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Der Orient lebt unter uns

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Auf Schritt und Tritt begegnen wir den farbigen Studenten. Wir sind sie im Straßenbild gewohnt. Was wissen wir aber von ihnen? Seien wir ehrlich — gar nichts. Wir können sie nicht einmal unterscheiden, woher sie kommen. „Irgendwo auf dem Balkan, hinten in der Türkei “, so hört man die Wiener reden. Wir meinen, sie seien alle durch die Hautfarbe, durch ihr schwarzes Haar verwandt, obwohl ein Libanese sich von einem Perser so unterscheidet wie etwa ein Engländer von einem Ungarn. Kurz gesagt, wir treffen sie auf der Straße, begegnen ihnen im Espresso, haben sie im Kino zum Nachbarn. Doch bleiben sie für uns gestikulierende, in Gruppen auftretende junge Leute, deren gutturale Laute uns fremd sind. Bedenken wir eines: Sie bestim men morgen das Gesicht Afrikas und Asiens. Im Auftrag der Hammer-Purgstall-Gesellschaft hat die Sozialwissenschaftliche Forschungsstelle am Institut für Soziologie der Universität Wien (Leitung Dozent Dr. Leopold Rosenmayr) eine soziologische Untersuchung der Situation der Nahost Studenten in Wien vorgenommen, die wir Bier auszugsweise wiedergeben.

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Auf Schritt und Tritt begegnen wir den farbigen Studenten. Wir sind sie im Straßenbild gewohnt. Was wissen wir aber von ihnen? Seien wir ehrlich — gar nichts. Wir können sie nicht einmal unterscheiden, woher sie kommen. „Irgendwo auf dem Balkan, hinten in der Türkei “, so hört man die Wiener reden. Wir meinen, sie seien alle durch die Hautfarbe, durch ihr schwarzes Haar verwandt, obwohl ein Libanese sich von einem Perser so unterscheidet wie etwa ein Engländer von einem Ungarn. Kurz gesagt, wir treffen sie auf der Straße, begegnen ihnen im Espresso, haben sie im Kino zum Nachbarn. Doch bleiben sie für uns gestikulierende, in Gruppen auftretende junge Leute, deren gutturale Laute uns fremd sind. Bedenken wir eines: Sie bestim men morgen das Gesicht Afrikas und Asiens. Im Auftrag der Hammer-Purgstall-Gesellschaft hat die Sozialwissenschaftliche Forschungsstelle am Institut für Soziologie der Universität Wien (Leitung Dozent Dr. Leopold Rosenmayr) eine soziologische Untersuchung der Situation der Nahost Studenten in Wien vorgenommen, die wir Bier auszugsweise wiedergeben.

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ZIELSETZUNG

Im Wintersemester 1956 57 waren an der Wiener Universität 3 37 Nahosthörer (zu den „Nahostländern“ zählt die österreichische Hoch- schulstatistik: Afghanistan, Bahrein-Insel, Gaza. Irak, Iran, Israel, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, ‘ Libanon, Maskat und Oman, Saudiarabien, Türkei, Vereinigte Arabische Republik Aegypten und Syrien ) inskribiert: ein Jahr später hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt: 808 Studenten kamen aus dem Nahen Osten — zum Großteil aus der Vereinigten Arabischen Republik (43 Prozent), viele auch aus dem Iran (21 Prozent).

Diese Zunahme darf in ihrer Bedeutung für Wien und Oesterreich nicht unterschätzt werden: Die jungen Nahoststudenten werden während ihres Aufenthaltes hier Eindrücke über Wien sammeln, und diese werden dann bei der Rückkehr in ihr Heimatland in verallgemeinerter

95 Prozent der befragten Nahoststudenten begannen ihr Studium in Wien, ohne vorher an einer ausländischen Universität studiert zu

Ihr Studium wird ihnen in der Regel (90 Prozent) von den Eltern oder nahen Verwandten bezahlt, verschwindend klein ist der Anteil jener, denen der Studienaufenthalt durch ein Stipendium ermöglicht wurde (6 von 160) und jener, die sich ihr Studium selbst finanzieren.’

Aufschlußreich ist die Antwort der Nahoststudenten auf die Frage, warum sie Wien zu ihrem Studienort gewählt hatten: Mehr als die Hälfte aller Befragten kam deshalb nach Wien, weil die Wiener Universität im allgemeinen oder die berühmte medizinische Fakultät sie anzog bzw. Wien als kulturelles Zentrum in ihrem Heimatland einen guten Ruf hatte. Etwa ein Drittel aller Befragten wählte diese Stadt deshalb, weil sie für sie finanziell besonders günstig ist, 13 Studenten - meistens selbst aus neutralen Ländern — zog die Neutralität Oesterreichs an; einige (13 Prozent) kamen, weil bereits Bekannte, Freunde oder Verwandte von ihnen hier waren, und ein Fünftel etwa hätte genau so gut an irgendeiner anderen europäischen Universität studieren können, zumindest scheinen sie vor ihrer Ankunft keinerlei persönliche Beziehungen zu Wien gehabt zu haben.

