Leuchtende Kinderaugen

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Wie jedes Jahr stehen Eltern und Verwandte wieder vor der Frage, welche Wünsche der Kinder sie erfüllen sollen. Die Leiterin des Psychologischen Dienstes des Wiener Amtes für Jugend und Familie, Belinda Mikosz, im Interview über pädagogisch sinnvolle Weihnachten.

Die Furche: Bald beginnt der Advent, die Vorfreude der meisten Kinder auf Weihnachten ist groß. Was halten Sie von den Märchen vom Christkind und vom Weihnachtsmann?

Belinda Mikosz: Es steht mir als Psychologin nicht zu, in Familientraditionen einzugreifen. Was ich aber nicht möchte, ist, dass man mit Sätzen wie "Wenn du nicht brav bist, wird dir das Christkind nichts bringen" droht. Das ist eigentlich feig, wenn sich die Erwachsenen hinter dem Christkind verstecken. Die sollen doch die Konflikte selber austragen und sagen "Ich will, dass du das machst oder nicht machst." Das Christkind kommt einmal im Jahr, warum belastet man es mit solchen Dingen das ganze Jahr über? Außerdem ist eine Versöhnung mit Mutter oder Vater eine ganz andere als mit jemanden, von dem man nicht genau weiß, wer das nun ist, mit dem man sich nicht wirklich auseinander setzen kann. Das macht eher Angst.

Die Furche: Sind Kinder enttäuscht, wenn sie erfahren, wer wirklich die Geschenke bringt?

Mikosz: Es gibt Kinder, die auch noch ans Christkind glauben wollen, wenn sie schon wissen, dass die Eltern mithelfen. Sie finden das Märchen einfach so schön. Und es gibt Kinder, die sind kurz böse, weil sie sagen: "Du hast mich angelogen." Und es gibt schlaue Eltern, die sagen, das Christkind hat Geburtstag und da gibt es Überraschungen, dann hat man eigentlich nicht gelogen.

Wenn man aber immer sagt, man dürfe auf keinen Fall schwindeln, und dann schwindelt man selber, dann muss man das dem Kind erklären. Dann kann man ja sagen: "Ich habe doch ein wenig geschwindelt, weil ich die Geschichte noch aus meiner Kindheit in so schöner Erinnerung habe, und ich wollte, dass du das auch erlebst."

Die Furche: Weihnachten sollte ein Fest der Freude sein. Besteht aber nicht die Gefahr, Kinder mit zuviel Weihnachtsstress zu überfordern?

Mikosz: Ja, absolut. Bei vielen Familien gibt es den Brauch, mehrmals Weihnachten zu feiern: einmal bei den Eltern, einmal bei der Tante, einmal bei der Oma. Dabei ist ja schon beim ersten Mal alles neu und ungewohnt: Der Christbaum leuchtet, die Glocke bimmelt, die Stimmung ist ganz anders als sonst. Das ist Stress. Und dann das ganze auch noch drei Mal. Kein Wunder, wenn die Kinder dann völlig überdreht sind und keine Freude mehr zeigen können, weil sie die Pakete nur noch aufreißen und im Chaos des Papiers und der Spielsachen untergehen.

Die Furche: Wie viele Geschenke sollen Kinder bekommen?

Mikosz: Je jünger, desto weniger. Bis drei Jahre maximal ein Ding, das man dann hin und her schieben und anschauen und drehen kann.

Schulkinder haben ja schon Wünsche, ob man sie erfüllen kann, hängt natürlich von der finanziellen Lage der Eltern ab. Ein Überschütten mit Geschenken bedeutet aber nicht gleichzeitig Liebe geben. Oft gibt es sehr viele Geschenke, und dann heißt es: "Da hast du, jetzt gib Ruhe." Oder weil man keine Zeit hat, kauft man halt viele Geschenke als Ersatz.Ich würde es eher umdrehen: Lieber weniger Geschenke, dafür mehr Zeit miteinander verbringen.

