortieren nachweislich zu gehemmtem Wachstum. Daß Unter- und Mangelernährung speziell in den ersten Lebensjahren die Entwicklung des Körpers und der Intelligenz beeinträchtigen kann, wird in Konfliktzonen, ärmeren Ländern und auch unter den Armen in den reichen Ländern immer wieder bestätigt.

Fazit: Gesicherte Erkenntnisse aus Langzeitexperimenten beim Menschen wird es wohl kaum je geben, wohl aber eine Rei-he von Hinweisen, die auf die Wirksamkeit von gerade ausreichender Kost schließen lassen. Eine einschränkende Bedingung ergibt sich daraus, daß die Kost zwar knapp, aber ausgewogen sein muß. Das Schlüsselwort hierbei heißt CBAN: Calorien Reduktion, (aber trotzdem) Adäquate Nährstoffzufuhr. Ausgesprochene Mangelernährung, wie sie leider ein großer Teil der Menschheit auf diesem Planeten erleiden muß, gehört nicht dazu, weil dabei meist die Vitaminzufuhr nicht ausreichend ist. Auch karg lebende Bevölkerungsgruppen, wie etwa buddhistische Mönche, können nicht zur Beweisführung herangezogen werden, da auch deren streßfreies Leben und sexuelle Askese bedeutsam für die beobachtete höhere Lebenserwartung sein können.

„FDH" - „Friß die Hälfte" ist ein populärmedizinischer Gemeinplatz, dessen Gültigkeit für gesundes und längeres Leben nicht mehr von der Hand zu weisen ist. Daß Menschen, die ein hohes Alter erreichen, meistens nicht gerade fettleibig, sondern drahtig und schlank sind, ist ebenfalls eine bekannte Erscheinung. Jedoch führt Schlankhungern mit Hilfe einer x-beliebigen Diät höchstwahrscheinlich nicht zu einer Lebensverlängerung, da auf das Ausbalancieren der Nährstofferfordernisse einige Sorgfalt verwendet werden muß. Außerdem muß die Diät so früh wie möglich begonnen und für den (langen) Best des Lebens durchgeführt werden.

Krankheitsstatistiken, speziell die der USA, besagen, daß Brust-, Dickdarm- und Magenkrebs bei Menschen seltener auftreten, die nach eigenen Angaben kalorienarm essen. Im Tierexperiment wurde festgestellt, daß die Apoptose (Selbstmord der Zelle) von krebsartig veränderten Zellen bei Kalorienrestriktion erhöht zu sein scheint. Das könnte eine teilweise Erklärung für die Verringerung der Krebshäufigkeit sein.

Die Bewohner der zu Japan gehörenden Insel Okinawa ernähren sich traditionellerweise kärglich, aber ernährungsphysiologisch ausgewogen, mit einem optimalen Anteil an Fetten, Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen. Dort gibt es bis zu 40 mal mehr Hundertjährige als im japanischen Durchschnitt.

Die wahrscheinlichste Hypothese - sie wird auch vom österreichischen Biochemiker Hans Nohl von der Universität Wien vertreten - für die lebensverlängernde Wirkung von reduzierter Kost basiert auf der Beobachtung, daß bei der Zellatmung aggressive Molekülgruppen gebildet werden. In den Mitochondrien, den „Kraftwerken der Zelle", wird unter Einsatz von Sauerstoff aus den Nährstoffen Energie gewonnen. Dabei entstehen die hochreaktiven „freien Radikale" - Rruchstücke von Molekülen, die dazu tendieren, andere Stoffe zu zerstören - Proteine, Lipide und sogar die Erbsubstanz DNA (Desoxyribonukleinsäure). Für die Mitochondrien besteht das höchste Risiko dadurch, daß sie als Entstehungsort der meisten Radikale als erste damit in Rerührung kommen. Durch sparsame Kalorienzufuhr wird möglicherweise der Sauerstoff in den Mitochondrien effizienter umgesetzt -was die Bildung der freien Radikale einschränkt. Es werden jedoch auch noch mehrere andere Hypothesen über die Ursachen der Lebensverlängerung durch Kalorienrestriktion diskutiert. Die Forschungen auf diesem Gebiet gehen weiter.

Der steinige, wenn auch tugendhafte Weg des lebenslänglich erheblich weniger Essens als man eigentlich möchte, dürfte für viele Menschen zu schwer sein. Das wissen auch die Forscher am NIH, dem US-amerikanischen nationalen Gesundheitsinstitut. Eines der Langzeitziele der Studie mit den Affen ist es, herauszufinden, welche lebensverlängernden Vorgänge durch die Kalorienrestriktion bewirkt werden und diese dann möglicherweise mit Hilfe eines Medikaments auszulösen. Der Körper würde gewissermaßen mit einer Schwindelpille über die Kalorienmenge getäuscht. Aber wenn überhaupt, dann gibt es diese Pille erst in einigen Jahrzehnten.

Täglich Schweinebraten mit Knödel und eine kleine Pille bis ins Alter von 170 Jahren? Ein Konzept, das in einem Land der starken Esser wie Österreich sicher sehr gut angenommen würde. Es verträgt sich aber nicht mit dftr tief in uns wohnenden Vorstellung, daß ein langes Leben nur durch Verzicht auf Sinnesgenüsse zu erkaufen wäre.

Einen Ausweg zeigen die vorläufigen Untersuchungsergebnisse: Wenn Ratten abwechselnd einen Tag fressen dürfen, so viel sie wollen und einen Tag hungern müssen, zeigen sie ebenfalls die lebensverlängernden Veränderungen. Möglicherweise führt eine abgeschwächte Form der Kalorienrestriktion, bei der Nahrungsaufnahme und Hungern abwechseln, ebenfalls zur Lebensverlängerung.

Anton Huttither ist

freier Mitarbeiter am Zoologischen Institut der Universität Salzburg.

Gert Dornberger ist

freier Journalist in Salzburg.

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