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Wenn Gott in die Familie kommt

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Dieser Beitrag ermutigt Eltern, die Erstkommunionvorbereitung nicht nur an „qualifizierte” Kräfte zu delegieren.

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Dieser Beitrag ermutigt Eltern, die Erstkommunionvorbereitung nicht nur an „qualifizierte” Kräfte zu delegieren.

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Natürlich ist Gott in der Familie % immer schon da. Der Schöpfer -L 1 des Lebens ist an der Quelle menschlichen Lebens immer schon Schöpfer und Förderer menschlichen Lebens. Dennoch ist der Titel dieses Beitrages als Provokation wichtig, es muß uns erst einmal zu Bewußtsein kommen, daß Gott in unserer Familie schon da ist, wenn Mann und Frau einander lieben, ein Kind ins Leben rufen und damit aus ihrer Zweisam-keit eine Familie hervorgeht. Überhaupt ist es eine Frage der Bewußtseinserweiterung, ob wir das Zusammenleben in unserer Familie so weit und tiefgründig deuten, daß Gott in uns und bei uns wohnt und wir in ihm und mit ihm wohnen. Die üblichen Denkschablonen und Schubladen, mit denen wir an unser Leben in der Familie herangehen, reichen nicht weit, wenn wir die Fragen des Woher, des Wohin und vor allem des konkreten Wozu im Hier und Jetzt durch die immer wieder hereinschwappenden Wellen gesellschaftlicher Üblichkeiten - „man trägt zur Zeit Orange, dies tut man doch nicht, das tut man doch” - zerstreuen lassen.

Es ist für mich eine Frage der Lebensqualität—und dies ist schließlich ein ganz zentrales Argument für die Ziele und Gestaltung menschlichen Lebens - in welchem Gesamtrahmen und in welcher Beziehung mit wem ich mein Leben gestalte. So ist es eine Grundsatzentscheidung, ob wir unser Leben im Bereich Gottes („Reich Gottes”) verstehen, als Mitgestaltung am Anbrechen der Neuen Welt Gottes also oder nicht.

In welchen Beziehungen wir leben, nehmen wir in der Regel im zwischenmenschlichen Bereich sehr ernst. Wer wessen Freund ist und auf wen du dich verlassen kannst oder nicht, macht menschliches Leben aus, gibt Vertrauen oder zerstört es, ist wie ein Netz, das uns bei all unseren Akleben, immer wieder auffängt.

Die konkreten Wege für eine gelingende religiöse Erziehung sind nicht willkürlich. Den Vorbehalt zu machen, daß der Glaube ein Geschenk sei und letztlich Gott selbst in uns den Glauben anstiftet, enthebt uns nicht der Überlegung, warum diese Anstiftung Gottes in der einen Familie auf fruchtbaren Boden fällt und sich daraus Wachstum im Glauben und Lebensqualität aus der Quelle der Gottesbeziehung ergibt und in der anderen Familie nicht. Wichtige Untersuchungen, vor allem Tiefeninterviews, ergaben, daß religiöse Erziehung in den Familien gelingt, in denen sich die Gottesbeziehung in konkreten Gesten, in sichtbaren Handlungen und Zeichen ausdrückt, an denen Kinder also von kleinauf partizipieren können. Die kritischen Fragen des Jugendalters, etwa zum Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft, sind nicht notwendigerweise ein Abschieben des Kinderglaubens, sondern eher als „Häutung” zu verstehen, durch die Schritt für bensverständnisses entsteht.

Es ist deswegen sehr wichtig, Kindern möglichst nichts zu sagen, was Eltern später zurücknehmen müssen

- Kinder haben meist eine hohe Sensibilität dafür, ob authentisch ist, was ihnen ihre Eltern sagen. Manche leiden darunter, daß ihre Eltern sie nicht ernstgenommen haben mit ihren manchmal gar nicht leicht beantwortbaren Fragen. Ich muß als Vater nicht alle Fragen beantworten können, schließlich bin nicht ich, sondern Jesus Christus der Retter der Welt.

