Wenn Freunde BRÜCKEN BAUEN

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Kumpel, Hawara, Habibi: Interkulturelle Freundschaften sind der beste Weg, Vorurteile zu reduzieren. Doch sie brauchen förderliche Bedingungen.

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Kumpel, Hawara, Habibi: Interkulturelle Freundschaften sind der beste Weg, Vorurteile zu reduzieren. Doch sie brauchen förderliche Bedingungen.

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Grauer Himmel, Schnürlregen und kühle fünf Grad plus: Während draußen das Wetter seine unwirtliche Seite zeigt, wird in den Räumlichkeiten des Vereins "Gmota" in der Grazer Münzgrabenstraße gegessen, getrunken und musiziert. Frisch duftende Falafel stehen auf der improvisierten Speisekarte, dazu Hummus, Kuchen und arabischer Kaffee. Kulinarik bringt die Menschen auch an diesem Sonntag einander näher, beim ersten "S(t)yrian Get Together". Etwa fünfzig Personen sind gekommen -nicht nur in Graz Ansässige, sondern mittels Fahrgemeinschaften auch Asylwerbende und "Einheimische" aus dem etwa 40 Kilometer entfernten Deutschlandsberg. Wer Verständigungsprobleme hat, greift einfach zu einem der im Workshopraum verteilten Instrumente und kommuniziert auf diese Weise. Eine von ihnen ist Abelina Holzer, Genderstudies-Studentin und Initiatorin des interkulturellen Treffens, das am 11. April erstmals in Graz stattgefunden hat. "Es ist schwierig, hier Freunde zu finden!": Diese Aussage eines gebürtigen Syrers hat Holzer nicht mehr losgelassen. Doch schließen Menschen tatsächlich nur Freundschaften mit ihresgleichen? Zahlen dazu sind rar. Die Studie "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten" des Deutschen Jugendinstituts aus dem Jahr 2009 hat jedenfalls Erkenntnisse zu Tage gefördert, die wahrscheinlich auch für Österreich gelten: Demnach haben nur zehn Prozent aller Deutschen ohne Migrationshintergrund einen besten Freund oder eine beste Freundin mit anderer kultureller Herkunft; Personen mit Migrationshintergrund wählen hingegen zu 30 bis 40 Prozent beste Freunde aus einer anderen Kultur.

Welche Bedeutung interkulturellen Freundschaften gerade unter Jugendlichen zukommt - und wie sie gefördert werden können -, haben Dagmar Strohmeier und Elisabeth Stefanek in einem an der FH Oberösterreich angesiedelten Forschungsprojekt untersucht. Im Rahmen ihrer Studie, die vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank finanziert wurde, haben sie von 2012 bis 2014 die Situation unter Zehn-bis 15-Jährigen aus 35 Klassen eruiert. Das Ergebnis: Interkulturelle Freundschaften sind für die Reduktion von Vorurteilen von großer Bedeutung und fördern dadurch nicht nur die Integration von Jugendlichen der so genannten ersten Generation erheblich, sondern auch die soziale Kompetenz von in Österreich Geborenen.

Probleme bei zu wenig Ausgewogenheit

Damit solche Freundschaften entstehen können, ist es freilich notwendig, überhaupt für Diversität in den Klassen zu sorgen. Zugleich sollte aber die kulturelle Durchmischung ausgewogen bleiben, betont Elisabeth Stefanek, Psychologin an der Universität Wien: "Ist die kulturelle Vielzahl in Klassen zu hoch, dann wächst das Bedürfnis der Einzelnen, mit Kindern desselben kulturellen Hintergrunds zusammen sein zu wollen." Wichtig sei, die soziale und interkulturelle Kompetenz in der Schule zu fördern und die Lehrkräfte entsprechend zu schulen. Das Programm "WiSK", das von Dagmar Strohmeier an der Wiener Fakultät für Psychologie entwickelt worden ist, hat genau das zum Ziel. "Gerade in durchmischten Klassen ist es wichtig, Ansätze kooperativen Lernens zu verwenden und die Schülerinnen und Schüler gemeinsame Ziele verfolgen zu lassen", so Stefanek.

