Die Grenzen der Aufklärung

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Eine aktuelle Studie zeigt: Viele Menschen wissen zu wenig über HIV/Aids und sind zu sorglos. Dabei wird seit Jahren aufgeklärt. Wo liegen die Grenzen von Prävention im Bereich Sexualität?

Sie führte zunächst ein normales Leben: Wiltrut Stefanek war verheiratet, bekam einen Sohn und wollte sich schließlich nach zehn Jahren von ihrem Mann trennen. Im Zuge der Trennung versuchte ihr Mann, sich umzubringen. In der Psychiatrie dann die unfassbare Diagnose. Ihr Mann war HIV-positiv. Stefanek fand heraus, dass ihr Mann schon lange davon gewusst hatte. Und er hatte es vor ihr verschwiegen. Dann die traurige Gewissheit: Auch Wiltrut Stefanek ist positiv. Ihr Sohn, damals sechs Jahre alt, zum Glück nicht. Das war 1996.

Seit 1998 lebt die heute 40-jährige offen mit der Infektion. Sie leitet die Selbsthilfegruppe PULSHIV in Wien. Es gehe ihr gut, sagt die Frau, die in einer Trafik arbeitet. „Viele Leute glauben immer noch, dass, wenn man ein normales Leben lebt, trifft es einen nicht; dass es nur spezielle Gruppen trifft, die Schwulen, die Drogenabhängigen, jene, die viele Partner haben“, sagt sie: Die Leute sollten kapieren, dass es jeden treffen könne.

Und eine aktuelle GfK-Studie, die kürzlich in Wien präsentiert wurde, gibt Stefanek recht: 41 Prozent der Befragten bejahen die Aussage: Menschen, die „normal“ leben, bekommen kein HIV/Aids. Mit dem Bildungsniveau sinkt die Zustimmung, ebenso glauben nur 28 Prozent der Jugendlichen an die Richtigkeit dieser Aussage. Die Studie, die erstmals in breiten Alters- und Bildungsschichten durchgeführt wurde, zeichne ein ernüchterndes Bild, was Österreicher über die Immunschwächekrankheit wissen und ob bzw. wie sie sich vor HIV schützen, stellen die Studienautoren fest.

Eines zeigt die Studie sehr deutlich: „Das Wissen und das Bewusstsein für HIV/Aids sind sehr bildungsabhängig“, stellt Christine Buchebner von GfK Austria fest. Je gebildeter die Menschen und je jünger, umso geringer die Wissenslücken und umso mehr geben an, sich zu schützen. Allerdings offenbart die Studie auch, dass viele Österreicher entweder zu wenig über den Virus wissen oder zu sorglos sind. Denn immerhin meinen 25 Prozent, dass diese Krankheit nur Drogensüchtige und Homosexuelle bekämen. Von jenen, die angeben sich zu schützen (47 Prozent), meinen 25 Prozent, dass es ausreiche, keine wechselnden Partner zu haben und auf den Lebenswandel zu achten. Und immerhin noch zehn Prozent geben an, dass Körperpflege vor einer Infektion schütze.

Zugleich muss man aber auch erwähnen, dass 88 Prozent sehr wohl wissen, dass ein Kondom vor einer Infektion schützt. Zwar haben so gut wie alle Befragten die Begriffe HIV und Aids schon mal gehört, doch geht man ins Detail klaffen Wissenslücken. So antworten immerhin 31 Prozent, dass es keinen Unterschied zwischen HIV und Aids gebe, immerhin noch 22 Prozent bei den Uni-Absolventen.

