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Kehrt der Schwarze Tod wieder?

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Kann die Pest in unseren Breiten zurückkehren oder ist künftig vielmehr mit völlig neuen Seuchen zu rechnen?

Nahezu ein Drittel der europäischen Bevölke- rung, über 23 Millio- nen Menschen, raffte die große Pest der Jah- dL_ 1 re 1347 bis 1351 dahin. Der Schwarze Tod, der Beiname geht zurück auf die durch Blutergüsse ausgelöste dunkle Verfärbung der Haut, zog tiefe Furchen im kollektiven Bewußtsein Europas. Bis zum heutigen Tag werden Meldungen von einem erneuten Ausbruch der Seuche, wie jener letzte in der indischen Hafenstadt Surat im vergangenen September, mit großem Unbehagen verfolgt. Das zeigte sich nicht zuletzt an der Besorgnis über jene Einreisende aus Indien, die unter dem Verdacht einer Infektion standen.

Wenn man bedenkt, daß zwischen Bombay und Wien kaum mehr als elf Flugstunden liegen, so ist die Angst, der Schwarze Tod könnte erneut einen Abstecher nach Europa machen, möglicherweise gar nicht so irreal. Immerhin wurde die Seuche auch 1347 durch den Pestfloh aus Asien nach Europa, vermutlich über die Seidenstraße, importiert. Dieser Floh beheimatet den bakteriellen Pesterreger „Yersinia pestis“, der vor genau hundert Jahren von A. E. Yer- sin entdeckt wurde und drei verschiedene Krankheitsbilder auslöst. Die Lungenpest, die als tödlichste Form gilt, die Beulenpest, die immerhin noch eine Sterblichkeitsrate von 40 Prozent aufweist und die seltener auftretende Form der Hirnhautentzündung. Doch seit der Entdeckung des Pesterregers läßt sich die Seuche mit Hilfe von Antibiotika erfolgreich bekämpfen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Krankheit rechtzeitig erkannt wird.

„Aus diesem Grund ist die Angst, daß sich die Seuche bei uns wieder verbreiten könnte, aus der Luft gegriffen“, wie Horst Aspöck vom klinischen Institut für Hygiene in Wien bestätigt. Das bedeutet allerdings nicht, daß dip Gefahr für ärmere oder industriell weniger entwickelte Länder gebannt wäre. Von 1978 bis 1992 wurden der WHO über 14.000 Pestinfektionen mit 1.451 Todesfällen gemeldet.

MANGEL AN HYGIENE

Die Ursachen dafür liegen jedoch vor allem in den katastrophalen hygienischen Verhältnissen, die in den betroffenen Ländern zumeist vorherrschen und - das ist der eigentliche Skandal - den Gesundheitsbehörden oft durchaus bekannt sind. Ein Pestausbruch diesen Ausmaßes wäre vermeidbar gewesen, lautete dementsprechend die Kritik an den indischen Gesundheitsbehörden nach dem Ausbruch der Seuche. Doch auch deswegen ist ein Auftreten der Pest in unseren Breiten unwahrscheinlich. Ein wesentlich größeres Augenmerk hingegen hat die Frage nach der Möglichkeit moderner Seuchen verdient. „Aids beispielsweise kann aufgrund seines epidemiologischen Charakters durchaus als Seuche bezeichnet werden“, so der Experte Aspöck.

Offenbar hat jede Epoche auch ihre eigenen Krankheitsbilder. Ein Umstand, auf den nicht zuletzt der renommierte Aids-Forscher Luc Montagnier vom französischen Pasteur Institut hinweist. Für ihn ist Aids eine Krankheit, die unmittelbar mit den Umwälzungen unserer Zivilisation zusammenhängt. Die epidemieartige Verbreitung von Aids hat seinen Grund zwar vor allem „in der sexuellen Promiskuität bestimmter Homosexueller und im Drogenmißbrauch durch intravenöse Injektion“, so Montagnier, doch die Voraussetzung dafür waren biologische Faktoren. Denn erst durch den massiven Einsatz vom Antibiotika in der Medizin konnte es zu einer derartigen Selektion der Aids-Viren kommen, die die Suche nach einem Impfstoff dagegen so sehr erschweren.

