"Man kann ein Bisschen Detektiv spielen"

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Die Rasanz der Entwicklungen ist groß. Da hilft es, wenn Erwachsene von Jugendlichen und Kindern lernen, welche Neuigkeiten im Netz gerade in sind, meint Internet-Expertin Barbara Buchegger im FURCHE-Gespräch.

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Die Rasanz der Entwicklungen ist groß. Da hilft es, wenn Erwachsene von Jugendlichen und Kindern lernen, welche Neuigkeiten im Netz gerade in sind, meint Internet-Expertin Barbara Buchegger im FURCHE-Gespräch.

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Es geht oft sehr schnell: Facebook oder Whats-App waren gestern. Über den Sommer sind bei den Jungen neue soziale Netzwerke modern geworden, berichtet Web-Expertin Barbara Buchegger von Saferinternet.at.

Die Furche: Wie bewältigen Sie die Rasanz der Entwicklungen?

Barbara Buchegger: Unsere Zielgruppe sind vor allem Kinder und Jugendliche. Mit ihnen machen wir auch Workshops; dort erfahren wir sehr viel. Heute war ich in einer vierten Volksschulklasse, wo über den Sommer neue Entwicklungen da sind: ein soziales Netzwerk wie Snapchat gab es im letzten Schuljahr in den Volksschulen noch nicht. Die praktische Arbeit mit den Kindern ist daher die wichtigste Quelle. Darüber hinaus haben wir einen Jugendbeirat, das sind Jugendliche, mit denen wir enger zusammenarbeiten, und die wir zu bestimmten Themen befragen. Oder sie sagen uns: Passt auf, da kommt ein neues Netzwerk - vor einem halben Jahr ist einer der Jugendlichen zu uns gekommen und hat gesagt: musical.ly ist jetzt in. Kennt ihr das eh schon?

Die Furche: Die Kids sind da also die Lehrer.

Buchegger: Ja, man muss sich Nachhilfe von den Jungen holen. Auch als Elternteil sollte man die Kinder befragen und neugierig sein, beobachten, was sie tun und es sich von ihnen zeigen lassen. Außerdem ist Saferinternet.at online mit Zentren in anderen europäischen Ländern vernetzt. Auch da erfahren wir vieles. Lange Zeit hieß es: Was in den englischsprachigen Ländern jetzt da ist, kommt zwei, drei Jahre später zu uns. Das hat sich ein wenig gedreht, weil Österreich mit dem mobilen Internet weiter vorne ist als andere Länder. Jetzt schauen die, was bei uns für Probleme aufkommen. Das Thema "Handy in der Schule" gehen wir schon seit etwa sieben Jahren an - in Deutschland beginnt man gerade damit. Und wir schauen wieder in die skandinavischen Länder, die eine große digitale Kompetenz haben, was man mit dem Begriff e-Skills zusammenfasst

Die Furche: und die man auch in den Lernprozess einbinden könnte.

Buchegger: Das ist wichtig, denn in Wirklichkeit können wir uns heute gar kein Leben ohne digitale Welt vorstellen. Wir brauchen Menschen, die mit diesen digitalisierten Lebensbereichen gut umgehen. Da sind Kinder und Jugendliche besonders gefordert. Je früher sie da kompetent werden, desto besser sind sie darauf vorbereitet.

Die Furche: Aber das österreichische Bildungssystem ist dafür noch nicht wirklich gerüstet.

Buchegger: Das kann man so nicht sagen. Es gibt sehr tolle Initiativen. Aber ein Manko bleibt, dass das nicht sicher verankert ist. Ich kann mir als Elternteil nicht sicher sein, dass mein Kind das in der Schule so wie Lesen und Schreiben lernt. Es hängt vom Glück ab, ob mein Kind eine Lehrkraft hat, die das als wichtig empfindet. Der Lehrplan ermöglicht das, es gibt alle rechtlichen Rahmenbedingungen dafür, dass sich Lehrer mit diesen Dingen im Unterricht auch beschäftigen. Aber es tun eben nicht alle.

