Nasse Märkte - Marktplätze, wo lebende oder unmittelbar geschlachtete Tiere angeboten werden, gelten als „Zeitbombe“ für neuartige Infektionskrankheiten (Bild: „Wet Market“ in Hong Kong). - © Foto: APA / AFP / Isaac Lawrence

Corona: Schlägt die Natur zurück?

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Forscher sehen in der Coronakrise einen „Warnschuss“. Denn das Risiko für Epidemien ist davon abhängig, wie Menschen mit Tieren und Ökosystemen umgehen.

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Forscher sehen in der Coronakrise einen „Warnschuss“. Denn das Risiko für Epidemien ist davon abhängig, wie Menschen mit Tieren und Ökosystemen umgehen.

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Der Huanan-Markt in Wuhan war bekannt für sein reichhaltiges Angebot: Neben Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten wurden dort auch Ratten, Füchse, Schildkröten, Krokodile oder Fledermäuse feilgeboten, frisch geschlachtet und filetiert. Menschen drängten sich dicht an den Ständen mit den aneinander gereihten Tieren. Man könne sich kaum bessere Bedingungen für das Auftreten neuartiger Infektionskrankheiten vorstellen als solche Szenarien, warnen Gesundheitsexperten schon seit Längerem: Denn das sei ein „idealer Schmelztiegel“ für Krankheitserreger, die von Tieren auf den Menschen überspringen.

Bereits im Jahr 2007 sprach eine Studie zur SARS-Epidemie von 2002/03 von einer tickenden „Zeitbombe“: In Fledermäusen gebe es ein großes Reservoir von Corona-artigen SARS-Viren, was angesichts der südchinesischen Tradition, exotische Säugetiere zu essen, gefährlich werden könne. Heute weiß man, was damit gemeint war: Das Coronavirus SARS-CoV-2 hat vom Markt in Wuhan seinen schrecklichen „Siegeszug“ rund um die Welt angetreten. Angesichts der Corona-Krise hat China solche Märkte nun verboten. Doch das erfasst wohl nur die Spitze des Eisbergs: So genannte „Wet Markets“, also Märkte, wo noch lebende oder kurz vor dem Verkauf geschlachtete Tiere angeboten werden, gibt es in Asien und Afrika in rauen Mengen.

Gefahr von Zoonosen

Von den zahlreichen Viren, die in Wild­tieren zu finden sind, ist nur ein Bruchteil bekannt. Mehr als 70 Prozent aller Infektionskrankeiten stammen von Erregern, die von Tieren auf den Menschen übertragen wurden. Diese Zoonosen haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich zugenommen. Dass das Risiko von Epidemien mit ökologischen Faktoren zusammenhängen könnte, ist ein Verdacht, den viele Wissenschaftler immer wieder aufgebracht haben. Früher dachte man, dass mit den unzähligen Spezies in einem intakten tropischen Regenwald neuartige Krankheitserreger in die Welt kommen könnten; heute sieht man es umgekehrt. Denn es scheinen gerade die menschlichen Eingriffe in solche Ökosysteme zu sein, die zu einem erhöhten Epidemierisiko beitragen. Gerade dort, wo der größte Artenreichtum zu finden ist: „Wir dringen in tropische Wälder und wilde Landschaften ein, die so viele Tier- und Pflanzenarten beheimaten – und in diesen so viele unbekannte Viren“, bemerkte David Quammen, ­Autor von „Spill­over: Der tierische Ursprung weltweiter Seuchen“ (DVA 2013), unlängst in der New York Times. „Wir fällen Bäume, töten Tiere oder karren sie eingepfercht auf den Markt. Wir zerrütten Ökosysteme und schütteln Viren aus ihren natürlichen Wirten. Wenn das passiert, brauchen die Viren einen neuen Wirt. Oft sind es dann wir.“ Forscher vermuten ­heute, dass es fast immer menschliches Verhalten ist, das dazu führt, dass Krankheiten vom Tierreich überschwappen. Ist die globale ­Corona-Krise also ein „Warnschuss“ für die menschliche Zivilisation, die „mit dem ­Feuer spielt“, wie jetzt manche von ihnen meinen?