In gewisser Weise ist es paradox: Die Anstrengungen, die zur Vorbeugung und Bekämpfung konventioneller Erkrankungen unternommen wurden, führten letztlich dazu, daß sich weitaus komplexere und bedeutend schwerer zu therapierende Krankheitsbilder wie Aids entwickeln konnten. Aids zeigt sich zwar in seinem Erscheinungsbild nicht annähernd so radikal wie die Lungenpest, bei der nur wenige Tage zwischen Ansteckung und Tod liegen, doch es besteht kein Zweifel darüber, daß sie genauso lebensbe drohlich ist. Und eben aufgrund ihrer unkonventionellen Erscheinungsform, da die Keime jahrelang als chronische Infektion bis zu ihrem Ausbruch im Körper schlummern können, ist eine Bekämpfung so schwierig.

NICHTKONVENTIONELLE VIREN

Aids sei jedoch nicht die einzige Erkrankung, die den Medizinern und Wissenschaftlern im 21. Jahrhundert Kopfzerbrechen machen wird, mutmaßt Montagnier. So verweist er auf die „degenerativen Nervenkrankheiten“, die seiner Ansicht nach ebenfalls auf einem infektiösen Erreger beruhen, der nach langer Latenz autoimmune Reaktionen hervorruft. Besonders gefährlich seien hierbei die „nichtkonventionellen Viren“, die beim Menschen so seltene Erkrankungen wie etwa die Kreutz- feld-Jakobsche Krankheit auslösen, die jedoch unter den Zuchttieren bereits weitverbreitet seien. Diese Erreger dürften modifizierte Proteine sein, die keine Immunreaktionen hervorrufen und dadurch praktisch unauffindbar seien. Eventuell könnten diese Erreger sogar durch hitze- sterile Instrumente ins Nervensystem übertragen werden, beispielsweise über die Augen. „Man kann nur hoffen“, so Montagnier, „daß es zu keiner Vermehrung kommt.“

Eine blühende Zukunft“ könnte man auch den „genetischen Krankheiten“ voraussagen, da sich die Medizin gegen die natürliche Auslese wendet und dadurch den Fortbestand und die Reproduktion von Mutationen begünstigt. In all diesen Fällen darf man zwar von der Forschung Abhilfe erhoffen, nicht zuletzt aufgrund der rasanten Fortschritte auf dem Gebiet der Gentherapie, doch eine therapeutische Behandlung sei in jedem Fall kostspielig und würde in erster Linie einer wohlhabenden Minderheit zugute kommen. Eine wichtige Komponente künftiger Gesundheitspolitik muß daher die Sorge um eine internationale Verteilung medizinischer Errungenschaften sein. Andernfalls ist es nicht auszuschließen, daß die Länder der sogenannten Dritten Welt auch in dieser Hinsicht ins Abseits driften.

Es scheint wie verhext. Hinter jeder Errungenschaft verbergen sich Probleme, die in ihrem Ausmaß und ihrer Komplexität die vorhergehenden locker in den Schatten stellen. Auf der Suche nach der kaum beantwortbaren Frage, warum das so ist, lassen sich immer wieder religiöse Begründungen vernehmen, wie beispielsweise jene, daß Aids eine Strafe Gottes sei. Aber diese Ansicht kann nur so falsch oder richtig sein, wie sie es immer schon gewesen ist. Denn, wie schreibt Boccaccio in der Einleitung seines Decamerone, das ja mit der Flucht vor der großen Pestepidemie beginnt: ',,... ein Schicksal, das der gerechte Zorn Gottes unsrer boshaften Handlungen und unsrer Besserung wegen über die Sterblichen verhängte.“

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