Der Mensch im Spiel DER EVOLUTION

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Als der Naturforscher Charles Darwin vor 155 Jahren sein Werk "Über die Entstehung der Arten“ publizierte, setzte er damit ein einflussreiches wissenschaftliches Konzept in die Welt - die Evolutionstheorie. Sigmund Freud sah darin einst eine maßgebliche "Kränkung der Menschheit“, denn die These, dass die Entwicklung des Menschen im Tierreich begann, mutete zunächst genauso unerhört an wie der Befund, wonach die Erde eben nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist. Mittlerweile wird Darwins Theorie auch gern zur Erklärung höherer geistiger Errungenschaften des Menschen wie Philosophie, Kunst und Religion herangezogen.

Überlebenskampf der Bakterien

Die Evolutionstheorie ist die Spielwiese des neuen Buches von Thomas Böhm, der als Mediziner zu hinterfragen versucht, wie sich aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen im genetischen Code des Menschen niederschlagen - und somit den Lauf der Evolution beeinflussen könnten. "Die manipulierte Evolution“ wurde kürzlich zum "Wissenschaftsbuch des Jahres“ in der Kategorie "Medizin“ gewählt. Bei der nun zum siebenten Mal vom Wissenschaftsministerium, dem Magazin Buchkultur und der österreichischen Buchbranche organisierten Wahl konnte das Publikum aus 20 von einer Fachjury ausgewählten Büchern seine jeweiligen Favoriten nennen, wobei insgesamt 23.000 Stimmen abgegeben wurden. Böhms Buch entspricht zweifellos dem Anspruch, thematische Brücken zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schlagen und mit einer lesefreundlichen Sprache auch komplexe Sachverhalte für medizinische Laien nachvollziehbar zu machen.

Die Medizin, so die Diagnose des Autors, berücksichtige bislang zuwenig evolutionäre Grundgedanken. Das gehe auf Kosten von Patienten und der Gesellschaft insgesamt. Seine Reflexionen drehen sich um die ambivalente Rolle des Menschen - Opfer und Täter zugleich - in der "Evolutionsmaschine“. Sein Interesse für die Evolutionstheorie sieht Böhm, der langjährig in der Krebs- und Infektionsforschung tätig war, in seiner Beschäftigung mit Krebszellen, Viren und Bakterien begründet, die "darwinistische Prozesse ohne Rücksicht auf den Menschen zur Perfektion gebracht haben.“

Tatsächlich lässt sich der Einfluss evolutionärer Prinzipien anhand von Infektionskrankheiten besonders gut verdeutlichen: Der Einsatz von Antibiotika hat viele Bakterien vernichtet, während sich andere Keime durch biologische Anpassung der Wirkung der Medikamente entziehen konnten. Diese Antibiotika-Resistenz gilt heute als große Gefahrenquelle in den Krankenhäusern, und erfordert sorgfältige Überwachung sowie einen verantwortungsvollen Einsatz dieser Medikamente.

Krebs und Übergewicht

Auch in der Krebstherapie sollten Evolutionsprinzipien laut Ansicht des Autors mehr Beachtung finden. Hier sind es die Krebszellen, die unter dem "Selektionsdruck“ einer Krebsbehandlung Therapie-resistent werden können. Dies gilt aber nicht nur für die Chemotherapie, sondern auch für den modernen Ansatz der Hemmung von Gefäßneubildungen durch spezifische Krebsmedikamente. Wie auch bei anderen Erkrankungen denkt Böhm darüber nach, dass die erfolgreiche Behandlung von Tumoren im Kindesalter zu einer Anreicherung entsprechender Risikogenen in der Bevölkerung führen könnte - dann nämlich, wenn die betroffenen Kinder als Erwachsene ihre Gene an die Nachkommen weitergeben. Aber die Zeitläufe, in denen ein solcher evolutionärer Prozess überhaupt schlagend werden könnte, erstrecken sich über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende (siehe auch Interview rechts).

