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An der Grenze des Lebens

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Wo sich das Licht im Dunk] verliert, gibt es keine harten Grenzen, an denen man Helligkeit und Finsternis scheiden könnte. Unklar und variabel sind auch die Grenzen zwischen toter Materie und belebter Natur. Die Bausteine der Lebewesen sind doch genau solche Moleküle, aus denen auch unbelebte Stoffe zusammengesetzt sind, die man zum Teil sogar künstlich darstellen kann. Allen bisher bekannten Naturgesetzen entspricht es also, wenn Zwisdien-stufen von den komplizierten Bausteinen des Lebens zu den primitivsten Lebewesen selbst die Brücke schlagen.

Als die Bakterien entdeckt wurden und der Franzose Pasteur mit seinen großartigen Forschungsergebnissen über das Dasein dieser Mikroorganismen vor die Öffentlichkeit trat, glaubte man mit Redn, in die Region zwischen den vollwertigen Lebewesen und der unbeseelten Materie vorgestoßen zu sein. Man hatte Bakterien als Erreger von Krankheiten erkannt, konnte sich aber keine Vorstellung von ihrer Wirkungsweise madien. Auch als Robert Koch als erster den Erreger der Tbc gesehen hatte, glaubte man noch an die Wirkung eines jeden Bakterien vesens allein durch sein Vorhandensein im Körper. Erst Kochs Schüler, Fricdridi Löffler, sprach bei spateren Forschungen die Ansicht aus, daß der DiphtHerlebazillus „ein für so viele Tiere außerordendich vernichtendes Gift“ erzeuge. Das war eine unerhört kühne Vorstellung. Es wurde also damit behauptet, daß auch Bakterien einen Stoffwechsel hätten wie alle anderen Lebewesen. Im Jahre 1888 wurde die Methode, nach der das Gift des DiphtHerleerregers gewonnen werden konnte, vjmffentlif.hf. In. jAhr.cn—setzte tichdis Erkenntnis mehr und mehr durch, daß Bakterien zwar winzige, aber immerhin voll entwickelte Pflanzen sind.

Bei Beobaditungen am Bakterienfilter ergaben sich iedoch Unterschiede zu manchen Kleinstlebewesen, die rüan anfangs ebenfalls als Bakterien angesehen hatte, wie die Erreger der Pocken, der Masern und des Scharlachs. Robert Koch kam 1890 zu der Erkenntnis, daß es sich bei den genannten Krankheiten gar nicht um Bakterien, sondern um organisierte Krankheitserreger handelt, welche ganz anderen Gruppen von Mikroorganismen angehören. Für diese Erreger unbekannter Art gab es vorher schon lange einen Sammelbegriff, den man ver-sdiieden ausweitete oder verengte — das Virus. Über die Natur der Viren machte Löffler eine interessante Entdeckung. Er stellte fest, daß der Inhalt ots Bläschens bei der Maul- und Klauenseuche des Rindes auch dann noch die Krankheit auf gesunde Tiere übertragen kann, wenn man ihn durch ein Filter schickt, in dem auch die kleinsten Bakterien zurückbleiben müßten. Ein Virus ist also erheblich kleiner als ein Bakterium und mit den üblichen Vergrößerungen nicht mehr zu sehen. Bakterien haben für den Forscher die angenehme Eigenschaft, daß sie sich auf einem gelatinartigen Nährboden rasend schnell vermehren und große Kolonien bilden. Das Arbeitsmaterial kann also immer wieder gezüchtet werden. So einfach ist das Virus nicht zu behandeln. Es kann sich nur im Verband einer lebenden Zelle vermehren und kein eigenständiges Dasein führen. Ist es nun ein belebtes Wesen oder nicht?

Über das Wesen der Viren hat man nach den Forschungen der letzten zehn Jahre den Schleier gelüftet und kam zu der Erkenntnis, daß die Viren in ihrer Größe eine Zwischenstellung zwischen den Bakterien und den kompliziertesten Molekülen einnehmen. Die kleinsten Viren haben einen Durchmesser von einem hunderttausendstel, die größten von einem viertausendstel Millimeter. Im Jahre 1935 konnte der Amerikaner Stanley das Tabak-Mosaik-Virus, das bei Tabakpflanzen eine gefürchtete Krankheit verursacht, isolieren und in kristallisierter Form vorführen. Dieses Virus war also kein Lebewesen, sondern ein riesiges Eiweißmolekül aus der Gruppe der Proteine.

