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AIDS: Die Pest des 20. Jahrhunderts

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An die 12.000 Menschen sind weltweit an AIDS erkrankt. Der Fall des amerikanischen Schauspielers Rock Hudson hat die Weltöffentlichkeit kürzlich wieder alarmiert.

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An die 12.000 Menschen sind weltweit an AIDS erkrankt. Der Fall des amerikanischen Schauspielers Rock Hudson hat die Weltöffentlichkeit kürzlich wieder alarmiert.

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Auch in Österreich befürchten Mediziner einen rapiden Anstieg der AIDS-Erkrankungen.

„Die Gefahr ist vor allem für Homo- und Bisexuelle sowie Drogenabhängige groß. Seit einiger Zeit weiß man, daß das Virus auch heterosexuell übertragen wird. Der .Durchschnittsbürger' ist aber praktisch nicht gefährdet”, umreißt der Wiener Virologe Christian Kunz (Vorstand des Instituts für Virologie der Universität Wien) das Risiko, an AIDS zu erkranken.

Als kürzlich die Medien über den Fall eines Kleinkindes in Linz, das an AIDS erkrankt ist, berichteten, wurden breite Bevölkerungskreise hellhörig. Zwar ist die Herkunft der Infektion des

Babys geklärt- die drogenabhängige Mutter hat sich die Seuche selbst gespritzt, das Virus wurde noch im Mutterleib auf das Kind übertragen - aber seither ist nicht nur Medizinern klar, daß auch in Österreich mit einem rasanten Anstieg von AIDS, der „Pest des 20. Jahrhunderts”, zu rechnen ist.

Eine Statistik aus den USA macht die Dynamik der Verbreitung dieser schrecklichen Krankheit deutlich: Die ersten 5.000 Fälle wurden innerhalb von 37 Monaten gemeldet, doch schon nach weiteren zehn Monaten hat sich diese Zahl verdoppelt. Die. lange Inkubationszeit — fünf bis sechs Jahre — führte dazu, daß das tatsächliche Ausmaß anfangs unterschätzt wurde.

In Österreich scheint die Situation nur auf den ersten Blick nicht so dramatisch. Bisher wurden 20 Erkrankungen registriert — zwölf endeten tödlich —, aber schon bis zum Jahresende wird sich diese Zahl nach Schätzung der Mediziner wahrscheinlich verdoppeln, und sie wird in der Folge ebenso rasant weitersteigen.

Der Erreger des AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrom bedeutet, „erworbene Immunschwäche”) ist, daran besteht kein Zweifel mehr, das HTLV-III-Virus. Bestimmte Zelltypen im Bereich der weißen Blutkörperchen, denen eine zentrale, steuernde Funktion in der Immunabwehr des Menschen zukommt, werden zerstört.

„Etwas Schlimmeres kann dem Immunsystem gar nicht passieren”, umreißt Professor Kunz die aussichtslose Situation für AIDS-Kranke. Denn in rund 80 Prozent der Fälle führte die Immunschwäche zwei Jahre nach ihrem vollen Ausbruch zum Tod.

Oft entwickelt sich AIDS über längere Zeit weitgehend unbemerkt. Fieberanfälle, Durchfälle und Müdigkeit zählen zu den ersten, noch nicht spezifischen Anzeichen. Im Immunsystem des Infizierten gehen aber bereits gravierende Veränderungen vor sich.

Das nrchste Stadium, auch prä-AIDS genannt, ist eine Lymph-adenopathie (die Lymphknoten schwellen an), und schließlich setzt, wenn AIDS voll ausbricht, der körperliche Verfall ein:

Die Opfer sind allen Keimen, gegen die Gesunde genug Abwehrstoffe haben, schutzlos ausgesetzt, viele sterben an Lungenentzündung, manche entwickeln eine Toxoplasmose, und eine typische Begleiterscheinung von AIDS ist auch das „Kaposi-Sar-kom”, eine Form des Krebses.

Zurzeit ist AIDS ein Problem der Risikogruppen Homosexuelle und Drogenabhängige. „Der .Durchschnittsbürger' braucht keine Furcht zu haben, angesteckt zu werden. Bisher ist in Österreich noch niemand erkrankt, der nicht zu den Risikogruppen gehörte”, beruhigt der Virologe mögliche Ängste.

In den USA sind von den bisher 10.000 Erkrankten 73,4 Prozent homo- oder bisexuell, weitere 17 Prozent sind drogenabhängig und haben sich durch einen „Schuß” mit einer bereits benützten Nadel mit großer Wahrscheinlichkeit das Todesurteil unterschrieben.

