Wir müssen Eltern Stärken

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Der deutsche Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge plädiert für mehr Gelassenheit - und weniger kindliche Überwachung.

Mehr Mut zur Leichtigkeit, zur Gelassenheit, zur Unvollkommenheit! Diese Botschaft ist es, die sich durch alle Bücher, Vorträge und Seminare des bekannten Familien- und Kommunikationsberaters Jan-Uwe Rogge zieht. Kurioserweise seien gerade jene Eltern (und hier vor allem Mütter!), die dieses Motto am ehesten beherzigen sollten, seine treuesten Kunden, scherzte Rogge, als er die FURCHE im Wiener Hotel Bristol zum Interview empfing.

Die Furche: Herr Rogge, Ihr neues Buch trägt den Titel "Viel Spaß beim Erziehen“. Nehmen Eltern dieses Thema zu ernst?

Jan-Uwe Rogge: In der Erziehung ist einfach der Spaß verloren gegangen, der Humor. Mein Buch ist dagegen eine Ermunterung zur Leichtigkeit.

Die Furche: Die Tendenz geht eher in Richtung Förderwahn: Höhepunkt dieser Entwicklung war das Buch "Battle Hymn of the Tiger Mother“, in dem die US-Chinesin Amy Chua das Drillen ihrer Töchter beschrieben hat …

Rogge: Das war ein Medien-Hype, bei dem sich zwei Pole hochgeschaukelt haben: die Autorin, die diesen Unsinn geschrieben hat, und die Medien, die sich gern an Blödsinn festhalten. Wenn man ein Buch schreiben würde mit dem Titel "Schlagt Kinder!“, dann würde dieses sicher auch von seriösen Medien aufgegriffen werden. Was ich wunderbar finde ist, dass die Kinder dieser Amy Chua sich offenbar ganz anders entwickelt haben, als ihre Mutter das geplant hatte. Man kann Kinder eben nicht zurechtbiegen. Und das ist etwas ausgesprochen Tröstliches.

Die Furche: Für Eltern, die viel Energie und Geld in die Förderung ihrer Kinder stecken, wohl eher nicht: Vor allem den Mittelstand hätte eine regelrechte "Bildungspanik“ erfasst, konstatiert der Soziologe Heinz Bude in seinem gleichnamigen Buch …

Rogge: Deshalb sage ich ja: Viel Spaß beim Erziehen, weg von der Planbarkeit und Machbarkeit. Erziehung ist nicht Vorbereitung auf das Leben, sondern das Leben selbst. Diese Sichtweise den Eltern wieder bewusst zu machen, im Hier und Jetzt zu bleiben und nicht in eine imaginäre Zukunft zu schauen, die dann auch noch eingedüstert wird durch einen Schwarzseherblick, das ist die Herausforderung. Was Eltern heute brauchen, ist das Gefühl: Ich bin angenommen. Wenn man von Eltern verlangt, dass sie ihre Kinder annehmen, setzt das voraus, dass sie sich selbst auch angenommen fühlen. Nur wenn es den Eltern gut geht, geht es den Kindern gut - und nicht umgekehrt. Die Rede vom steigenden Druck auf die Eltern kann ich jedenfalls nicht mehr hören. Es geht um eine Haltung. Man muss die Eltern stärken, damit sie selbstbewusst und eigenständig sein können.

Die Furche: Eigenständigkeit ist auch für Kinder wichtig, doch dazu braucht es Freiräume. In Ihrem Buch lassen Sie einen Opa klagen: "Ja, wir konnten noch Abenteuer erleben. Heute steckt doch hinter jedem Busch ’ne Mutter.“

Rogge: Wenn man Kinder fragt, was sie sich von ihren Eltern wünschen, dann gibt es zwei zentrale Sätze: "Gebt mir Raum!“ und "Lasst mir Zeit!“. Diese Gedanken sind ungeheuer alt in der Pädagogik. Gebt mir die Zeit, mich so zu entwickeln, wie ich bin und nicht, wie ihr mich haben möchtet! Lasst mir mein eigenes Tempo! Und gebt mir Freiräume und beobachtet mich nicht immer!

Die Furche: Aber wie ist das umsetzbar, vor allem in den Städten, wo Freiräume für Kinder absolute Mangelware sind?

Rogge: Wenn man durch Wien geht, dann gibt es sehr viele Parks. Das Problem ist, dass flankierend an den Seiten die Mütter hängen. Ich würde ihnen raten, sich einfach einmal mit dem Rücken zum Kind hinzusetzen und nicht ständig hinzustarren und zugleich unbarmherzig zu diagnostizieren. Es gibt ja offenbar die Räume, aber sie sind von wohlmeinenden Müttern besetzt

Die Furche: Und wo bleiben die Väter?

Rogge: Väter werden oft auch ausgegrenzt von den Müttern. Väter verstärkt in die Erziehung einzubinden setzt aber voraus, dass Mütter auch Macht abgeben, dass sie sich auch mit dem anderen Erziehungsstil des Mannes auseinandersetzen und ihn zulassen. Sie müssen einmal mit mir in Wiener Parks nicht Tauben vergiften - wie frei nach Georg Kreisler -, sondern Mütter beobachten. Das ist wirklich schlimm.

