prosozialität - © Fotos: Susanne Kraus Fotografie

Hilfsbereitschaft im Kindergarten: „Es gibt kein Gut und Böse“

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Im Kindergarten erlernen Kinder Hilfsbereitschaft. Aber sind unsere Gehirne überhaupt auf Liebenswürdigkeit ausgelegt?

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Im Kindergarten erlernen Kinder Hilfsbereitschaft. Aber sind unsere Gehirne überhaupt auf Liebenswürdigkeit ausgelegt?

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Lisa Horn erforscht Beziehungen zwischen Mensch und Hund, zwischen Rabenvögeln – und neuerdings auch jene zwischen Kleinkindern im Kindergarten. Mit der FURCHE spricht die Zoologin über Parallelen zur Tierwelt, über Rassismus und die Zukunft der Prosozialität, dem hilfsbereiten Verhalten anderen gegenüber, in unserer Gesellschaft.

DIE FURCHE: In aktuellen politischen Geschehnissen kommt man oft nicht darum herum, sich um die Prosozialität der Menschheit zu sorgen. Besteht in der Generation der heutigen Kleinsten Hoffnung?

Lisa Horn: Auf jeden Fall besteht Hoffnung! Kinder teilen und helfen sich gegenseitig gerne. Es ist natürlich schwierig, den Bogen zu spannen von ganz jungen Kindern hin zu den großen Fragen, die die Erwachsenen im Moment beschäftigen. Im Kindergarten leben Kinder in sehr kleinen sozialen Gruppen, in denen sie mit jedem regelmäßig interagieren und jeden gut kennen. Man kann sich das so vorstellen wie frühere Gesellschaften, die in sehr kleinen Dörfern gewohnt haben, noch bevor wir so große Städte hatten wie heute. Da funktionieren jene Mechanismen, die wir schon aus unserer Urgeschichte mitbringen, mit denen wir versuchen, unsere Beziehungen zu halten, sehr gut. Natürlich streiten sich Kinder mal um ein Spielzeug, aber sie sind auch sehr bedacht, ihre sozialen Netzwerke aufrechtzuerhalten. Und dabei ist es ihnen vollkommen egal, wo die anderen Kinder herkommen oder ob die anderen Kinder sich entwicklungsbedingt ein bisschen anders verhalten. Darüber können Kinder viel leichter hinwegsehen als wir Erwachsene.

DIE FURCHE: Auf der anderen Seite gibt es auch Studien, die aufzeigen, dass bereits Kleinkinder durchaus Rassismus an den Tag legen können.

Horn: Es gibt unterschiedliche Theorien zu dieser Frage, aber der größere Teil der Befunde besagt, dass das nicht angeboren, sondern in jenem jungen Alter tatsächlich schon erlernt ist. Kinder sind extrem aufnahmefähig und lernen das Soziale schon lange, bevor sie sprechen können. Sie sehen Interaktionen zwischen Erwachsenen und etablieren sie durch ihr eigenes Verhalten dann auch. Aber auch die generische, also verallgemeinernde Sprache die wir oft im Zusammenhang mit anderen Kulturen verwenden, spielt eine Rolle.

Da gab es eine spannende Studie, in der man Kindern ein Bilderbuch über erfundene Wesen vorgelesen hat. Diese Wesen hatten verschiedenste Hautfarben und Eigenschaften. In der Geschichte kam nichts Negatives vor. Es ging um Essen und Kleidung und ähnliche Dinge. Einer Gruppe Kinder hat man eine Geschichte über jedes einzelne Individuum dieser Wesen vorgelesen, der anderen Gruppe hat man generisch über das gesamte Volk der Wesen erzählt. Als man die Kinder im Anschluss nach ihren Einstellungen zu den Wesen befragt hat, haben jene, die sich mit den Individuen beschäftigt haben, neutral geantwortet. Die anderen Kinder hatten oft negative Einstellungen, haben die Wesen zum Beispiel als blöd bezeichnet. Sie haben gelernt: Das ist eine andere Gruppe, das sind nicht wir, das finde ich schlecht. Wenn in einer Familie also in generischer Sprache über andere Menschen gesprochen wird, kann das bei Kindern zu etwas führen, das aussieht wie Rassismus, obwohl das Kind ja eigentlich noch keinen Rassismus kennt.

DIE FURCHE: In der alltäglichen Hilfsbereitschaft im Kindergarten spielen bereits die sozialen Positionen der Kinder eine Rolle, wie Sie herausgefunden haben.

Horn: Genau. Gerade jene Kinder, die in der Gruppe besonders viel Aufmerksamkeit genießen, sind oft auch jene, die besonders großzügig sind, wertvolle Ressour cen weiterschenken und anderen Kindern helfen, an Gruppenaktivitäten teilzunehmen. Das machen sie unabhängig von der Art der Beziehung, die sie zu den jeweiligen Kindern haben. Währenddessen sind jene Kinder, die weniger Aufmerksamkeit erhalten, oft weniger großzügig und eher dominant. Sie versuchen, anderen Kindern vorzuschreiben, wie sie sich zu verhalten haben und nehmen ihnen auch mal das Spielzeug weg.

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