Als weiterer Schauplatz gerät der Lebensstil in den westlichen Gesellschaften, gekennzeichnet durch hyperkalorische Ernährung und chronischen Bewegungsmangel, in das Visier der evolutionstheoretischen Brille. Stand früher die Nahrungsbeschaffung zum Überleben im Vordergrund, grassiert heute meist der Überfluss. Kinder, Jugendliche und Erwachsene verbringen ihre Zeit vorzugsweise vor dem Bildschirm. Die Folgen sind bekannt: Hohe Raten an Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und ein breites Spektrum an Herz-Kreislauf-Folgeerkrankungen. Bei der Beantwortung der Frage, inwieweit diese Entwicklungen auch den genetischen Code verändern könnten, bleibt der Autor aber großteils nebulos - aufgerieben zwischen vereinzelten Studiendaten, beispielsweise zum Fortpflanzungserfolg von übergewichtigen Personen.

Handfestere Erläuterungen hingegen gibt es zur Künstlichen Befruchtung, deren Anwendung in der westlichen Welt rapide angestiegen ist. Längere Ausbildungszeiten, stärkeres Karrieredenken oder Schwierigkeiten mit der Partnerwahl haben dazu geführt, dass der Kinderwunsch mitunter nicht mehr auf natürlichem Weg erfüllt werden kann. Wie der Autor zeigt, hat Künstliche Befruchtung aber ihren Preis: etwa ein erhöhtes Risiko für genetische Defekte und psychische Erkrankungen, vielleicht auch eine erhöhte Häufigkeit von Unfruchtbarkeit in der nächsten Generation, sofern diese genetisch mitbestimmt ist. Langzeitdaten stehen aufgrund der jungen Geschichte dieser Methode noch aus. Böhm jedenfalls befürchtet ein "unkontrolliertes Evolutionsexperiment, bei dem sicherlich noch nicht alle negativen Folgen erkannt worden sind.“

Neben diesen Problemfeldern werden im Rundgang noch viele andere Themen aus evolutionärer Sicht gestreift: Warum es überhaupt Geschlechter gibt, wie die Paarbildung funktioniert - Stichwort "Ressourcen-starke Männer“ -, warum die Pubertät in entwickelten Ländern immer früher auftritt, wie Fremdenangst auf ein "Infektionsvermeidungsalarmsystem“ zurückzuführen sein könnte, oder wie sexuelle Selektion als Ursprung männlicher Aggressivität und Gewalt verstanden werden kann.

Tabuisiertes Terrain

Insgesamt lenkt Böhm die Blickrichtung auf ein teils tabuisiertes Terrain, das mit ethisch oft schwierigen Fragestellungen verbunden ist. Vieles darin aber bleibt unbestimmt, schlecht argumentiert oder teils waghalsige Spekulation. Auch mit Gesellschaftskritik wird nicht gespart, wobei der flotte Duktus leider von unzähligen Gemeinplätzen durchzogen ist: "die Trivialität der Medien“, die Enttäuschung über "Politik und Demokratie“, oder das "vielfach kritik- und zahnlose Theater“. Und wer ist schuld, dass soziale Krisenherde nicht ins politische Bewusstsein kommen? Natürlich, die "Übermacht des Geldes“.

Dementsprechend simpel laufen die Ausführungen des Autors darauf hinaus, das Potenzial der Prävention und einen gesunden Lebensstil zu verkündigen: "Die wachsende Kluft im Lebensstil, vor allem bei Ernährung und Bewegung, zwischen dem der heute lebenden Menschen und dem unserer Vorfahren, muss wieder kleiner werden.“ Mit solchen Forderungen ist er bei weitem nicht allein. Und das ließe sich auch ganz ohne Evolutionstheorie argumentieren.

Die manipulierte Evolution

Wie unsere Gesellschaft den genetischen Code verändert.

Von Thomas Böhm, Braumüller Verlag 2013.

336 Seiten, gebunden, e 22,90

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