Die Furche: Waren Mütter schon immer so obsessiv?

Rogge: Schon Pestalozzi hat sich vor über 200 Jahren in seinem Bestseller "Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ auf die Mütter fokussiert. Sagen wir so: Was sicher verloren gegangen ist, ist dieses Moment an Gelassenheit. Der Gedanke "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist ja vollkommener Unsinn. Man lernt bis zum letzten Atemzug. Sie glauben gar nicht, wie viel Dankbarkeit ich von Müttern erlebe, wenn ich ihnen das Gefühl von Gelassenheit zu vermitteln versuche. Viele Mütter sagen mir nach einem Vortrag oder Seminar: Ich gehe mit einem Stück Selbstbewusstsein nach Hause - und mit dem Gefühl, nicht alles falsch zu machen. Das Entscheidende ist, diesen Blick der Normalität wiederzugewinnen und aufzuhellen.

Die Furche: Doch was ist Normalität? Wann wird die angemessene Förderung eines Kindes zur Überforderung?

Rogge: Ein Kind will begleitet sein, in seinen Kompetenzen, die es mit in diese Welt bringt und die von Kind zu Kind unterschiedlich sind, angenommen sein. Jedes Kind kommt mit einer Leistungsbereitschaft in diese Welt, und das stellt sich in jedem Entwicklungsabschnitt anders dar. Es geht wieder darum, das Kind so anzunehmen, wie es ist - und nicht am Kind wieder gutzumachen, was man selbst womöglich versäumt hat. Man sollte sich selber fragen: Warum mache ich exzessive Förderungsprogramme? Weil ich etwas wiedergutmachen will, weil ich mich mit anderen vergleichen will, weil ich mir nichts nachsagen lassen will? Die Auseinandersetzung mit sich selber und mit dem Partner ist wichtig.

Die Furche: Verstärkt der Trend zum Einzelkind den Förderdrang?

Rogge: Ach, ich glaube, das spielt keine entscheidende Rolle. Wenn man zwei oder drei Kinder hat, ist das häufig genauso.

Die Furche: Gehen wir von den Müttern und Vätern weg zu den Großeltern, die ja heutzutage oft noch sehr aktiv sind. Inwiefern könnten sie entlastend wirken?

Rogge: Es gibt Großeltern, die diesen begleitenden, entlastenden Einfluss haben - und andere, bei denen das Gegenteil der Fall ist. Man kann es in eine Formel bringen: Großeltern, die ihr Leben bilanziert haben, die also für sich klar gemacht haben: Ich habe eine Menge geschafft, aber viel auch nicht und ich brauche es auch nicht mehr schaffen, die gehen mit ihren Enkelkindern und den eigenen Kindern anders um als diejenigen, die meinen, selbst als Ersatzeltern einspringen zu müssen. Die sind oft sehr unduldsam und keine guten Begleiter. Großeltern, deren Lebensbilanz ausgeglichen ist, können viel eher Gelassenheit praktizieren und sich mehr auf das Kind einlassen. Sie haben im guten Sinne größeren Abstand, und wenn sie keine Lust mehr haben, können sie das Kind auch wieder abgeben. Großeltern repräsentieren einfach gelebtes Leben, mit allen Höhen und Tiefen.

Die Furche: Diese Höhen und Tiefen sollten sich Ihrer Ansicht nach auch die Eltern öfter erlauben. "Eine perfekte Erziehung gibt es nicht“, schreiben Sie am Ende Ihres Buches. "Perfektion kann auch Stillstand bedeuten, der wahre Motor für Entwicklung ist Unvollkommenheit.“

Rogge: Ja, ich bin ja schließlich kein Schwarz-, sondern im guten Sinne ein Hellseher. Hier habe ich vor allem von Charly Chaplin viel gelernt, der seine Protagonisten, die oft unendlich arme Teufel waren, am Ende immer ins Licht gehen lässt. Das hört sich fast esoterisch an, aber davon habe ich gelernt, dass man die Menschen nicht an der Hand nehmen und mit ihnen gehen muss, sondern ihnen nur aufzeigen soll, wo der Weg hingeht. Ich gebe ihnen eine Landkarte und einen Kompass, damit sie sich zurechtfinden, aber gehen müssen sie schon alleine. Und dazu gehört nicht nur das ständige Vorwärtsgehen, sondern auch einmal der Stillstand oder das Zurückzugehen, wenn man sich verrannt hat. Erziehen wird nur dann richtig mühsam verkrampft, wenn sich alles um Erziehung dreht. Man ist ja nicht nur Mutter und Vater, man ist ja auch Partner, Mann und Frau. Mir hat einmal ein achtjähriger Bub gesagt: "Wenn Mama und Papa sich mehr anschauen würden, dann würden sie nicht immer mich sehen.“ Da hat der Kleine recht.

Viel Spaß beim Erziehen!

Ein Buch für unvollkommene Eltern

Von Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram. Rowohlt

Taschenbuch Verlag 2011. 254 Seiten, TB, € 9,30

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