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Nur ein Blick durch den Türspalt

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Keine Wissenschaft entwickelt sich heute in so geheimnisvollem Dunkel und könnte dabei so weitreichende Konsequenzen für die Zukunft der Menschheit haben wie jener Zweig der Biologie, der sich mit der Aufklärung und Manipulation der Erbinformation beschäftigt. Ein neu erschienenes Buch gestattet einen Blick durch den Türspalt.

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Keine Wissenschaft entwickelt sich heute in so geheimnisvollem Dunkel und könnte dabei so weitreichende Konsequenzen für die Zukunft der Menschheit haben wie jener Zweig der Biologie, der sich mit der Aufklärung und Manipulation der Erbinformation beschäftigt. Ein neu erschienenes Buch gestattet einen Blick durch den Türspalt.

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Von Zeit zu Zeit erscheinen in den Zeitungen kurze, geheimnisvolle Notizen. Etwa des Inhalts, die Erbinformation dieser oder jener Pflanze sei mit derjenigen dieser oder jener Tierart vereinigt worden. Oder über Streitigkeiten zwischen Wissenschaftlern über Sicherheitsmaßnahmen in Laboratorien, in denen genetische Forschungen durchgeführt werden.

Daß solche Forschungen überhaupt mit Gefahren verbunden sein können, ahnen die Zeitungsleser seit 1975, als die Konferenz von Asi- lomar stattfand, und die Wissenschaftler selbst ahnen es nicht sehr viel länger.

Näheres über diese Gefahren erfährt man hierzulande so gut wie nicht, während in zahlreichen amerikanischen Städten bereits öffentliche Hearings über das Risiko stattfanden, das biochemische Laboratorien möglicherweise für die Umgebung darstellen könnten. Die Öffentlichkeit erhascht dabei freilich auch in den USA kaum mehr als einen flüchtigen Blick durch den Türspalt in je-

nen Bereich, in dem diese geheimnisvollen Forschungen vorangetrieben werden, und gewisse Vorfälle lassen den Schluß zu, daß hinter der Tür mächtige Interessen am Werk sind, sie so schnell wie möglich wieder zu schließen.

So zum Beispiel fand das öffentliche Hearing über die Gefahren der genetischen Forschung in Harvard in einem Klima der Feindseligkeit seitens der Forscher statt, und junge Wissenschaftler, die allzu offen gesprochen hatten, zogen sich alsbald wieder zurück und entschuldigten sich mit dem Hinweis auf ihre Karriere.

Wer sich über die Vorgänge hinter den Kulissen informieren möchte, findet die gesuchten Informationen nun in dem 1977 in den USA und soeben auch in deutscher Sprache erschienenen Buch „Gefahren der Gen-Manipulation - Das letzte Experiment“ des angesehenen amerikanischen Wissenschafts-Publizisten Nicholas Wade, der die Auseinandersetzungen in der Konferenz von Asi- lomar (Kalifornien) für die Zeitschrift „Science“ verfolgte. (Ullstein Verlag, 166 Seiten, öS 193,50.)

Was Forschungsstand und mögliche Konsequenzen betrifft, so bietet auch er wenig mehr als einen Blick durch den Türspalt und läßt manche Gefahren mehr ahnen, als daß er sie ausspricht. Hingegen berichtet er sehr genau über die Auseinandersetzungen zwischen den Fachleuten und über die Position, die jeder, der dabei eine Rolle spielt, einnimmt.

Dabei wird freilich erkennbar, daß auch den Forschern selbst bei der Erforschung der Erbinformation und der Möglichkeiten, sie zu korrigieren oder zu verändern, bisher kaum mehr als ein Blick durch den Türspalt gelang. Was die Auseinandersetzung kennzeichnet, ist gerade eine große Unwissenheit darüber, welche Gefahren hier schlummern und wie klein oder groß nun eigentlich die Möglichkeit, daß es zu Unfällen kommen könnte, einzuschätzen sei. Und auch das Ausmaß solcher Unfälle ist im wahrsten Sinn des Wortes nicht absehbar.

Nicholas Wade gibt zunächst einen kurzen, aber fundierten Einblick in die Arbeitsmethode der „Gen-Chirurgie“, die freilich noch mit sehr groben Werkzeugen arbeitet und eine ihrer wichtigsten Techniken, die Einlagerung kompletter Gen-Sätze anderer Herkunft in bestimmte Bakte- rien-Chromosomen, ebenso bildkräftig wie treffend als „Schrotschuß- Experimente“ bezeichnet.

Wie so oft haben auch in der Genetik im Prinzip einfache Entdeckungen gewaltige Fortschritte ermöglicht. Bekanntlich ist die gesamte Erbinformation jedes lebendigen Individuums in der Doppelhelix festgehalten, einem gewundenen und vielfältig gefalteten Doppelstrang, bestehend aus Desoxy-Ribo-Nu- kleinsäure (DNS), in dem vier DNS- Arten einen Code von gewaltiger Länge bilden. Die Reproduktion dieser Erbinformation geschieht durch

Teilung des Stranges der Länge iach, wobei sich jeder der einzelnen Halbstränge wieder zu einem kompletten Doppelstrang vervollständigt.

