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Auf der Suche nach dem Jungbrunnen

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Über tausend Ratten halfen mit aufzuzeigen, daß Alter und Krankheit nicht immer in einem unmittelbaren schicksalshaften Zusammenhang stehen müssen. Sie waren die Versuchstiere einer Untersuchung, die der Ordinarius für Physiologie an der Veterinärmedizinischen Universität, Professor Alfred Kment, durchgeführt hat. Er wollte wissen, was altem überhaupt ist, und welche Faktoren diesen Vorgang bestimmen, beschleunigen oder vielleicht sogar verlangsamen.

„Dem Schicksal, älter zu werden und zu altem können wir nicht entgehen” meint der Physiologe, „im Laufe der Jahre ändern sich die Funktionsvorgänge in unserem Körper. Dagegen können wir nichts machen. Eingreifen können wir nur dann, wenn sich diese Prozesse zu schnell abspielen, und wir frühzeitig alt und gebrechlich werden.”

Jeder kennt sie, die rüstigen Achtzigjährigen, die geistig und körperlich noch frisch und aktiv sind. Jteder kennt aber auch die gebrechlichen Sechzigjährigen, die viel zu früh erlahmen und ihre Vitalität verloren haben. Wie man die Ursachen dieses unterschiedlichen Alterungsprozesses aufdecken kann, war die Zentralfrage, mit der sich der Wissenschafter beschäftigte.

„Wenn man das Altem in den Mittelpunkt seiner Forschung gestellt hat, so erwarten sich alle Menschen immer den Gesundbrunnen oder gar ein Rezept, wie man immer jung bleibt”, antwortet Prof. Kment. „Das gibt es natürlich nicht. Was wir aber erreichen können - und das ist auch zugleich unser höchstes Ziel -, ist, das frühzeitige Absterben der Vitalität des Menschen zu verhindern. Allerdings gibt es da einige Schwierigkeiten. Unsere Ratten lassen sich nichts einre- den. Das gesunde Leben, zu dem wir einen Teil der Tiere zwangen, war ihnen gleichgültig. Bei den Menschen ist das ganz anders. Die leben nicht in einer Laboratmosphäre und stammen auch nicht aus derselben Zucht.”

Drei Jahre lang untersuchte Professor Kment die Tiere. Um das biologische Alter der Ratten genau feststellen zu können, entwickelte er eine ganze Reihe von Parametern. So überprüfte er nicht nur laufend die Herz- und Kreislauftätigkeit und die Elastizität der Haut, sondern untersuchte auch mit einem selbstentwickelten Apparat die Aortenelastizität, um das biologische Alter des Gefäßsystems messen zu können. 470.000 Einzelwertungen konnten jetzt am Ende der Untersuchung ausgewertet werden.

Die Tiere selbst wurden in fünf Gruppen unterteilt. In der ersten Gruppe durften sie ein paradiesisches Leben genießen. Sie bekamen zu fressen, was und wieviel sie immer wollten, und durften Tag und Nacht auf der faulen Haut liegen. In der zweiten Gruppe wurde zweimal wöchentlich ein Fasttag eingeschaltet. Die dritte Gruppe mußte täglich auf einer Laufmaschine einen Fitneßlauf absolvieren. Der vierten Gruppe ging es am schlechtesten: sie mußte laufen und zweimal in der Woche fasten. Die fünfte Gruppe durfte wieder in den Tag hineinleben, sie bekam nur laufend Injektionen mit getrockneten Hodenzellen.

Das Ergebnis war gar nicht so verblüffend: jene Gruppe, der es objektiv gesehen am schlechtesten ging, die viel „arbeiten” mußte und wenig zu „essen” hatte, war am gesündesten und auch am vitalsten.

„Natürlich lassen sich diese Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen”, erklärt der Wissenschafter, „trotzdem müssen wir versuchen, das Leben des Menschen biologisch und physiologisch lebenswerter zu machen. Wir müssen endlich wegkommen von dem Gedanken, daß Altem ein krankmachender Prozeß ist. Sicher hängt unsere Lebenserwartung von unseren Genen ab. Aber wir können innerhalb dieses genetischen Spielraums Möglichkeiten finden, gesund zu altern. Das Ziel, das wir anstreben sollten, wäre der .physiologische Tod”. Das bedeutet, daß wir unseren genetischen Code an Lebenszeit ausnützen und dann, ohne krank zu sein, unser Leben auslaufen lassen.”

Einen weiteren Versuch, der wieder auf drei Jahre angesetzt wurde, hat Professor Kment in Vorbereitung. Diesmal will er die Einwirkung von Lärm auf die Vitalität und das Alter der Tiere studieren. Ein genaues Lärmprogramm ist schon fertig. Über tausend Ratten leben in ständiger Erwartung, denn sie wissen nicht, wann es wieder laut und lärmend wird. „Es steht fest, daß der Lärm die Vitalität der Tiere senkt”, kann der Physiologe heute schon sagen. „Sicher ist auch, daß einige Tiere den ständigen Lärmstreß nicht aushalten, zusammenbrechen und daran sterben.”

Auf die genaue Auswertung dieser neuen Untersuchung darf man schon gespannt sein.

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