Die Furche: Wie soll man mit einer Unmenge an Wünschen umgehen?

Mikosz: Man sollte von vornherein klarstellen, dass wahrscheinlich nicht alle Wünsche erfüllt werden können und das Kind fragen, was ihm denn ganz besonders wichtig sei. Sonst wird der Wunschzettel immer länger und das Kinder ist enttäuscht, wenn es nicht alles bekommt.

Die Furche: Oft liegen Dinge unter dem Weihnachtsbaum, mit denen die Kinder dann doch nicht spielen.Wie lässt sich das verhindern?

Mikosz: Man sollte bei der Auswahl der Geschenke bedenken, dass man bei manchen Dingen auch Anregungen geben und mitspielen muss. Die berühmten Beispiele sind das Kasperltheater und der Kaufmannsladen. Wenn Eltern so etwas kaufen, müssen sie wissen, dass man damit nicht allein spielen kann. Beim Kasperltheater braucht man ein Publikum und beim Kaufmannsladen jemanden, der einkauft. Ich rate auch immer, Spiele zu kaufen, die man selbst als Kind gern gespielt hat, weil man diese auch lieber spielt. Außerdem sollte man sich bereits im Geschäft erklären lassen, wie das Spiel funktioniert und sich überlegen, ob man das spielen möchte, wenn das Kind darum bittet. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist, dass jemand mitspielt.

Die Furche: Nach welchen Kriterien sollte man Geschenke für Kinder auswählen?

Mikosz: Ideal ist alles, was Kreativität zulässt. Die Puppe, mit der man spielen kann und die dem Kind in der Phantasie alles sagen kann, ist besser als die Sprechpuppe, die ihre fünf eingespeicherten Sätze kreischt.

Bei Bausätzen sind für Kinder gerade die Ergänzungsteile interessant. Sie können damit ihrem Alter entsprechend größere Bauwerke fertigen und so zu Erfolgserlebnissen kommen.

Ideal ist auch, wenn man Spiele mehrfach verwenden kann. Zum Beispiel gibt es für ganz kleine Kinder so etwas wie Becher in verschiedenen Farben und Größen, aus denen man einen Turm bauen kann. Aber man kann auch Farben zuordnen, man kann zählen lernen, man kann sie in der Sandkiste zum Kuchenbacken verwenden und ins Wasser mitnehmen für Schüttspiele. So etwas steht in keiner Spielbeschreibung, da ist auch die Kreativität der Eltern gefragt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Eltern sollten zulassen, dass ihre Kinder die Spiele anders nützen, als vom Hersteller vorgesehen, und sie sollten wissen, dass das Erfinden von Abwandlungen das schöpferische Potenzial ihrer Sprösslinge vergrößert und somit pädagogisch wertvoll ist.

Wichtig beim Spielzeugkauf ist natürlich auch, dass die Spielsachen nicht sofort kaputt gehen, sondern schon etwas aushalten. Sonst gibt es bald Tränen.

Die Furche: Kinder wünschen sich oft Dinge, weil die anderen sie angeblich auch hätten und weil sie nötig seien, um in einer bestimmten Gruppe akzeptiert zu werden. Soll man diesen Wünschen nachgeben?

Mikosz: Es gibt Eltern, die diese "Muss-Dinge" aus pädagogischen Gründen just nicht kaufen. Ich denke, dass Eltern Ihre Grundsätze nicht aufgeben müssen, nur weil sie hin und wieder Kompromisse schließen. Warum nicht eines dieser Dinge kaufen? Aber eben nicht zwanzig. Kinder leiden manchmal fürchterlich, wenn sie so gar nicht mitreden können.

Die Furche: Auf vielen Wunschlisten stehen Computerspiele ganz oben. Viele davon haben Gewalt zum Inhalt. Sollen diese Wünschen erfüllt werden?