Der große Sprung zur „Gen-Chirurgie“, auch „Bio-Engineering“ genannt, wurde durch einige wenige Erkenntnisse mit gewaltigen Konsequenzen ermöglicht. Man verfugt heute über biochemische Substanzen, mit denen sich die DNS-Stränge in „handliche“ Stücke zerteilen lassen, über Plasmide, winzige, ringförmige DNS-Stücke, die in manchen Bakterien als zusätzliches Mini- Chromosom mit ganz wenigen Genen enthalten sind und in die sich DNS-Fragmente oder komplette Erbsätze einlagem lassen, und man kann diese Kombinationen bakterieller Erbinformation und solcher von anderer Herkunft mit Hilfe von Bakterien beliebig vermehren.

Und es ist diese Vermehrungsmöglichkeit, die in einer Phase frohgemuten und sorglosen Experimentierens in einigen Wissenschaftlern plötzlich die schockartige Erkenntnis auslö-

ste, daß sie neuartige Lebensformen erzeugten, deren Entweichen aus dem Laboratorium unter Umständen katastrophale Folgen haben könnte. Und zwar solche, die man absehen kann, aber auch solche, die allenfalls zu ahnen oder noch nicht einmal zu ahnen sind.

Eine der meistdiskutierten Gefahren der Gen-Chirurgie könnte sich aus der engen Verbindung zwischen dieser Forschungsrichtung und der Krebsforschung ergeben. Dabei kann das Entstehen neuer Virus- Formen, die Krebs von Mensch zu Mensch übertragen könnten, nicht völlig ausgeschlossen werden.

Nun arbeitet aber die Gen-Chirurgie vorzugsweise mit einer Bakterie (Escherichia coli K 12), die seit 1922 im Laboratorium gezüchtet wird und dabei so viel von ihrer Überlebenskraft und Virulenz verloren hat, daß sie dem Menschen nicht gefährlich werden und in ihrem ursprünglichen Milieu, dem menschlichen Darm, nicht mehr überleben kann. Diese Bakterienart wurde daher-auch bald zur Erforschung von Virus-Ar- ten herangezogen, die bei niederen Tieren, nicht aber beim Menschen, Krebs hervorrufen.

Ein Teil der Forscher meint, daß bei diesen Arbeiten auch ein infektiöser Krebs-Virus entstehen kann und daß auch die kleine, aber doch nicht zu vernachlässigende Möglichkeit besteht, daß Escherichia coli K 12 als Wirtsorganismus solcher Viren neue Eigenschaften entwickelt. Andere Forscher lehnen solche „Horror-Szenarios“ rundweg ab.

Noch ist die Auseinandersetzung intern, doch sie hat bereits einige Ähnlichkeit mit der zwischen Kern energie-Anhängem und Gegnern. Wobei die Skeptiker unter den Genetikern meinen, daß die im „Bio-Engineering“ schlummernden Gefahren alles, was von der Kernenergie her droht, möglicherweise in den Schatten stellen. Und daß daher das Inkaufnehmen von „Mini-Risiken“ hier noch weniger zu verantworten sei.

Tatsache ist, daß bestimmte Experimente vor mehreren Jahren schlagartig eingestellt wurden. Tatsache ist, daß ein Forscher in den USA 60.000 Kulturen, die Arbeit von Jahren, vernichten mußte und ein anderer eine von ihm neu entwickelten Bakterienart, die sich in der Abwasserreinigung hätte nützlich machen sollen, entsetzt vernichtete, als er erkannte, daß sie auch als Überträger lebensgefährlicher Durchfall-Erkrankungen in-Frage kam.

Tatsache ist, daß heute in den USA, in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten, abgestufte Sicherheits-Vorschriften existieren, die den einen zu hart und den anderen zu weich erscheinen, und daß die US-Behörden bestimmte Experimente überhaupt verboten. Tatsache ist aber auch, daß niemand kontrollieren kann, was in anderen Ländern geschieht. Es ist leider auch eine Tatsache, daß hochgefährliche Experimente auf diesem Gebiet mit geringen materiellen Mitteln möglich sind.

Womit nur ein Bruchteil dessen angedeutet werden kann, was Nicholas Wade in seinem Werk teils ausspricht, teils selbst nur andeutet. Schade, daß ausgerechnet dieses Buch so schlampig übersetzt und redigiert wurde. Da wird die „billion“ mehrfach als „Billion“ übersetzt statt als Milliarde, da werden Sätze in ihr Gegenteil verkehrt - es ist ein Jammer.

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