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PECH SOLL KEIN LEBENSJAHR KOSTEN

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FURCHE: Herr Minister, sind Ihre jüngsten Vorschläge zur Schulreform - Autonomie, Ganztagsschulplätze, Diskussion über Samstag und Ferienordnung, Aufsteigen mit Nichtgenügend -, wirklich die wichtigsten Anliegen Ihres Ressorts?

BUNDESMINISTER RUDOLF SCHÖLTEN: Wenn ich zwei Themen herausgreife - ganztägige Schulformen und Autonomie -, dann bejahe ich diese Frage. Das sind für mich ganz sicher die wesentlichen Punkte.

FURCHE: Autonomie bedeutet mehr Differenzierung, jede Schule kann ein eigenes Profd entwickeln...

SCHÖLTEN: So ist es. Die Kehrseite ist die Durchlässigkeit. Deshalb haben wir ein Maß gesetzt mit einem Maximum von 15 Prozent der Zeit, das ist eine Stunde pro Tag oder sechs Wochen im Jahr. Es bleibt der Schule Uberlassen, wie sie das einteilt. Das ist ein hoher Prozentsatz für autonome Projekte der Schulen, zugleich soll er aber nicht dazu fuhren können - deshalb dieses Maximum -, daß der Wechsel von einer Schule zur anderen nicht mehr möglich ist.

FURCHE: Ist das nicht eine Abkehr von der Schulpolitik der letzten 20 Jahre in Richtung Einheitsschule?

SCHÖLTEN: Auch die gegenwärtige Diskussion müßte abgehen von einer, die die letzten 20 Jahre geführt wurde. Es ist offenbar der Schuldiskussion immanent, daß, wenn man A sagt, die anderen B sagen. Ich bin überzeugt, wenn ich B gesagt hätte, hätten die anderen A gesagt. Diese Art der Diskussion ist für mich sinnlos, sie nimmt nicht Rücksicht darauf, daß es um Hunderttausende Kinder

und Jugendliche geht, und das ist für mich allemal das bestimmende Element dieses Schulsystems - und sicher nicht die Schulpolitiker.

FURCHE: Haben Sieden Eindruck, daß Ihre Vorschläge bei den Betroffenen Zustimmung finden?

SCHÖLTEN: Ein paar dieser Maßnahmen sind ausdrücklich als Option angeboten. Da ist die logische Antwort: Ja. Wenn die Betroffenen sich nicht dafür entscheiden, gilt es ohnehin nicht. Das reicht vom Samstagunterricht zu den Autonomieregeln, die ja nicht so konstruiert sein werden, daß wir Autonomie verfügen. Es ist niemand gezwungen, für sich autonome Spielräume zu aktivieren - dann gilt eben das gegenwärtige System. Die standortspezifische Entscheidung ist wesentlich. Das gleiche gilt für die Samstagregelung und für die Ferienregelung. Dort soll zwar nicht jede Schule für sich ein eigenes Feriensystem entscheiden können, aber die Umfrage, die wir jetzt machen, wird entscheidend sein, ob man diese Ferienregelung adaptiert oder nicht.

Was die Frage des Aufstiegs mit einem Nichtgenügend betrifft, muß man sagen, wo wir derzeit stehen. Derzeit haben wir ein Modell, wo die Lehrerkonferenz das beschließen kann. Die Erfahrung ist, daß es Schulen gibt, wo das sehr zahlreich gemacht wird, und solche, wo das kategorisch nicht gemacht wird. Mir kann niemand vernünftig erklären, daß das eine Standortfrage ist. Ich möchte ein System, wo Pech nicht ein Lebensjahr kostet. Tächinieren will ich sicher nicht fördern. Eines ist in allen Modellen klar: Im letzten Jahr, in dem ein Fach unterrichtet wird, muß der Schüler das Fach

auf jeden Fall positiv abschließen.

FURCHE: Wenn ein Schulgemein-schaftsausschuß (SGA) oder Schulforum den freien Samstag beschließt -bedeutet das dort nicht die versteckte Einführung der Ganztagsschule?

SCHÖLTEN: Wenn sich alle Schüler, Eltern und Lehrer dafür entscheiden, soll das verstecken, was es will.

FURCHE: Es entscheiden aber vermutlich nicht alle einstimmig, sondern die Mehrheit...