Interessant, daß fast alle befragten Nahoststudenten (140 von 160) nach Wien kamen und ihr Studium begannen, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen: Alle diese nahmen dann in Wien Kurse oder lernten hier die Sprache selbständig. Eigentlich sind es nur die Perser, die bereits in ihrem Heimatland Deutsch lernten. Wenig zu verwundern ist es daher auch, daß dann 80 Prozent aller Befragten angaben, daß sprachliche Schwierigkeiten ihr Studium beeinträchtigen.

Um ihre anderen Schwierigkeiten im Laufe des Studiums befragt, geben etwas weniger als die Hälfte an, keinerlei Studienschwierigkeiten zu haben. Mehr als die Hälfte (64 Prozent) findet es schwierig, mit der Inskription zurechtzukommen: sie könnten sich schwer verständigen, die Inskription koste ihnen zuviel Zeit, es sei ein schrecklicher „Papierkrieg", das Personal am Dekanat sei unfreundlich, und außerdem lehnten sich die meisten dagegen auf, dreifache Gebühren zu bezahlen.

Als weitere Schwierigkeit gibt etwa ein Drittel der Nahoststudenten an, daß in den Hörsälen und Laboratorien zuwenig Platz sei (nur bei Medizinern und

Form weitgehend ihr Urteil über Oesterreich — ja vielleicht sogar über Europa — beeinflussen.

Es wurde nun eine umfassende Analyse der Situation der derzeit in Oesterreich weilenden Nahoststudenten vorgenommen. An einer nach Herkunftsländern und Studienrichtungen geschichteten Stichprobengruppe aus der Gesamtpopulation aller Nahoststudenten in Wien, bestehend aus 160 männlichen ledigen Studierenden (das sind rund 20 Prozent der Gesamtpopulation).

Es soll an dieser Stelle noch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß unsere Untersuchung nur den Zweck hatte, einen Befund zu erheben auf Grund der Aussagen der befragten Nahoststudenten. Ob diese Aussagen aber, die Beschwerden den österreichischen Kollegen, dem Dekanatspersonal, den Hausfrauen usw. gegenüber auch objektiv gerechtfertigt sind, darüber kann unsere Untersuchung nicht Aufschluß geben.

Pharmazeuten), daß die Hörsäle unbequem seien, etwa ohne Mikrophon, daß es dort zu laut sei und überhaupt schwierig, die nötigen Studienbehelfe, wie Bücher z B., zu bekommen.

Als weiteres Problem wird von nicht ganz, einem Fünftel der Befragten angeführt, daß manche Professoren gegen Ausländer eingestellt seien und es auch Kollegen gäbe, die von Nichtösterreichern abrückten.

Mehr als die Hälfte aller Befragten ist entschlossen, sofort nach Beendigung ihres Studiums auf alle Fälle in ihre Heimat zurückzukehren, etwa 30 Prozent wollen nicht sofort und nur 9 Prozent möchten überhaupt hierbleiben.

WOHNUNG - KOST - KLIMA

Fast alle der Befragten (151 von 160) kamen nach Wien, ohne hier bereits eine Wohnung gesichert zu haben. Drei Viertel aller Ankom menden hatten bei der Wohnungssuche Schwierigkeiten. Diejenigen, welche erst im letzten Jahr nach Wien kamen, fanden es schwieriger, ein Zimmer aufzutreiben, als jene Studenten, welche schon vor ein paar Jahren nach Wien gekommen sind. Fast alle fanden jedoch (140 von 160) im Laufe des ersten Monats ein Zimmer.

Eine Frage nach der’Art der Wohnung ergibt, daß fast alle (88 Prozent) Befragten in einem Privatzimmer allein wohnen, nur wenige teilen ihr Zimmer mit einem Kollegen. Kein einziger der befragten Nahoststudenten wohnt in einem Studentenheim.

Die Miete, welche die Nahoststudenten für ihre Wohnung bezahlen, streut zwischen 200 und 700 S im Monat, mit einem Durchschnittswert von ungefähr 450 S. Rund drei Viertel aller Befragten finden ihre Miete hoch.

Auf die Frage nach.positiven und negativen Eigenschaften der Vermieter erwähnte mehr als die Hälfte aller Befragten rühmend die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ihrer Hausfrauen, kritisierten aber zu 20 Prozent deren „Neugierde“ und „Materialismus“. Etwa 25 Prozent konnten gar nichts Positives, etwa 45 Prozent gar nichts Negatives an ihren Vermietern feststellen.