Der Rest der Erkrankten sind Empfänger von Blutkonserven.

Doch auch hier ist in Österreich das Risiko, angesteckt zu werden, praktisch gleich null. Denn bereits jetzt wird Spenderblut in den meisten Fällen auf AIDS-Verdacht untersucht, ab 1986 wird dieser Test obligatorisch sein.

Die theoretische Möglichkeit, derzeit durch eine Bluttransfusion mit AIDS angesteckt zu werden, ist in Österreich auch dadurch gebannt, daß Homo-und Bisexuelle, Drogenabhängige und auch Prostituierte vom Blutspenden ausgeschlossen sind.

Trotzdem tickt die „Zeitbombe AIDS” in der westlichen Welt weiter. Neben den rund 10.000 in den USA gemeldeten AIDS-Källen sind in Europa” bisher mehr als 1000 Menschen erkrankt, besonders stark ist die Erkrankung auch in Zentralafrika verbreitet. Zudem eröffnet sich für die Zukunft eine neue erschreckende Perspektive, die durch Partnerstudien bewiesen wird: In Amerika traten bereits die ersten heterosexuell übertragenen AIDS-Fälle auf, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das auch in Europa zum Problem wird.

Professor Kunz warnt daher vor allzu freizügigen sexuellen Kontakten. Ein besonderes Risiko besteht hier auf Reisen durch Zentralafrika, vor allem im „Sextourismus”.

Ein weiteres besorgniserregendes Risiko sieht der Virologe in der Drogenszene. Immerhin gibt es in Österreich schon Gruppen von „Fixern”, in denen die Durchseuchung bei zehn Prozent liegt.

Menschen, in deren Blut Antikörper des AIDS-Virus nachgewiesen werden, haben aber noch immer relativ gute Chancen, gesund zu bleiben. Denn nur bei etwa fünf bis 15 Prozent der Antikörper-Träger bricht die Krankheit tatsächlich aus. Doch alle antikörperpositiven Personen können das Virus übertragen, ohne selbst krank zu sein. Sie sind möglicherweise lebenslang Virusträger.

Insofern stellen Kinder eine besondere Gruppe von AIDS-Pa-tienten dar. Sie können sich — wie das bei dem Linzer Baby passierte - schon im Mutterleib infizieren, selbst wenn die Mutter nur eine gesunde Antikörperträgerin ist.

Für Frauen mit einem derartigen Blutbefund ist daher eine Schwangerschaft ausgeschlossen.

Bei den Kindern kommt es zu einer „progredienten Enzephalopathie”, die durch ein verringertes Gehirnwachstum gekennzeichnet ist.

Inzwischen weiß man auch, daß das Virus nicht nur die Immunzellen angreift, sondern auch Gehirnzellen befällt. Bei einer Untersuchung von 110 Gehirnen von AIDS-Kranken konnten nur sechs als normal befunden werden. Die schreckliche Folge: Langsame, aber unaufhörlich fortschreitende Verblödung.

Doch woher stammt das Virus? „Die Spur führt über Umwege nach Afrika. Man fand in den USA in einer Kolonie von Rhesusaffen mit dem Affen-AIDS ein dem HTLV-III im Antigenaufbau sehr nah verwandtes Virus, das aus Afrika stammen könnte. Denn bei Meerkatzen aus Zentr ai-afrika wurden Antikörper dagegen und gegen das AIDS-Virus gefunden. Allerdings sind diese Affen völlig gesund”, schildert Prof. Kunz die Herkunft des Virus, das in den siebziger Jahren auf den Menschen übertragen wurde. Um aber die daraus entstandene globale Gefahr zu bekämpfen und einen wirksamen Schutz zu entwickeln, daran arbeiten die Wissenschafter fieberhaft. Eine wirksame Therapie gibt es zurzeit noch nicht. Da es sich um eine einzigartige Virusinfektion handelt, die wahrscheinlich nicht ausgeheilt werden kann, wird eine entsprechende Therapie wahrscheinlich lebenslänglich durchgeführt werden müssen. Die Erprobung entsprechender Chemotherapeutika steht erst am Beginn.

In den USA wird auch intensivst an der Entwicklung eines Impfstoffes gearbeitet. „Vorerst ist es aber äußerst wichtig, die Bevölkerung umfassend über die Ris-ken aufzuklären”, sieht Prof. Kunz eine entscheidende Präventivmaßnahme.

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