SCHÖLTEN: Für mich ist das Minimum, daß es die Mehrheit aller drei Gruppen ist. Man findet als Realität an manchen Schulen, daß Eltern und Schüler für den schulfreien Samstag wären, aber die Lehrer dagegen sind, und diese Entscheidung soll nicht über den Kopf der Lehrer hinweg getroffen werden können, wie in anderen Fällen nicht über den Kopf von Eltern und Schülern.

FURCHE: Sollen solche Fragen alle Betroffenen oder nur der Ausschuß entscheiden?

SCHÖLTEN: Wir befragen - das ist der erste Schritt - in der Ferienregelung die Schulgemeinschaftsaus-schüsse. Diese Befragung hat auch einen gewissen Probegaloppcharakter, weil diese Ausschüsse bis dato ja nicht sehr viele wesentliche Funktionen hatten und sich daher auch die internen Modalitäten entwickeln müssen. Es ist rein technisch für einen Lehrervertreter im SGA natürlich we-sentlich leichter, die Lehrer an der Schule zu befragen, als für den Elternvertreter, sämtliche Eltern zu befragen. Da müssen sich Mechanismen entwickeln. Bei den Detailre-

geln bin ich zu jeder Diskussion bereit, das soll einfach im besten Sinn des Wortes den Willen des Standortes manifestieren.

. FURCHE: Oft werden andere Schulfragen als vordringlich genannt, etwa - mit Hinweis auf eine Linzer Studie -, daß grundlegende Kulturtechniken zu wenig vermittelt werden, daß Pflichlschulabsolventen große Mängel aufweisen...

SCHÖLTEN: Es ging in der Studie nie darum, daß die Pflichtschulabsolventen getestet wurden, sondern Berufsschulanfänger. Alle, die von der Pflichtschule in höhere Schulen weitergehen, sind da nicht erfaßt. Es gibt ein paar Begründungen dafür, daß man mit solchen Ergebnissen rechnen muß. Eine ist, daß wir vor wenigen Jahren noch einen sehr hohen Anteil an Pflichtschulabgängern hatten, die nach der Pflichtschule keine weitere Schule besucht haben. Die gibt es praktisch nicht mehr, die liegen bei oder unter einem Prozent. Dieser Anteil der Schüler geht jetzt an die Berufsschule, das sind mit Sicherheit nicht die Stars des Systems, die bisher ihre Schulzeit nach der Pflichtschule abgebrochen haben und jetzt fast alle an die Berufsschule gehen.

Es geht mir aber nicht darum, zu sagen, an der Schule ist ohnehin alles in Ordnung. Ich glaube, und hier schließt sich für mich der Kreis mit der Autonomie, daß das gegenwärtige System zu starr ist, auch in der Zeiteinteilung. Im Autonomiemodell können Teile der freigewordenen Zeit dafür eingesetzt werden, aktuell auf auftauchende Defizite zu reagieren.

FURCHE: Immerwieder kommt der

Rufnach „ Lehrplanentrümpelung "...

SCHÖLTEN: Das ist eine Diskussion, die man mehr im Detail fuhren müßte. Ich bin der Überzeugung, daß die Schule zu viel enzyklopädisches Wissen anbietet, also zu sehr über alle Epochen und Sparten hinwegziehendes Wissen. Ein Beispiel wäre, daß man im Deutschunterricht Literaturgeschichte wie einen Schnellzug anbietet und sich nachher wundert, daß sich die Kinder wenig für Literatur interessieren. Ich glaube, daß es günstiger wäre, wenn die Schule zu Lasten der enzyklopädischen Vollständigkeit Schwerpunkte setzen kann, die sich daran orientieren sollten, was der einzelne Lehrer für sich als das attraktivste Segment empfindet und daher auch am besten vermitteln und damit am meisten im positiven Sinn Neugier auslösen kann.

Diese Diskussion, von der ich überzeugt bin, daß sie der richtige Weg wäre - Wecken von Neugier und Interessen als Hauptaufgaben der Schule -, würde ganz sicher im Moment Panik darüber auslösen, was alles dann plötzlich nicht mehr selbstverständlich angeboten wird, aber sie wird zu fuhren sein.

FURCHE: Wie stehen Sie zur Meinung, Schule sollte neben den Kulturtechniken vor allem Schlüsselqualifikationen - Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Umgang mit Information - vermitteln?

SCHÖLTEN: Das unterschreibe ich vollständig. Alles mit der Kommunikation Zusammenhängende halte ich für einen ganz wichtigen Aspekt, der jetzt auch sicher zu kurz kommt.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

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