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In Religion unterernhrt

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Die Erscheinungsformen einer zunehmenden Entfremdung der Katholiken vom aktiven religiösen Leben beschränken sich keineswegs auf Wien — das ist eines der Ergebnisse einer Untersuchung des Institutes für Kirchliche Sozialforschung. Dr. Franz Rohrhof er berichtet über diese Meinungsbefragung im, der Stadt Salzburg.

Österreichs Bevölkerung ist bekanntlich zu fast 90 Prozent katholisch. Dies klingt vielversprechend, doch spüren wir, daß die Praxis anders aussieht. Allerdings kann man sich auf Gefühle nicht immer verlassen, weshalb Wissenschaftler darangegangen sind, der religiösen Lage in der österreichischen Bevölkerung sehr nüchtern auf den Grund zu gehen. Mit Hilfe von Statistik, Lochmaschinen und Meinungsbefragungen.

Das Ergebnis einer solchen Untersuchung fand kürzlich in einem Bericht des Institutes für Kirchliche Sozialforschung in Wien seinen Niederschlag, über den Dr. Vasko-vics, Assistent an der Linzer Hochschule, vor dem Katholischen Bildungswerk in Salzburg referierte. Das wissenschaftliche Objekt dieser Untersuchung, die in der Stadt Salzburg durchgeführt wurde, war die Familie. Das Ganze wurde bescheiden als ein Versuch hingestellt, die tatsächlichen Einstellungen und Meinungen katholischer Eltern zu kirchlichen und religiösen Fragen und ihrer religiösen Praxis zu erfassen. 267 katholische Eltern mit schulpflichtigen Kindern wurden befragt, außerdem in Salzburg eine Kirchenbesuchszählung durchgeführt.

Die Untersuchung ging von der Annahme aus, daß die Familien jenen Raum darstellen, in dem „die Religiosität des Menschen in entscheidender Weise beeinflußt“ wird. Und als

Voraussetzung für einen solchen Einfluß müsse daher zuerst die Frage geklärt werden, wie denn die Eltern selbst zu Kirche und Religion stehen.

Von den befragten, wohlgemerkt katholischen Eltern besuchen 28 Prozent, also gut ein Viertel, regelmäßig den Gottesdienst. Da sich Wissenschaftler nie mit einer Zahl zufriedengeben, wurden auch diese 28 Prozent kritisch durchleuchtet. Mit dem Erggebnis, daß das regelmäßig in „meistens“ umzutaufen war. Was bedeutet, daß viele Eltern entweder entschuldigt der Kirche fernblieben oder aber dieses kirchliche Gebot nicht mehr so genau nehmen, sich dabei selbst aber als brave Kirchengänger betrachten. Ähnlich verhält es sich mit jenen 19 Prozent der befragten Eltern, die angaben, zwar nicht jeden Sonntag, aber doch mindestens einmal monatlich den Gottesdienst zu besuchen. Als reine Nicht-Kirchengänger, die also nicht einmal zu den großen Feiertagen in das Gotteshaus finden, erklärten sich dagegen nur 15 Prozent.

Zeigt sich schon hier eine lockere Einstellung zu einem kirchlichen Gebot, so wird diese durch die Ansichten zu gewissen Glaubenswahrheiten noch unterstrichen. Die befragten Eltern sollten sich zur Weltentstehung, zum Weiterleben nach dem Tode, zur Person Christi und zum Wahrheitsgehalt der Bibel äußern. Nur 20 bis 30 Prozent aller katholischen Eltern bejahten alle Fragen im Sinne der kirchlichen Lehre. Interessant, daß die „Welt als Schöpfung Gottes“ und die „Gottessohnschaft Jesu“ mehr Zustimmung fanden (rund 50 Prozent der Befragten) als das Weiterleben nach dem Tode und die Bibel als Gotteswort.

Wie autonom katholische Eltern ihre Religiosität betrachten, wird schließlich noch dadurch unterstrichen, daß drei Viertel aller Befragten die Meinung vertraten, man könne auch ohne Kirchgang religiös sein! Daß man trotzdem die Kirchenzugehörigkeit beibehält, wird meist mit „sozialer Anpassung“, zu einem geringen Teil auch „der Kinder wegen“ begründet.