In der Sprache der Lernpsychologie geht es um Nachahmungs-, Verstär-kungs- und Entdeckungs-Lernen. Kinder „saugen” sich aus den Interaktionen der Erwachsenen die für sie entsprechenden Handlungen heraus und „operieren” damit individuell und oft auch sehr kreativ.

„Religion ist, was Du täglich tust.”

- Die Gottesbeziehung bedarf des alltäglichen Ausdrucks und der Symbolisierung von Hingabe, Dank, von Zugehörigkeit zu Gott, von Klage und vielleicht sogar Anklage an und gegen Gott. Die Gottesbeziehung ist andauerndes Gespräch, auch wenn es nicht ausdrücklich ist. Wie Menschen, die einander lieben, dies nicht den ganzen Tag durch Gesten der Zärtlichkeit zum Ausdruck bringen, so ist dies auch in der Reziehung zu Gott. Aber es gibt Verdichtungen an jedem Tag: Am Morgen der Blick in den Tag, beim Mittagessen eine Geste des Dankes, und am Beginn der Nacht Rückschau sowie Gesten der Versöhnung, den Tag Gott übergeben und sich vertrauensvoll in die Nacht hineinsinken lassen.

Viele Kinder lieben die kommunikative Redeutung von gemeinsamen Essen und Mahlhalten. Wenn ich das Christentum in Abgrenzung zu den anderen Religionen knapp markieren soll: das Christentum ist eine „Mahl-Religion”. Mahlhalten als Gemeinschaft mit Gott und untereinander macht das Zentrum des christlichen Weges aus. Eucharistie ist nicht nur Zentrum während der einen Stunde am Sonntag, sondern „wandelt” unser gesamtes Leben als Danksagung, Gemeinschaft und Hoffnung auf Überwindung des Todes, gegründet in der Auferweckung Jesu Christi. Das gemeinsame Essen in der Familie -egal ob die Familie aus Vater, Mutter und Kindern besteht oder eine sogenannte „Teilfamilie” ist —, erschließt in der alltäglichen Kommunikation diese Tiefendimensionen der Jesus-Christus-Beziehung. Das Reich Gottes ist wie ein Hochzeitsmahl. Wenn das Kleinkind am Tisch mitzuessen beginnt, geht es spontan auf Gesten des Gebetes, sich gemeinsam die Hände zu drücken und Guten Appetit zu wünschen, ein. Wenn die Eltern aus irgendeinem Grund einmal sofort essen ohne zu beten, ist es in der Regel das Kind, das an das Gebet erinnert.

Am Ende eines Tages mit dem Kind den Tag noch einmal vorbeiziehen lassen, mit ihm auch die Belastungen durchgehen und sich — wenn nötig - versöhnen, ihm über den Kopf streicheln und ihm ein Kreuz auf die Stirn zeichnen, ist Lebensqualität für Eltern und Kinder. Dann den Tag in ein Gebet zu Gott fassen, ihm danken, ihn und gegenseitig um Vergebung bitten, überlegen, was wir morgen gemeinsam anders machen könnten und ein - vielleicht über einen längeren Zeitraum sich wiederholendes -meditatives Lied, geben Kindern auch psychisch ein hohes Maß an Geborgenheit, Verwurzelung und Nährboden zum Wachsen. Das bekannte Wort „Wenn deine Kinder klein sind, gib ihnen Wur-zeln, sind deine Kinder groß, gib ihnen Flügel”, paßt zu meiner Option für eine religiöse Eltern-Kind-Beziehung . In manchen Diskussionen wird mir bisweilen vorgehalten, daß diese Option ja vorwiegend nur für sogenannte „heile Familien” realisierbar sei. Doch meine Erfahrung mit vielen Alleinerziehenden, zum Teil in geradezu tragischen Situationen, ermutigen mich, daß gerade auch solche Kinder und Eltern förderliche Wege finden. Sollen Eltern und Kinder in solchen Situationen auch noch um die heilsame Beziehung zu Gott gebracht werden, der wie ein guter Hirte ist, der Öl auf die Wunden reibt, der gerade diejenigen einlädt, die verraten und verlassen sind. Beten kann stark machen, kann den schwarzen Sumpf von Trauer und Wut, der sich im Bauch vieler Menschen ansammelt, dadurch abbauen, daß zur Sprache kommt, was einen eher stumm macht.

Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, daß es in dieser Breite möglich sei, daß Eltern - unter ermutigender Begleitung durch die Pfarrgemeinde - ihre Kinder selbst auf die Erstkommunion vorbereiten und diese Aufgabe nicht weiter nach dem „Dienstmädchenprinzip” an andere, angeblich qualifiziertere Eltern (Tischmütter/-väter) delegieren, dann hätte ich vermutlich ähnlich skeptisch reagiert wie manche von Ih -nen. Für mich ist es aber bei allem vorsichtigen Abwägen und unter Würdigung auch der Gegenargumente eine ganz wichtige und richtige Entwicklung, wenn wir vom „Delegationsprinzip” weggehen und zusätzlich zu den von Eltern und Jugendlichen geleiteten Kommuniongruppen auf die Familiengespräche zu Hause setzen. Was nützt es, wenn die Kinder in der Kommuniongruppe in ein Beziehungsnetz hineingeführt werden, das von ihren eigenen Eltern, bei denen sie die meiste Zeit leben, nicht mitgetragen wird?

Auch so manches an Frustration und Resignation - sowohl bei den Hauptamtlichen als auch bei engagierten Tischmüttern/-vätern und interessierten Eltern - hängt mit dieser Delegationsmentalität und -struktur zusammen. Viele Eltern lehnen sich -aus welchen Gründen auch immer -zurück; sie werden schließlich auch nicht konsequent eingebunden und haben oft auch das Gefühl, nicht gebraucht zu werden. Mit großen Elternabenden im Plenum ist es nicht möglich, Eltern religiös gesprächsfähiger und damit auch kompetenter für die religiöse Kultur in der eigenen Familie zu unterstützen. Monatliche Gruppentreffen von Eltern bieten viel eher einen Lernraum, sich der eigenen Gottesbeziehung (neu) zu vergewissern, Gottesbilder zu klären, Erfahrungen mit religiöser Erziehung in der eigenen Kindheit nachzuspüren.

Beim ersten Elterntreffen bewährt sich die Themensetzung: „Welche Erfahrungen ich mit meiner eigenen religiösen Erziehung gemacht habe, -welche ich davon weitergeben möchte, welche ich davon nicht weitergeben möchte.” Es kommt erstaunlich viel Frust, Unverständnis und zum Teil auch Ärger zur Sprache. In der Regel sind aber nach einem solchen Abend die Störungen soweit bearbeitet, daß beim nächsten Treffen die Themensetzung sein kann: „Eingeladen zur Beziehung mit Gott - Unterbrechung des Üblichen.” Wenn ich mir den AVeg solcher Elterngruppen, die ich in den letzten Jahren begleitet habe, anschaue, dann habe ich kleine Wunder der Veränderung erleben können.

Eine solche radikale Hinkehr zur Zeugnisfähigkeit und -kompetenz der Eltern für den Kommunionweg erfordert Mut und Konsequenz. Wenn nicht alle Eltern bereit sind mitzumachen, ist dies normal. Doch wenn beispielsweise 60 Prozent der Eltern sich auf diesen anspruchsvollen Weg einlassen, dann ist das Glas immerhin halbvoll - für manche Pessimisten bleibt es natürlich halbleer. Aber mit Johannes XXIII. halte ich gegen die Unheilspropheten und Pessimisten. In viel mehr Menschen als wir es uns denken, sind religiöse Sehnsüchte und Beziehungsstrukturen auf Gott hin verankert, auch wenn sie erst einigen Müll, oft genug Kirchenmüll, wegräumen müssen, um an die Goldstücke zu kommen.

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