hengstschläger - © Foto: Biotehikkommission

Genetische Medizin: „Es ist noch Luft nach oben“

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Markus Hengstschläger über den Weg zu einer genetisch fundierten Präzisionsmedizin und die Situation der österreichischen Forschungspolitik.

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Markus Hengstschläger über den Weg zu einer genetisch fundierten Präzisionsmedizin und die Situation der österreichischen Forschungspolitik.

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Markus Hengstschläger studierte Genetik an der Universität Wien, forschte u. a. an der Yale University in den USA und wurde schließlich zum Universitätsprofessor an der Med-Uni Wien berufen, wo er heute das Institut für Medizinische Genetik leitet. Neben der universitären Lehre ist Hengstschläger in der genetischen Diagnostik, Grundlagenforschung und Innovationsberatung tätig. Er ist unter anderem stv. Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission sowie wissenschaftlicher Leiter des Think Tanks „Academia Superior“; von 2010 bis 2020 war er stv. Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung. Für seine Arbeit wurde Hengstschläger mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik. Die FURCHE bat ihn anlässlich des Mendel-Jubiläums zum Interview.

DIE FURCHE: Vor 200 Jahren wurde Gregor Mendel, der Pionier der Vererbungslehre, geboren. Wie sehen Sie sein Werk aus heutiger Sicht?

Markus Hengstschläger: Ein Schwerpunkt der medizinischen Genetik ist die Diagnostik und genetische Beratung im Zusammenhang mit Erkrankungen, die durch Mutationen in einem Gen entstehen. Bis heute spielen die Mendelschen Regeln bei solchen Erkrankungen eine wichtige Rolle und sind daher auch von Bedeutung für die tägliche praktische Arbeit an unserem Institut. Gregor Mendel hat die Ergebnisse seiner Kreuzungs-Experimente an Erbsen im Jahr 1866 veröffentlicht. Zu seinen Lebzeiten fanden sie keine große Anerkennung und Mendel soll gesagt haben: „Meine Zeit wird schon kommen!“. Heuer, zu seinem 200 Geburtstag, steht fest: „Seine Zeit ist gekommen, um zu bleiben.“

DIE FURCHE: Vererbung wird heute oft über die Epigenetik erklärt, also durch die komplexe Wechselwirkung von Lebensstil und Erbgut. Wie kann man sich das vorstellen?

Hengstschläger: Grundsätzlich gilt, dass der Mensch auf seine Gene nicht reduzierbar ist. Er ist das Produkt der Wechselwirkung von Genetik und Umwelt. Und die Epigenetik bildet gewissermaßen die Brücke zwischen sozialen und biologischen Effekten. Die Mechanismen der Epigenetik, wie etwa chemische Veränderungen der DNA, regeln nachhaltig die Verwendung der Gene, also ihre Übersetzung in Proteine. Und die Umwelt kann diese Mechanismen beeinflussen. Es ist klar, dass epigenetische Muster auch an die nächste Generation weitergegeben werden können. Aber um die Bedeutung dieser Vererbung für den Menschen besser zu verstehen, ist noch sehr viel Forschung notwendig.

DIE FURCHE: Was ist von der Genetik für medizinische Entwicklungen zu erwarten? Wird man zum Beispiel künftig standardmäßig Untersuchungen durchführen, um individuelle Krankheitsrisiken zu erheben?

Hengstschläger: Die erstmalige Analyse des gesamten menschlichen Erbguts, die im Jahr 2001 veröffentlicht wurde, dauerte noch über 10 Jahre. Heute hingegen ist es möglich, Sequenzierungen im klinischen Bereich in wenigen Tagen durchzuführen und zu interpretieren. Die Anwendungen genetischer Analysen nehmen in der Humanmedizin stark zu und bilden die Basis für die sogenannte Präzisionsmedizin. Wenn Genom-Analysen und Künstliche Intelligenz zusammenkommen, wird das eine neue Epoche einläuten: Auf diese Weise wird die Interpretation von Genom-Daten mit vielen anderen klinischen Daten eine präzise und höchst personalisierte Diagnostik, Prophylaxe und Therapie ermöglichen.

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