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Familienegoismus zu hoch im Kurs

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Nicht für alle Menschen ist Familie etwas Bejahenswertes. Bekanntlich gibt es auch Ideologien, die sie als Brutstätte repressiver Gesinnung sehen und die davon überzeugt sind, daß gerade die Familie die Tradierung von Einstellungen ermöglicht, die den Fortschritt der Menschheit verhindern, weshalb sie für die Anhänger dieser Ideologien eine bekämpfens- werte Einrichtung darstellt. In der Auseinandersetzung zwischen diesen Gruppen werden die Feindbilder unzulässig vereinfacht, und alles was nicht genau den eigenen Vorstellungen entspricht, wird einerseits samt und sonders als familienfeindlich oder anderseits als kapitalistisch, bourgeois, repressiv abgetan. Die regen Diskussionen über Schulreform, Abtreibung, Familienrechtsreform, Beihilfenpolitik zeugen von diesen Spannungen und tragen wohl auch zu einem Bewußtmachungsprozeß bei den Betroffenen bei.

Mir scheint aber, daß wir uns nicht mit legistischen Überlegungen zufrieden geben dürfen, daß Christen und christliche Familien weit darüber hinaus denken und handeln müssen. Sozial und gerecht kann auch das Kollektiv, die Kommune sein. In der Nachfolge Christi wird man aber immer wieder - zumindest versuchen - über den Rahmen der Gerechtigkeit, der Vernunft, der Logik hinauszugehen.

Der Wandel in der Struktur der Wirtschaft und Gesellschaft und als Konsequenz daraus auch der Familie hat zu einem engen Zusammenrücken zwischen den Familienmitgliedern geführt, zumindest bei den intakten Familien. Man denke doch, welch enge Bindung zwischen einem Ehepaar und deren Kindern, oft fern von den anderen Verwandten lebend, sich ergibt. Da lebt man also füreinander, sehr häufig bringt man große Opfer - füreinander.

Für die eigene Familie macht man alles.

Aber wie sieht es mit denen aus, die rund um uns leben? In vielen Familien herrscht der Familienegoismus.

Solange es den Meinen bloß gut geht. Geht es ihnen nicht vielleicht zu gut? Werden sie vielleicht zu bequem, zu egoistisch, weil wir selbst nicht immer wieder daran denken und dementsprechend handeln, daß eine gute, eine intakte Familie verpflichtet? Lernen die Kinder in unseren Familien nicht vielleicht ein Übermaß an „wie man es macht, damit es mir gut geht” und zu wenig „wie man es macht, damit es auch anderen gut geht”?

Lehren wir sie nicht, daß Sicherheit - finanzielle vor allem - das wichtigste auf dieser Welt ist? Vermitteln wir den Mitgliedern unserer Familie die Überzeugung, daß unser Nächster auch der ist, der einem unsympathisch ist, der sich unmöglich benimmt, der ganz und gar nicht so ist wie wir? Leben wir unseren Kindern diese Einstellung vor, und wachsen unsere Kinder mit der Überzeugung auf, daß der Wert des Lebens daran gemessen werden wird, wieviel man von sich gegeben hat, daß man sich in Gott und dem Nächsten verlieren muß, um sich selbst zu finden?

Es ist so leicht, „clever” zu sein und entsprechend zu handeln und so unendlich schwer, „unsinnig” zu sein, und doch gibt es kein christliches Leben ohne diese Bereitschaft, gegen die Vernunft, gegen die Konvention zu handeln. Wie viele von uns getrauen sich schon, ihren Partner von vielleicht vernünftigen aber unchristlichen Handlungen oder Verhaltensweisen abzuraten, sich selbst gegen die Vernunft und für die Nächstenliebe zu entscheiden?

Vielleicht bieten die für die meisten Familien bevorstehenden Urlaubstage Zeit und Möglichkeit, darüber nachzudenken und das eine oder andere Gespräch zu führen; mit Kindern, aber auch mit Erwachsenen, die anders denken als man selbst und die man auch lernen sollte, zu verstehen.

Hiemit endet der erste Turnus unserer „Randbemerkungen engagierter Christen”. Während des Sommers werden wieder die Mitglieder der Redaktion zu aktuellen Fragen Stellung nehmen. Im September beginnt eine zweite Runde, für die namhafte Gastautoren eingeladen werden.

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