Obwohl dieser Nachweis unwiderlegbar erbracht werden konnte, blieben viele Forscher auf dem Standpunkt stehen, daß die Viren als Krankheitserreger bei Mensch und Tier Lebewesen seien. In verschiedenen Fachkreisen wurde von nun an zwischen den Erregern der Viruskrankheiten bei Pflanzen der einen und bei. Mensch und Tieren auf der anderen Seite ein Trennungsstrich gezogen. Erst als es Butenandt 1941 gelang, das Virus der Maul- und Klauen-seudie chemisch rein lals ein Protein darzustellen, wurde die Einheit des Virusbegriffes wiederhergestellt. Viren sind demnach nidits als Riesenmöleküle von Eiweißverbindungen. Sie sind also von Bakterien, mit denen sie um 1860 noch in gewisse Beziehungen gesetzt wurden, vollkommen versdiieden.

Dafür wurden gewisse Zusammenhänge zwischen Viren und Genen aufgedeckt. Die Gene sind winzige Eiweißkörper, die ihren Sitz in den9 Fäden des Kernes einer Zelle haben. Die Zellfäden — Chromosomen — enthalten bei den höheren Tieren jeweils mehrere tausend Gene. Diese sind Träger der Erbanlage und formen das Wachstum der Zellen. So gibt es ein Gen für dunkle Augen, ein anderes für helle Haut, ein-drittes für blonde Haare. Die Gene sind also Lenker und Steuerer des Wachstums. Obwohl sie nur etwa ebenso groß sind wie Viren — mit Hilfe von Röntgenstrahlen hat man sie gemessen —, haben sie einen ungeheuren Einfluß auf den gesamten Orpanitpyi i n Für wämiuiuifilid* TIPTrr-sifbhungen sind sie leider nicht zu seiner Substanz zugänglich.

Die Gene sind jedenfalls in den letzten Jahren in den Brennpunkt der Forschung gerückt. Viele Fragen harren auf ihre Lösung: Auf welche Weise erhalten sich die Gene durch die' Generationen hindurch, ohne daß ihre Substanz abnimmt? Wie bleibt die Zahl der Gene auch bei der Zellteilung erhalten? Wie reagiert das Gen, wenn man es schädigt? Die wichtigste und kaum erklärbare Frage ist aber: Wie kommt die Formung des Zellwachstums durch das Gen zustande? Die Genwirkung zeigt sich doch nicht nur an einer Stelle des Organismus, sondern überall. Es muß also eine stoffliche Vermittlung zwischen dem Gen und äem von ihm geprüften Merkmal geben. Die moderne Wissenschaft nimmt an, daß ein Gen die Möglidikeit hat, Fermente zu bilden und sie als seine Werkzeuge zu benutzen.

Ein neuer Stoff im Niemandsland zwischen Lebewesen und unbelebter Materie taucht auf, das Ferment. Der deutsche Naturforscher Stahl erklärte am Anfang des 18. Jahrhunderts das Ferment als einen Stoff „mit innerer Bewegung“. Heute konnte man es in präziserer Definition einen lebenden Katalysator nennen, als einen Körper, der durch seine bloße Gegenwart chemische Tätigkeiten beeinflußt, ohne sich selbst dabei zu verändern. In der Technik gibt es unzählige Beispiele für solche katalytische Wirkungen. Fermente sind Eiweißkörper, die im Organismus allein durch ihr Dasein verschiedene Reaktionen hervorrufen können. Unter einem Mindestaufwand von Energien bewirken sie chemische Umsetzungen großen Ausmaßes.

Und nun, was sind Viren, Gene und Fermente ihrem Aufbau nach? Eiweißkörper, wie der überwiegende Teil des Baumaterials des gesamten Organismus. Isoliert man sie aus dem Verband des Körpers, so sind sie ebensowenig lebensfähig wie andere Eiweißmoleküle, die Bausteine einer Zelle bilden. Im Organismus aber zeigen sie sich als gestaltende und ordnende Kräfte, ohne die kein Leben möglich wäre.

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