Dass seit kurzem Jugendliche aus Afghanistan, Russland oder dem Iran in ihrem Wohnhaus ein-und ausgehen, darüber sei sie mehr als froh, erzählt die Mutter eines 15-jährigen Gymnasiasten aus Graz. Der Schulwechsel habe ihm neben neuen Lehrkräften auch einen erweiterten Freundeskreis beschert: "Ich merke, wie er aufblüht und sich wohlfühlt in seiner Klasse, in die nicht nur Österreicherinnen und Österreicher gehen." Was in den meisten Privatschulen eher die Ausnahme darstellt, gehört bei den Grazer Schulschwestern zum pädagogischen Alltag. In jeder Klasse des Oberstufenrealgymnasiums sitzen neben in Österreich Geborenen auch Schülerinnen und Schüler mit nicht-österreichischem Hintergrund. "In einer Klasse drei oder vier Jugendliche mit interkulturellem Hintergrund zu haben, das ist okay. Doch eine größere Anzahl wäre, bezogen auf die Gruppendynamik, schwierig", weiß Direktorin Sr. Hanna Neißl aus Erfahrung -und bestätigt damit die Erkenntnisse der Psychologie.

Eine andere, alte Erkenntnis ist, dass Freundschaften auf Basis von Ähnlichkeiten entstehen. Diese müssen sich jedoch nicht auf dasselbe Geschlecht und dieselbe Kultur beziehen, betont Elisabeth Stefanek. Die Freundinnen Anya und Maggy sind dafür der beste Beweis. Vor mittlerweile sieben Jahren sind die gebürtige Weißrussin Anya und die aus Kenya stammende Maggy nach Graz gekommen und haben sich im dortigen Stadtpark kennengelernt. Ihre große Gemeinsamkeit sei "Afrika" gewesen, erzählen die beiden unabhängig voneinander.

Anya, die damals gerade von einem einjährigen Aufenthalt in Malawi zurückgekehrt war, habe sie auf ihre Herkunft angesprochen, erinnert sich Maggy und schaukelt dabei ihr Neugeborenes in den Schlaf. "So wie sie das gemacht hat, so ungezwungen und spontan - das hat mich daran erinnert, wie ich selbst einmal war, bevor ich nach Österreich gekommen bin." Bis heute sind die beiden unzertrennlich - trotz unterschiedlicher Charaktere. "Am meisten fasziniert mich Maggys Stabilität", sagt Anya, die sich gerade kurz vor ihrer Abreise nach Brasilien befindet. Maggy wiederum schätzt Anyas Spontaneität, ihre ungezwungene Art, ihren Unternehmungsgeist: Ohne Anya hätte sie nie das Afro-Asiatische Institut oder Capoeira kennengelernt - also jenen brasilianischen Tanz, bei dem sie ihrem späteren Mann begegnete.

Palästinensisch-jüdische Freundschaft

Für den 39-jährigen Mohammad ist "Interkulturalität" indessen gar keine Kategorie mehr, in der er sich selbst einordnen würde -sondern eine Selbstverständlichkeit. Als knapp 17-Jähriger kommt der gebürtige Palästinenser nach Österreich und schließt dort schnell Kontakt mit Menschen unterschiedlichster Länder. In den besetzten Gebieten aufgewachsen, fasziniert ihn in Österreich vor allem die Vielzahl der hier anzutreffenden Nationen. "Wenn du aus der Westbank kommst, wo du kaum Signale aus der Außenwelt empfängst und in Wien auf Zyprioten, Nigerianer oder Bulgaren triffst, dann interessiert dich einfach alles.""Kumpel","Hawara","Habibi": Ob seine Freunde aus Wien kommen, Jiddisch sprechen oder gebürtige Araber sind, ist Mohammad egal. Und so verwundert es auch nicht, dass sich im Freundeskreis des glühenden Palästinensers auch Jüdinnen und Juden tummeln.

Der Gedanke selbstverständlicher Gemeinschaft liegt auch Abelina Holzers Initiative "S(t)yrian Get Together" zugrunde. Sie wollte den steirisch-syrischen Zusammenkünften keine Vorgaben machen, sondern "einfach Menschen zusammenbringen". Nur, was ihre Initiative nicht sein soll, weiß sie genau. "Einmal kam der Vorschlag, die österreichische der syrischen Kultur gegenüberzustellen. Sicher nicht, schließlich sollen nicht die Unterschiede im Vordergrund stehen, sondern das Verbindende!", betont Holzer. Erste Pflänzchen interkultureller Freundschaften würden jedenfalls keimen -auch in den beiden Folgeinitiativen, einem Deutschkurs und einem Vernetzungsprojekt unter Asylwerbern. Warum es funktioniert? Holzer überlegt: "Jeder wünscht sich Liebe und Anerkennung. Wenn man das bedenkt, begegnet man einander auch auf Augenhöhe." Und das ist bekanntermaßen Voraussetzung jeder Freundschaft.

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