Nach Jahren von Aufklärungskampagnen und Berichterstattung zum Weltaidstag und Life-Ball muss man sich also fragen, warum es immer noch solche Wissenslücken und Sorglosigkeit gebe. Haben präventive Kampagnen und Projekte schlichtweg ihre Grenzen? Experten sind über die Studienergebnisse wenig überrascht, wie etwa Isabell Eibl, Leiterin der Prävention in der Wiener Aids Hilfe. Dieses Verhalten sei nicht nur HIV-spezifisch, das sei bei anderen gesundheitlichen Problemen wie Alkohol oder Diabetes genauso. Informationen, Workshops und Kampagnen sind eben das eine, das konkrete Verhalten das andere. „Solange es die Menschen nicht direkt betrifft, etwa im Freundeskreis, interessieren sie sich nicht dafür“, sagt wiederum Stefanek. Dass sich wenigstens weitverbreitete Jugendprojekte in den Studienergebnissen niederschlagen – junge Leute wissen mehr und schützen sich eher – lässt manche Expertin aufatmen: „Ich bin schon enttäuscht, dass die Ergebnisse so schlecht sind. Auf der anderen Seite zeigt die Studie für mich, dass Jugendliche doch in den Schulen einiges mitkriegen“, sagt Elisabeth Müllner, Leiterin der AidsHilfe Oberösterreich. Man dürfe auch nicht vergessen, dass immer wieder Jugendliche nachrücken, die erst wieder über HIV/Aids aufgeklärt werden müssen. Das erkläre Wissenslücken in Umfragen.

Immer wieder neue Jugendliche

Aber nicht nur: Jugendliche seien noch leicht mit präventiven Projekten zu erreichen, sagen die Experten. Ab dem Erwachsenenalter wird es schwierig. Hat man bestimmte Gruppen in der Prävention vergessen? Die heutige Elterngeneration ist eventuell eine solche Gruppe. „Es gibt die Gruppe, die das Bewusstseins hat, mir kann nichts passieren“, sagt Eibl. Das sind etwa manche Menschen mittleren Alters. Die Aids Hilfe Wien startet daher zusammen mit der Apothekerkammer eine Infokampagne, um Frauen ab 30 zu erreichen. „Es ist oft so: Frauen über 30, wo Beziehungen auseinandergingen, leben eine größere Experimentierfreudigkeit in der Sexualität. Damit steigt das Risiko. Sie haben vielleicht mehrere Partner oder treffen auf Männer, die mehrere Partnerinnen haben und hatten.“ Schwierig ist es auch laut Eibl jene Frauen und Männer zu erreichen, die in einer Partnerschaft leben, treu sind und ein Partner aber ungeschützten Verkehr außerhalb der Beziehung pflegt: „Es ist schwierig, in solchen Beziehungen wieder ein Kondom einzufordern.“

Grenzen der Prävention liegen auch in einer gewissen Abstumpfung gegenüber der Gefahr. „Die Angst hat abgenommen“, sagt Erik Pfefferkorn, Präventionsmitarbeiter in der Aidshilfe Oberösterreich: Es sei klar, dass das Schutzverhalten nachlasse, wenn die unmittelbare Betroffenheit fehle. „Der Schrecken ist teilweise reduziert“, meint Isabell Eibl und verweist auf die Fortschritte der Medizin.

Die Betroffene Stefanek warnt jene, die aufgrund der besseren Behandlungsmöglichkeit unvorsichtiger sind: Auch die psychische Seite, die Diskriminierung, dürfe nicht vergessen werden. Sie plädiert für mehr Berichte in regelmäßigen Abständen und glaubt nicht, dass es bereits eine Überinformation gibt. Es brauche immer wieder Anstöße zur Auseinandersetzung mit dem Thema fordern auch andere Experten. Mit dem Alter steige die Erfahrung und man werde weniger vorsichtig, sagt Müllner, das sei wie beim Autofahren.

Eine Grenze ist die Natur und zugleich Macht der Sexualität selbst: Bedeutet es doch, sich Emotionen hinzugeben und den Verstand zurückzudrehen. „Für mich hat Sexualität immer was damit zu tun, eine Grenze zu überschreiten, es ist immer ein gewisses Risiko dabei“, sagt Elisabeth Müllner, zunächst nicht einmal bezogen auf ungewollte Schwangerschaften oder HIV. Zunächst gebe es schlicht das Risiko, sich auf die Intimität mit einem Menschen einzulassen ohne zu wissen, was aus der Beziehung wird. Umso mehr plädieren Expertinnen für eine „echte“ Sexualpädagogik (siehe Interview), die Emotionen anspricht und nicht nur mechanisches Wissen vermittelt.

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