Nur von 30 Prozent wurde das Wiener Klima als unangenehm bezeichnet. Während des Wiener Studienaufenthaltes war etwa die Hälfte aller bereits krank — wobei Grippe und Angina als die häufigsten Krankheiten aufscheinen.

FREIZEITGESTALTUNG

Eine Befragung der Nahoststudenten nach ihrer Betätigung in der Freizeit ergab, daß von den häufigsten kulturellen Kontakten, die sich einem in Wien Lebenden bieten, Kino, Tanz und Klub am häufigsten frequentiert werden.

Eine noch interessantere Tatsache ergibt sich, wenn wir die maximalen Besuchshäufigkeiten im letzten Monat genauer analysieren: Wir finden hier die überraschend hohen von: 28mal im Klub, 20mal im Kino, 12mal auf dem Sportplatz, lOmal beim Tanz; aber nur 8mal im Konzert, 6mal in der Oper, 5 mal im Gotteshaus, 4mal im Theater.

SOZIALKONTAKTE

Unsere Befragung ergab, daß die Nahoststudenten die Tendenz haben, am häufigsten mit ihren eigenen Landsleuten zusammenzukommen und mit diesen privaten Kontakt zu pflegen, der sich vor allem in ihrer Freizeit entwickelt (79 Prozent).

Eine wesentliche Rolle im Sozialkontakt scheint „der Freundin“ zuzukommen. 65 Prozent aller Befragten haben engen Kontakt mit einem Mädchen von hier und drei Viertel zumindest entfernten. Ein Großteil (etwa 50 Prozent) lernt die Dame beim Tanz oder im Klub kennen; ein Fünftel machte auf der Straße oder in den öffentlichen Parkanlagen Bekanntschaft und in nicht einmal 10 Prozent der Fälle fand das erste Zusammentreffen im Hörsaal statt.

Interessant ist die Tatsache, daß es rund 70 Prozent aller befragten Nahoststudenten grundsätzlich ablehnten, in Wien ihren Lebenspartner zu suchen. Trotzdem verbringen weit mehr als die Hälfte (53 Prozent) ihre Freizeit hauptsächlich;mit einem Mädchen von hier.

Der Kontakt mit österreichischen Kollegen hingegen wird nur von etwa einem Drittel gepflogen; wobei als Form des Kontaktes vor allem der Hörsaal angegeben wird; ein Großteil trifft sich auch im Klub und nur etwa ein Viertel hat mit Kollegen privaten Kontakt. Nach Meinung eines Großteils der Nahoststudenten verhalten sich die österreichischen Kollegen ihnen gegenüber indifferent oder entgegenkommend, nur ein Fünftel etwa behauptet, sie seien abweisend.

WIEN UND DIE WIENER

Fast alle befragten Nahoststudenten finden den Lebensstandard in Wien normal, die Lebenshaltungskosten verglichen zu ihrer Heimat hoch (120 von 160), verglichen zum übrigen Europa jedoch niedrig. Sie bezeichnen Wien als Weltstadt, zum Großteil (ein Drittel), weil sie es für einen kulturellen Mittelpunkt halten, für ein Kunst- und Musikzentrum, eine schöne, historische Stadt mit einer Universität; manche begründen ihre Meinung von Wiens Weltstadtcharakter durch dessen internationales Leben (internationale Touristen, Sitz der Atombehörde, viele Konferenzen) oder die Tatsache, daß es die Hauptstadt eines neutralen Landes ist.

Etwa drei Viertel aller Befragten erklärten, daß sie gerne in Wien seien, manche versicherten, daß sie Wien als ihre zweite Heimat an- sehen, sie sogar Heimweh nach Wien empfinden, wenn sie nicht hier sind. Dieses Wien, das die meisten lieben, entspricht aber zum Großteil nicht den Vorstellungen, die sie sich vorher davon machten. Ein Großteil war überrascht davon, wie veraltet und unmodern Wien sei, welch schlechte Wohnungen es hier gäbe — VAR-Studenten kritisierten den starken jüdischen Einflüß. Es gibt aber auch einen Teil (zehn Prozent), der Wien schöner fand als erwartet.

Was den meisten Befragten (50 Prozent) an Wien gefällt, das sind seine Baudenkmäler und Kunstwerke einerseits und die Parks und Gärten anderseits, die immer wieder hervorgehoben werden.

Abschließend gibt die Untersuchung einige Vorschläge zur praktischen Auswertung. Es seien dies vor allen Dingen vier Punkte: Sprachkurse und obligatorische Sprachprüfungen, die Notwendigkeit eines Wohnungsvermittlungsbüros, eines Studentenrestaurants (das auf religiöse Essensvorschriften Rücksicht nimmt) und die Gründung eines Klubs für Nahoststudenten, der dem Kontaktmangel Abhilfe schaffen würde.

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