Die Furche: Die Rahmenbedingungen müssten also so gefasst werden, damit auch die digitale Alphabetisierung gewährleistet ist.

Buchegger: So ist es. Aber nochmals: Es gibt tolle Lehrer, die das in den Sprachunterricht einbauen oder in Mathematik mit den Kindern Statistiken berechnen, welche Kinder in der Schule welche sozialen Netzwerke verwenden. Und die dann auch besprechen, welche Probleme daraus entstehen -etwa indem sie die Schüler schulen, welche Bilder sie für ihre Referate verwenden dürfen. Ganz ein wichtiges Thema ist, wie man Quellen aus dem Internet beurteilt. Es ist wichtig, dass Lehrer das gemeinsam mit ihren Schülern machen, weil das in Wahrheit das allerschwerste ist

Die Furche: und auch den Journalisten am meisten ärgert, weil der ja versucht, gesicherte Informationen zu finden und zu verbreiten, und dann geistern jede Menge Informationen aus dem Netz herum, die von irgendwo kommen. Aber werden die neuen Medien, die da so schnell kommen, von den älteren Generationen nicht vor allem als Gefährdung wahrgenommen?

Buchegger: Das ist unterschiedlich. Da muss man auch verschiedene Elterngenerationen unterscheiden. Wir haben die, die vor allem Gefährdung und die Kinder in der Sucht sehen, wenn diese länger als fünf Minuten auf ihr Handy starren. Und es gibt auch das Gegenteil: Eltern, die ihre Kleinkinder im Kinderwagen herschieben, und, statt mit den Kindern zu kommunizieren, auf ihr eigenes Handy starren: Die Babys sehen nur maskenartige Gesichter, wo sie eigentlich Emotionen oder kommunizieren lernen müssten.

Die Furche: Wenn die Erwachsenen also mit den neuen Medien nicht verantwortlich umgehen, dann ist schon die erste Gefährdung für die jungen Leute da.

Buchegger: Absolut. Es gibt da natürlich noch überhaupt keine Erfahrungen, weil die Kinder mit den Smartphone-Eltern ja noch nicht groß sind; wir wissen einfach nicht, wie sich das auswirkt. Aber Kinder lernen von uns. Deshalb gibt es ja auch Regeln wie: Kein Handy am Esstisch. Die Eltern finden das immer ganz wichtig - außer es geht um sie selbst. Aber das muss genauso für sie gelten: Auch wenn der Chef mich während des Essens anruft, hebe ich nicht ab, genauso wie mein Kind nicht abhebt, wenn die große Flamme anruft.

Die Furche: Was sind für Sie die größten Gefährdungen?

Buchegger: Wo ich in allen Altersgruppen die größte Gefährdung sehe, geht es um das Beurteilen von Inhalten. Das beginnt bei den Volksschulkindern mit: Wie beurteile ich einen Kettenbrief, den ich bekomme. Glaube ich dem? Bei den Älteren geht es dann um Links mit bedenklichen Inhalten, die sie in den sozialen Netzwerken weiterschicken. Später dann auch Gesundheitsinformation -also "Dr. Google" statt einen Arzt zu konsultieren.

Die Furche: Sie versuchen, in der Initiative Saferinternet.at aufklärend zu wirken. Nützt das etwas?

Buchegger: Das ist nicht einfach zu beantworten. Aber wir sehen, dass sich etwa beim Cyber-Mobbing einiges bewegt hat. Vor ein paar Jahren haben Schuldirektoren oft so reagiert: Wenn das vorkommt, kehren wir es unter den Tisch, weil es dem Ruf unserer Schule schadet. Heute gehört es zum guten Ruf einer Schule, mit Cyber-Mobbing kompetent umzugehen. Das hat sich definitiv geändert.