„Der Kinder wegen“ ist man auch sonst bereit, kirchliche Normen zu beachten. Den einmaligen Akt einer kirchlichen Trauung ihrer Kinder halten 64 von 100 der befragten Eltern für unbedingt notwendig, 30 haben zumindest nichts dagegen. Anders verhält es sich schon mit der Frage, wie die katholischen Eltern über die vorehelichen Beziehungen ihrer Kinder denken. Etwa ein Drittel sprach sich grundsätzlich dagegen aus, die Hälfte hat keine Bedenken, wenn die „jungen Leute später heiraten“.

Die Möglichkeit einer Ehescheidung lehnen nur 16 Prozent der befragten Eltern grundsätzlich ab, 28 Prozent sind dafür. Die geringe Ablehnung der Ehescheidung wird möglicherweise dadurch bedingt, daß der einzelne in Extremfällen die Aufrechterhaltung der Ehegemeinschaft für nicht zumutbar hält.

Von den Kindern verlangen die meisten Eltern, wie erwähnt, noch mehr an Religion, als sie selbst zu halten bereit sind. Nicht nur, daß auf den Kirchgang der Kinder Wert gelegt wird. 60 Prozent aller befragten Eltern haben auch mit ihren Kindern, solange diese zur Schule gingen, gemeinsam gebetet. Ein hoher Prozentsatz, wenn man ihn dem religiösen Verhalten der Eltern selbst gegenüberstellt. In dieselbe Richtung weist, daß fast alle Eltern sich für den Religionsunterricht aus-sprachen> 17 Prozent allerdings mit der Einschränkung auf die Pflicht-schule. Es fehlte auch nicht an kritischen Bemerkungen, daß im Religionsunterricht nur dann ein Sinn gesehen wird, wenn er besser gestaltet werde.

Gerade das fast einstimmige Ja zum Religionsunterricht unterstreicht, daß viele Eltern die religiöse Erziehung gerne abschieben möchten. Wo eine persönliche Mitarbeit der Eltern erforderlich ist, läßt das Interesse stark nach. Aus diesem Grund sind religiöse Fragen ein Gesprächsstoff, der neben sexuellen Fragen und der Politik im Kreis der Familie am wenigsten zur Sprache kommt. Am häufigsten unterhält sich die Familie über Schule und Beruf, über Freunde des Kindes und über Sport und Film.

Aus den erhobenen Tatsachen zog Dr. Vaskovics in seinem Referat den Schluß, daß die meisten Kinder in ihrer Familie kein einheitliches „System“ von religiösen Werten,Normen und Verhaltensweisen vorfinden. Vielmehr werden gewisse Normen und Forderungen abgelehnt, anderen wird zugestimmt. Durch die Familie werden an die Kinder also religiöse Werte weitergegeben, die kein zusammenhängendes System in dem Sinn, wie es die Kirche wünscht, darstellen.

In den meisten der untersuchten elterlichen Milieus werden die Kinder daher nur „erlernen“, daß es (vielleicht) ein höheres Wesen gibt. Sie werden erlernen, daß man als Pflichtschüler in die Kirche gehen muß, dieses Verhalten jedoch mit der Religiosität im weiteren Sinn nicht viel zu tun hat. Die Kinder werden ferner feststellen, daß man in der Familie nur so lange gemeinsam betet, als die Kinder klein sind. Sie werden weiter beobachten können, daß die Eltern einmal in die Kirche gehen, ein andermal fernbleiben, obwohl sie darauf Wert legen, daß die Kinder den Gottesdienst besuchen. Kinder werden auch dahinterkommen, daß die Eltern selbst nicht beten, über religiöse Fragen selten sprechen, sie damit als unwesentlich abtun. Zudem sind die Ansichten der Eltern über Glaubenswahrheiten oft nicht mit der Lehre der Kirche identisch.

Nur wenige Kinder werden laut angeführter soziologischer Untersuchung in ein einheitliches religiöses Wert- und Normsystem eingeführt, ohne daß sie Widersprüche in den tatsächlichen Verhaltensformen und Einstellungen der Eltern zu kirchlich-religiösen Fragen entdecken müßten. Die Untersuchimg unterstreicht daher die schon bei früheren Erhebungen festgestellte Entwicklung, daß bei der Mehrzahl der Familien heute von einer „Um-kehrung des sozialen Einflusses“ des familiären Milieus gesprochen werden muß: Hat nämlich dieses familiäre Milieu religiöse Praxis früher einmal begünstigt, so hemmt es heute bereits die Verbreitung kirchlicher Werte und Normen.

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