„Mit der Corona-Pandemie sendet uns die Natur eine Botschaft“, sagte kürzlich Inger Andersen, Direktorin des UN-Umweltprogramms. Die Menschheit übe zu viel Druck auf die Natur aus, woraus in vielerlei Hinsicht schädliche Konsequenzen erwachsen. „Jetzt gilt es, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Unsere langfristige Antwort aber muss darauf abzielen, den Verlust von Biodiversität und natürlichen Lebensräumen zu verhindern“, so die dänische Ökologin. Die Expertenvereinigung des „Club of Rome“, der sich seit 1968 für eine nachhaltige Entwicklung einsetzt, stößt nun in das gleiche Horn: „Das Auftreten von Infektionskrankheiten wie Ebola, Vogelgrippe, SARS und nun Covid-19 ist bedingt durch menschliche Aktivitäten wie Abholzung, Agrarkolonisation, verstärkte Jagd und vermehrten Wildtierhandel; allesamt Aktivitäten, die auch zum Artensterben beitragen können.“

Wir zerrütten Ökosysteme und schütteln Viren aus ihren natürlichen Wirten. Wenn das passiert, brauchen die Viren einen neuen Wirt. Oft sind es dann wir. (David Quammen)

Dass die schwindende Biodiversität direkt für ein steigendes Epidemie-Risiko verantwortlich sei, hält Kurt Kotrschal für eine „kühne These“. „Aber natürlich hängt in der Ökologie alles mit allem zusammen“, sagt der emeritierte Biologie-Professor der Uni Wien im Gespräch mit der FURCHE. „Man darf nicht vergessen, wie sehr Menschen und Tiere mit Viren verbunden sind, die auch in der Evolution eine wichtige Rolle gespielt haben.“ Doch es macht einen Unterschied, ob sich Lebewesen seit Millionen von Jahren mit Viren entwickeln oder ob ein potenzieller Krankheitserreger auf eine immunologisch naive Bevölkerung trifft – wie jetzt beim Coronavirus.

Flughunde etwa fungieren für Nipah-­Viren seit Langem als natürliche Wirte. Ein Krankheitsausbruch in Malaysien war 1999 wohl darauf zurückzuführen, dass ein Flughund eine Schweinezucht in einem abgelegenen Wald infizierte. Von dort sprang es auf Menschen über, für die das Virus völlig neuartig war. Viele von ihnen ­verstarben oder trugen schwere Nervenschäden ­davon. In Australien brachten es die wachsenden Vorstädte mit sich, dass mit dem Hendra-­Virus infizierte Fledermäuse aus dem Wald in Weiden und Hinterhöfe vordrangen und das Virus auf Pferde und Menschen übertrugen. AIDS wiederum suchte den Menschen heim, nachdem afrikanische Buschjäger HIV-infizierte Schimpansen geschlachtet hatten. Das Risiko, dass tierische Krankheitserreger auch den Menschen befallen, war immer schon da. Die bakteriell verursachte Pest wurde schon im Mittelalter von Ratten übertragen. Doch im Zeitalter der Globalisierung, wo man binnen kurzer Zeit vom afrikanischen Regenwald in eine europäische Großstadt reisen kann, werden Zoonosen zum globalen Damoklesschwert, wie die Corona-Krise drastisch zeigt.

Tierischer Stress

Ein weiterer wichtiger Faktor für das Epidemierisiko dürfte das tierische Immun­system sein. Hendra-infizierte Flughunde etwa waren in den Städten stärker vom Virus betroffen als am Land. Forscher vermuten, dass dies mit dem Lebensraumverlust und somit geringerer Virusexposition, schlechterer Ernährung etc. zu tun haben könnte. „Auch Menschen sind im urbanen Setting weniger widerstandsfähig, das gilt auch für psychische Erkrankungen“, bemerkt Kurt Kotrschal. Andererseits führen Tierhaltung und Tiertransporte auf engem Raum zu chronischem Stress, der die Immunabwehr der Tiere schwächt. Krankheitserreger, die sonst in Schach gehalten werden, haben leichtes Spiel und quillen verstärkt aus den tierischen Sekreten.

Gut möglich, dass im Zuge der Corona-Krise eine junge Wissenschaft massiven Auftrieb bekommen wird: „One Health“ untersucht, wie die menschliche Gesundheit mit der Gesundheit von ganzen Ökosystemen zusammenhängt. „Die Trennung von Gesundheit und Umweltpolitik ist eine gefährliche Illusion“, sagte der US-Gesundheitsforscher Aaron Bernstein kürzlich im Guardian. „Unsere Gesundheit hängt vom Klima und den anderen Organismen ab, mit denen wir diesen Planeten teilen.“ Diese Botschaft vermittelte nun auch UN-Direktorin Inger Andersen: „Bei einer Weltbevölkerung von bald zehn Milliarden brauchen wir die Natur künftig als unseren stärksten Verbündeten. Wenn wir nicht auf sie achtgeben, fällt das letztlich auf uns zurück.“

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