Die Globalisierung der Insekten

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Tierische Migranten

Stechmücken und Käfer stehen in Österreich unter Aufsicht der Wissenschaft: Über die Anpassung und Lebensweise eingewanderter Arten werden immer mehr Einzelheiten bekannt.

Im Herbst können sie mitunter noch lästig sein, im Winter ziehen sich die Gelsen dann in Bäume oder Erdlöcher zurück. Oder sie dringen in Häuser ein, um in frostfreien Räumen zu überwintern. Durch den Klimawandel wird ihre Ruhezeit tendenziell verkürzt. Die Vielfalt der Stechmücken -derzeit mehr als 40 Arten - nimmt in Österreich hingegen zu: Gründe dafür sind die Globalisierung sowie eben die veränderten Klimabedingungen.

Dass Stechmücken laue Sommerabende ganz schön vermiesen können, darüber ist man sich hierzulande einig. Doch während sie meist nur unangenehme Dippel hinterlassen, können sie auch anders: In tropischen Gebieten übertragen solche Mücken Erreger verschiedenster Krankheiten -vom Dengue-Fieber über Zika bis hin zur Malaria. Die Frage, inwieweit Mücken auch in Österreich zu einer ernsthaften gesundheitlichen Gefährdung werden können, wird zunehmend diskutiert. Durch die Veränderung des heimischen Klimas, so heißt es, könnten die Tropenkrankheiten in Mitteleuropa zukünftig nicht mehr nur bloß als Gefahren anderer Klimazonen gelten.

Insekten als blinde Passagiere

Faktum ist, dass die heimische Insektenlandschaft vielfältiger wird - und damit auch die Zahl der potentiellen Krankheitsüberträger. Die Debatte rund um die Etablierung neuer Insekten wirft einige Fragen auf: Gibt es bereits heimische Insekten, die solche Infektionskrankheiten übertragen können? Welche Faktoren spielen abseits des Klimas eine Rolle bei der Ansiedelung neuer Arten? Wie sieht die Zukunft aus und was sind mögliche Präventionsmaßnahmen?

Laut Hans-Peter Fuehrer, Parasitologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, werden sich aufgrund steigender Temperaturen sowie der Auswirkungen der Globalisierung zukünftig neue Insektenarten in Österreich etablieren können. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die asiatische Tigermücke, die als Überträger von Krankheiten wie Chikungunya-und Denguefieber gilt. Diese Mückenart wurde in Österreich bisweilen vereinzelt nachgewiesen, allerdings überlebte sie den kalten Winter nicht. Anders in Südtirol und Baden-Württemberg, wo es bereits Bestände der Tigermücke gibt, die zur Überwinterung in der Lage sind. Im Gegensatz zu Dengue-oder Chikungunyaviren wurde das West-Nil-Virus in den vergangenen Jahren bereits einige Male bei den heimischen Hausgelsen gefunden und auch bei Menschen diagnostiziert. "Bisher wurden heuer noch keine Erreger gefunden, aber wenn die Temperaturen so hoch bleiben, besteht die Gefahr, dass wieder Fälle vom West-Nil-Virus auftreten", beschreibt Hans-Peter Fuehrer die derzeitige Situation.

Als wesentlichen Faktor für die Ansiedelung neuer Insektenarten nennt auch der Ökologe Bernhard Seidel vom Technischen Büro für ökologische Forschung und Landschaftshygiene die Globalisierung. Die Zunahme des Imports von Rohstoffen und Waren aus aller Welt sorge dafür, dass Insekten, aber auch Fische oder Schnecken sozusagen als blinde Passagiere nach Mitteleuropa transportiert werden. Das Klima macht er nicht für die Einwanderung verantwortlich: "Wenn das Klima als Faktor so eine große Bedeutung hätte, wären die Insekten bereits alle in den Städten, dort wurde der Klimawandel schon vor Jahrzehnten vorweggenommen, da es dort wärmer ist und eine Art Mikroklima herrscht", so Seidel. Überleben und etablieren könnten sich die tropischen Arten nur, wenn die Temperaturen auch über Nacht höher wären als sie bisher sind. Wesentlich bei der aktiven Verbreitung und Etablierung neuer Insektenarten ist etwa auch die von Menschen geschaffene Infrastruktur. So können moderne Frostschutztechniken bei Kellerbauten adäquate Bedingungen für die Ansiedelung tropischer Arten bieten, da der Winter in der gemäßigten Klimazone ansonsten zu kalt für sie wäre.