Die Furche: Neue Medien sind nicht nur Gefahr, sondern auch Chance. Buchegger: Wenn ich in eine Schule komme, wo digitale Medien meist unter dem Stichwort E-Learning eingesetzt werden, dann brauche ich beispielsweise nichts mehr über Passwörter erzählen. Das ist oft ein guter Gradmesser: Wenn sich die Kinder langweilen, sobald ich mit dem Thema Passwort anfange, dann weiß ich: Hier ist schon tolle Arbeit geleistet worden. Ein anderes Beispiel ist das Urheberrecht. Manchmal in den Workshops bei den Jüngeren habe ich Bilder mit und frage: Darf ich dieses Bild jetzt posten? Man sieht da schon in der Volksschule, wie aufmerksam und kompetent die Kinder sind. Sie können oft recht gut abschätzen, ob ein Bild einem anderen Kind zum Problem wird. Das ist vermutlich so, weil sie seit ihrer Geburt mit unendlich vielen digitalen Bildern von sich selbst konfrontiert sind und sie recht früh ein Gefühl dafür entwickeln, was geht. Man kann schon mit Kindergartenkindern darüber diskutieren, ob ein Bild nun peinlich ist oder nicht. Das ist tatsächlich einen Fortschritt. Was fehlt, sind die Erwachsenen, die auf die Kinder hören. Die Eltern gehen oft über die Einschätzung der Kinder hinweg und posten die Bilder trotzdem.

DIE FURCHE: Das heißt, die beschützende Generation geht mit diesen Bildern zu sorglos um?

Buchegger: Definitiv. Fast jedes Kind erzählt von Situationen, wo Eltern fotografiert haben, obwohl es das nicht wollte. Im digitalen Zeitalter ist es aber ganz wichtig, das auch zu akzeptieren. Denn nur wenn die Kinder das erfahren, werden sie später auch das Nein von anderen Personen akzeptieren. Ein anderes Beispiel gab es im letztjährigen Sommer mit der großen Welle von Hasspostings: Das waren nicht die Jugendlichen, die haben sie vielleicht geteilt und weitergeleitet. Die Urheber der Hasspostings waren Erwachsene, weil die Jugendlichen viel besser einschätzen, was geht und was nicht. Sie haben ein viel besseres Gefühl für die Online-Welt, wo die Grenzen sind, was in Ordnung ist und was nicht. DIE FURCHE: Und wenn man jemanden übers Web kennenlernt Buchegger: da gibt es natürlich 100.000 Horrorgeschichten. Aber es gibt auch 100.000 tolle Geschichten. Gerade bei Jugendlichen, die ein Hobby haben, das sie mit niemandem in ihrer Umgebung teilen können -eine Musikgruppe etc.: Die waren früher einfach Außenseiter. Heute ist das nicht mehr so, weil sie online Gleichgesinnte finden. Und das trägt positiv zu ihrer Entwicklung bei, dass sie sich nicht wie Outlaws fühlen müssen.

DIE FURCHE: Wie geht man mit Hasspostings um? Was geben Sie für Tipps, um herauszufinden, von wem ein Hassposting stammt?

Buchegger: Ganz wichtig sind die Bilder: Ein Gutteil der Kommunikation online spielt sich über Bilder ab. Hasspostings haben oft sehr ausdrucksstarke Bilder. Es ist da ganz wichtig herauszufinden: Woher stammt das Bild? Das ist nicht immer ganz einfach, aber man kann etwa eine umgekehrte Google-Bildersuchmaschine verwenden und ein bisschen Detektiv spielen. Kürzlich postete die AfD in Deutschland ein Bild, wo ein eindeutig als Linker erkennbarer Demonstrant einen Polizisten verprügelt. Ich bin diesem Bild nachgegangen und habe entdeckt, dass es rund um den Maidan in der Ukraine 2014 aufgetaucht ist. In Wirklichkeit stammt es aber aus Griechenland aus dem Jahr 2009. Es war nicht ganz einfach, den ursprünglichen Fotografen zu finden, aber mit der umgekehrten Bildersuchmaschine habe ich die Ursprungsquelle aufgefunden.

DIE FURCHE: Aber gibt es ein Bewusstsein für diese Manipulationen von Bildern?

Buchegger: Da muss ich sagen: Leider nein. Da brauchen wir noch viel Aufklärungsarbeit in allen Bevölkerungsgruppen -das betrifft nicht nur die Jugendlichen.

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