Mikosz: Es gibt sinnvolle Computerspiele, die die Konzentration fördern, und es gibt natürlich auch ganz grauenhafte, bei denen es nur darum geht, irgendwelche Monster abzuknallen. Eltern sollten Spiele, deren Inhalt ihnen zu grausam erscheint, nicht kaufen. Das kann man dem Sohn oder der Tochter ja erklären. Kinder brauchen auch Grenzen und ein "Nein" zu einem Wunsch halten sie schon aus, solange nicht jeder Wunsch aus Prinzip sofort abgelehnt wird.

Natürlich hört man dann von den Kindern, dass alle anderen diese Spiele auch hätten, aber das müssen Eltern eben aushalten lernen.

Die Furche: Also ein grundsätzliches Nein zu Computerspielen, in denen Gewalt eine Rolle spielt?

Mikosz: Gewaltspiele sind für die kindliche Entwicklung nicht förderlich. Lustvolles Kämpfen und Kräftemessen, bei dem nicht wirklich jemand zu Schaden kommt, darf man aber durchaus erlauben. Es gibt Computerspiele, die diesem Bedürfnis Rechnung tragen. Da schießt man eben nicht auf Menschen, sondern da frisst zum Beispiel eine Schlange irgendwelche Tiere. Das ist schon etwas anderes, als mit dem Maschinengewehr auf Menschen zu schießen.

Wenn das Kind oder der Jugendliche so ein Spiel dann aber doch bei einem Freund spielt, sollte man mit ihm darüber reden und nicht gleich der Mutter des Freundes Vorwürfe machen. Es ist ja auch nicht so, dass ein brutales Computerspiel allein gleich die Gewaltbereitschaft eines Kindes verändert. Da gehören schon mehrere Faktoren dazu. Spielt man allerdings nur solche Spiele und kommt man gar nicht mehr weg vom Computer, erhöht das natürlich die Aggressivität.

Die Furche: Verschwinden Bücher zunehmend von den Wunschzetteln?

Mikosz: Leider ja, weil die bewegten Bilder attraktiver sind. Es gibt ja den Harry Potter auch im Kino, das ist einfacher, als ihn zu lesen. Zum Lesen muss man ge- und verführt werden. Es gibt schon noch Kinder, die lesen, aber immer mehr sagen, sie mögen es nicht. Und immer mehr Kinder sind von den Texten überfordert. Das ist wie mit der Musik: Wer singt denn heutzutage noch selber? Das kommt alles vorgefertigt von der CD oder Kassette, weil das Singen nicht perfekt genug ist. Das vermitteln wir unseren Kindern. Wenn man dann nicht so toll lesen kann, dann hört man sich eben die Kassette an oder schaut sich den Film an. Ich finde das schade, weil lesen die Phantasie viel mehr fördern würde. Man kann sich die Figuren ausdenken, sie sich erträumen. Wenn ich Harry Potter im Kino gesehen habe, denke ich mir nichts mehr aus, dann schaut er eben so aus wie im Kino. Und die Pippi Langstrumpf: Solange es sie nicht im Kino gegeben hat, konnte man sich aussuchen, wie sie ausschaut. Jetzt gibt es wohl kein Kind mehr, das sich die Pippi Langstrumpf nicht so vorstellt, wie sie im Film ist. Das schränkt die Phantasie ein.

Die Furche: Vor allem von Verwandten bekommen Kinder oft Geldgeschenke. Was halten Sie davon?

Mikosz: Wenn sie an Jugendliche gehen, ist das schon in Ordnung. Aber für Kinder sind sie sinnlos. Ein Geldschein mit den Worten: "Da hast du Geld fürs Sparbuch", ist für das Kind, als hätte es gar nichts bekommen. Und Geld, damit sich das Kind selbst etwas kaufen kann, ist problematisch: Oft können die Kinder in den Größenordnungen noch nicht rechnen. Dann brauchen sie Unterstützung beim Einkauf.

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