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Glauben beginnt in der Familie
Für Kinder ist die erste Prägung im Elternhaus entscheidend für den weiteren Verlauf der Entwicklung der Religiosität. Jugendgruppen, Bekannten-und Freundeskreise üben zwar vor allem in der Phase des Erwachsen-Werdens einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Entwicklung der Religiosität aus, der Einfluß der Eltern bildet aber meistens die Grundlage der weiteren Prägung. Öfter höre ich von Kindern: Ich würde am Sonntag gerne in den Familiengottesdienst gehen, aber meine Eltern sagen, am Sonntag schlafen wir aus und Du bleibst leise in Deinem Zimmer.
Für die überwiegende Mehrheit hängt ausgeprägte Religiosität mit aktiver Teilnahme am Leben einer Glaubensgemeinschaft zusammen. In den ersten Lebensjahren verläuft das Erlernen von religiösen Interpretationen und Verhaltensweisen durch Teilnahme am Verhalten der Eltern, die mit dem Kind auch liturgisches Feiern realisieren - oder eben nicht. Auch dies ist eine weitreichende, das Leben von Menschen langfristig sehr beeinflussende Entscheidung. Ohne die Dimension von Feiern in den Liturgien der Kirchen läßt sich die Tiefendimension von Religiosität nur schwer erschließen. Nicht umsonst vollziehen wir in den liturgischen Feiern viele Symbol-handlungen.
Eine überzogene Verbalisierung und lehrhafte, belehrende Liturgie allein ist zum Aussterben verurteilt. Die mit vielen Symbolhandlungen und Gemeinschaftserlebnissen gestalteten Familiengottesdienste bekommen eine immer größere Anziehungskraft, die sich auch in der Gottesdienstteilnahme auswirkt. Diese Menschen kommen nicht wegen der „Sonntagspflicht", sondern weil sie zu begreifen begonnen ha-beh, daß ihnen in solchen Gottesdiensten etwas aufgeht, ihnen Gott nahekommt und sie dies mit ihren Wahrnehmungsmöglichkeiten auch entsprechend verstehen und als lebensrelevant einstufen können.
Während meiner Studienaufenthalte in Peru, Ekuador und Bolivien habe ich das für mich hochinteressante katechetische Modell „Cate-quesis familiar" (Familienkatechese) durch teilnehmende Beobachtung analysieren können. Ich höre schon Ihr möghches Gegenargument: Er redet von Lateinamerika, dort mag dies gehen, bei uns in Europa sind wir nicht in Lateinamerika, sondern „wir sind wir". Diesen Abwehrmechanismus kann ich Ihnen in diesem Fall zwar nicht nehmen, aber er ist nicht angebracht. Dieses interessante Konzept von Familienkatechese wird in mehreren Pfarrgemeinden im deutschsprachigen Raum bereits mit großen Hoffnungen und tatsächlichen positiven Veränderungen praktiziert:
Kern dieses katechetischen Weges ist es: Alle Eltern bereiten ihre eigenen Kinder zu Hause auf die Erstkommunion vor. Sie treffen sich zwei- bis dreiwöchentlich in Elterngruppen, in denen sie erlebnisorientiert zuerst selbst einen neuen Zugang zum christlichen Weg im Sinne des beschriebenen „Sinnüberschusses" wahrnehmen. Kommunionkatechese ist zunächst Elternbegleitung und Elternkatechese. Die ausgearbeiteten katechetischen Hilfen sind so transparent und leicht verstehbar, daß alle Eltern die entsprechenden Inhalte zu Hause mit den Kindern gemeinsam besprechen, gemeinsame Aufgaben machen und Konsequenzen für die eigene Familie ziehen können.
LERNEN VON LATEINAMERIKA
Erfahrungen in den Pfarrgemeinden Bahngen und Herbrechtingen, Diözese Rottenburg-Stuttgart, mit denen ich von meinem Lehrstuhl aus im Sinne des Theorie-Praxiszirkels intensiv zusammenarbeite, zeigen, daß viele Eltern einen neuen Zugang zum Glauben und auch eine neue Kommunikationsbasis mit ihren Kindern finden. Es gehen wieder mehr junge Eltern in die Gottesdienste, die oft gemeinsam von Eltern und Kindergruppen gestaltet werden. Konkrete Rückmeldungen von diesen Eltern, die vorher oft sehr distanziert zum Gemeindeleben waren, belegen eindeutige Veränderungen bis hin zu Bekehrungen für ein kontinuierliches Engagement in der Gemeinde.
Die Rückgabe der Katechese in die Familie ist eine grundlegende Option für die Gemeindebildung. Wenn wir uns weiterhin vorwiegend „nur" um die Kinder und Jugendlichen kümmern, hängt das kirchliche Engagement für diese Gruppen in der Luft. Die Kinder erleben mit ihren Tischmüttern zwar interessante Katechesen, die sie aber ihren Eltern meist nicht vermitteln können; sie bleiben in ihrer Familie dann weiterhin behindert für die eigene Glaubenspraxis.
In der ursprünglichen Form, für die ich langfristig auch im europäischen Kontext eintrete, ist es vorgesehen, daß die Kinder über die Katechese in der Familie hinaus in Kindergruppen zusammengeholt werden, die bereits von jugendlichen Gruppenleitern geleitet werden. Damit haben die Kinder außerhalb der Familie bereits ein zweites Standbein, die Jugendarbeit kann in solchen Gemeinden folglich aufblühen und die bange Frage, was kommt nach der intensiven Kommunionvorbereitung, muß gar nicht mehr gestellt werden, weil die Gruppen in der Regel weiter bestehen.
Für die Gemeinden ist eine Bekehrung nötig, wenn sie sich auf diesen intensiven, Gemeinde verändernden und intensivierenden Weg einlassen. In Guyaquil (Ekuador) erklärte mir der deutschsprachige Pater Longino Schmitt, daß er seine drei Großgemeinden in verschiedenen Gegenden über den Weg von Catequesis familiar aufgebaut habe und die sich zu sehr lebendigen Gemeinden entwickelt haben.
In Bolivien, in der Nähe von Cochabamba, konnte ich eine große Landgemeinde analysieren, die über diesen Weg der Familienkatechese aufgeblüht ist. In den benachbarten Gemeinden dagegen,' die diesen Weg nicht gehen, gibt es lediglich eine vorwiegend sakramentalisti-sche, kommunikationsarme Kirche mit wenig Zulauf.
ELTERN UNTERSTÜTZEN
Ich plädiere dafür, Eltern in ihren Bemühungen intensiv zu unterstützen, damit sie ihre Kinder selbstverständlich auch religiös erziehen. Eltern wollen in der Regel ja das Beste für ihre Kinder. Ohne solche Unterstützung von selten der Gemeinden ist es unfair, Eltern Vorwürfe zu machen. Viele Eltern sind interessierter und gutwilliger als zunächst anzunehmen ist.
Auch meine eigenen Erfahrungen als Begleiter von Familienkatechese in der Dompfarrei Sankt Martin in Rottenburg am Neckar zeigen mir, wie offen und interessiert Eltern innerhalb kurzer Zeit werden, wenn sie eine entsprechende aufbauende Begleitung und offene Atmosphäre erleben können.
Meines Erachtens ist im Bereich der religiösen Erziehung nicht Pessimismus angesagt. Angesagt ist für mich vielmehr eine klare Option für Familienkatechese. Meine Erfahrungen in diesem Bereich stimmen mich eher optimistisch.
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