Bedrohte Waldbäume

"Wir wissen gar nicht, was alles passiv eingeschleppt wurde, die Insekten werden meist zufällig gefunden", beantwortet Seidel die Frage, seit wann wir es mit neuen Arten in Österreich zu tun haben. Zu dem Zeitpunkt als die erste invasive asiatische Stechmücke in der Südsteiermark durch einen Zufallsfund entdeckt wurde, soll die Mücke schon mindestens zehn Jahre in der Gegend etabliert gewesen sein.

Auch die Verbreitung von tropischen Erregern geht damit einher. Im Jahr 2002 gab es eine Epidemie des Usutu-Virus, der für ein Massensterben der Amseln sorgte. Auch in Österreich wurde der Virus nachgewiesen, infizierte Patienten allerdings nicht. Das liege laut Seiden daran, dass das Blut hier nicht auf Erreger wie Usutu oder West-Nil-Virus untersucht wird, da die Symptome oft einer Grippe ähneln: "Keiner kommt drauf, dass jemand etwa den West-Nil-Virus hat, das wird behandelt wie eine normale Grippe". Der erste Fall von West-Nil-Diagnose wurde dementsprechend durch einen Zufall im Zuge einer Blutspende aufgedeckt. Seit 2014 überprüft das Rote Kreuz nun auch regelmäßig Blutspenden auf den Virus. Letztes Jahr gab es laut Behördeninformation (AGES) sechs Infektionen bei Menschen in Österreich.

Die Überwachung neuer Insektenarten ist enorm wichtig. Nur so können neue Arten entdeckt werden, die beispielsweise den Zika-Virus übertragen können. Dieser konnte in Österreich bisher nicht nachgewiesen werden. "Eine Absiedelung von Insekten, wenn sie sich einmal etabliert haben, ist sehr schwierig", so der Parasitologe Fuehrer. Daher gibt es diverse Forschungsprojekte, die eine Verhinderung der Ausbreitung zum Ziel haben.

Aber nicht nur im Bereich der Stechmücken gibt es in der heimischen Landschaft Veränderungen. Bernhard Perny vom Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) beschäftigt sich mit der Ansiedelung neuer Insekten, die eine Gefahr für andere Lebewesen darstellen: die Waldbäume. Folglich ist davon auch der Mensch betroffen, da der Befall von Holz durch Schädlinge enorme wirtschaftliche Auswirkungen mit sich bringt. "Ähnlich wie im Fall der Steckmücken ist ein Großteil der Insekten, die in den letzten 300 Jahren eingeführt wurden und für Waldbäume schädlich sind, unbemerkt geblieben", so Perny. Am problematischsten sind dabei Tiere, die beim Warenaustausch mit Holz eingeführt werden, da diese das Potential haben, heimische Bäume zu befallen. Ein Beispiel ist der asiatische Laubholzbockkäfer, der es mittels Verpackungsholz bereits in einige Teile Europas geschafft hat. In Österreich ist sein Vorkommen noch nicht dramatisch, dennoch wurden bereits an drei Orten in Oberösterreich Lagerplatzbefälle festgestellt.

Natürliche Schädlingsbekämpfung

Der Laubholzbockkäfer muss auch auf keine Erwärmung des Klimas warten, da er hier bereits ideale klimatische Bedingungen sowie entsprechende Bäume vorfindet. Die Bekämpfung eines solchen Befalls dauert Jahre und zieht einen finanziellen Aufwand in Millionenhöhe nach sich. Im Zuge dieser müssen laufend alle Bäume kontrolliert werden. Findet man Bohrlöcher der Tiere im Holz, müssen die befallenen Bäume rasch gefällt und aufwendig entsorgt werden. Unter den unzähligen Insekten, die unbemerkt kommen, sind besonders jene gefährlich, die eine schnelle Entwicklung aufweisen und aggressiv sind. Etwa, indem sie frische Bäume befallen oder beispielsweise im Fall der asiatischen Marienkäfer die heimischen Marienkäfer verdrängen.

Es gibt jedoch auch positive Aspekte bei der Ansiedelung neuer Arten: meist eher dann, wenn diese bewusst freigelassen werden. Dies gilt etwa für den Einsatz von Nützlingen zur Bekämpfung der Kastaniengallwespe, einer der bedeutendsten Schädlinge im Anbau von Esskastanien. Laut Perny sei dies die natürlichste Form der Schädlingsbekämpfung.

Stechmücken und Käfer stehen in Österreich jedenfalls weiterhin unter Aufsicht der Wissenschaftler . Aus gesundheitlicher und auch wirtschaftlicher Sicht gilt jedoch, dass die meisten Insektenarten hierzulande harmlos sind.

Die Überwachung neuer Insektenarten ist heute enorm wichtig: Nur so können neue Arten entdeckt werden, die beispielsweise den Zika-Virus übertragen können.

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