6854914-1977_11_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Österreicherin ist traditionsgebunden…

Werbung
Werbung
Werbung

Unter dem Titel „Die Österreicherin ist traditionsgebunden”, der mir bereits Magenbeschwerden verursacht ob seiner Demagogie, denn im Text steht, daß nur „zwei Drittel der befragten Frauen die Österreicherin als eher” (eher!) „konservativ und traditionsgebunden” charakterisieren, sie ist es also nicht, sie wird nur von einer Anzahl befragter Frauen als eher traditionsgebunden charakterisiert - unter diesem Titel wird eine „psychologisch- -empirische Untersuchung über Selbstbild und Rollenverständnis” (o Magenschmerz, laß nach) „der Frau” (dieser Singular ist gleichfalls unzulässig, denn es gibt zwar „das Perlhuhn” und „den Eichelhäher”, aber es gibt nur Frauen oder eine Frau, und nur diese eine, einzelne darf man als „die Frau” bezeichnen) „in Österreich” ausgewertet.

Jäh, war’ ich gern bei so einer psy- chologischrempirischen Untersuchung dabei! ich stelle mir die Bäuerinnen und Hilfsarbeiterinnen und Nonnen und Straßenbahn- schaffnerinnen 1 und Krankenschwestern und Serviererinnen und Klofrauen vor-sie alle gehören zum repräsentativen Querschnitt - oder nicht? -, und ich höre beim Lesen förmlich mit, was sie auf die Fragen antworten und was dann auf psychologisch-empirisch formuliert ist wie folgt: „In erster Linie befürchtet man eine Vertiefung des Konflikts zwischen den Geschlechtern” (sagt die Bäuerin), „und den Verlust der informellen Macht” (sagt die Serviererin), „die die Frau bei der traditionellen Rollenverteilung über den Mann hatte” (sagt die Hilfsarbeiterin). „Man sei umschwärmt, verwöhnt und umsorgt worden” (sagt die Klofrau), allerdings nur in adeligen und bürgerlichen Kreisen … warum befürchtet also „die Frau” den Verlust dessen, was sie nicht hatte?

Ich zitiere weiter; lassen Sie sich’s nicht verdrießen - es lohnt sich.

„Die größten Divergenzen in den Wunschvorstellungen von der Rolle der Frau bestehen zwischen jungen berufstätigen Frauen aus städtischem Milieu und älteren, nicht berufstätigen Frauen aus ländlichem Milieu. Die erste Gruppe ist der Meinung, daß eine Frau jedenfalls in der Lage sein sollte, ihr Leben selbst zu formen, ohne einen Mann im Hintergrund nötig zu haben. Eine solide Schul- und Berufsausbildung erscheinen als unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung eines ad äquaten Selbstbewußtseins.” Haben die jungen städtischen Ladenmädchen und Tellerwäscherinnen

„adäquat” und „unabdingbar” gesagt? Oder hat man sie vorsorglich gleich rhetorisch gefragt, ob ihnen die Berufsausbildung als eine unabdingbare Voraussetzung erscheint? Und welche berufstätige junge Frau außer den Fragetanten der einschlägigen Institute führt ein adäquates Selbstbewußtsein im empirisch-soziologischen Mund?

Hier wird protokolliert, was in dieser Form nie spontan gesagt •worden und auch wohl kaum präzise gemeint worden sein kann.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wurde die Antwort durch rhetorische Fragen in den Mund gelegt - dann ist das Ganze unfair. Oder man hat simple, primitive Äußerungen in das Demoskopenchine- sisch übersetzt - dann ist das Ganze unfair. (Die böswillige Unterstellung, man könnte nur vier bis sieben junge Universitäts-Assistentinnen befragt haben, schließe ich ausdrücklich aus.)

Außerdem tät ich gern wissen, wem, außer denen, die davon leben, Studien solcher Art nützen. Wer, außer mir, hat etwas von der folgenden lichtvollen Aufschlüsselung?

Die Gründe für die Berufstätigkeit sind ,Jur 30 Prozent das nicht ausreichende Einkommen des Mannes, 29 Prozent sind an der Arbeit selbst interessiert”, macht 59 Prozent, ,,25 Prozent arbeiten wegen des sozialen Kontaktes”, macht 84 Prozent, ,je 18 Prozent müssen sich selbst erhalten bzw. finden die Hausarbeit zu eintönig”, macht 120 Prozent, „17 Prozent möchten finanziell unabhängig sein”, macht 137 Prozent, ,Je 16 Prozent möchten den Anschluß an das Berufsleben nicht verlieren bzw. gaben keine Stellungnahme ab”, macht 169 Prozent, „9 Prozent glauben, daß sie durch die Berufstätigkeit mehr Sozialprestige haben”, macht

178 Prozent, „und 8 Prozent sind der Meinung, daß eine moderne Frau berufstätig sein soll”.

Eine 186prozentige Lösung des Frauenproblems!

Ich hätte mich das in meiner äußersten satirischen Verwegenheit nie getraut!

Aber jetzt traue ich mich.

80 Prozent der befragten Fahrdienstleiter wollten an einen größeren Bahnhof versetzt werden, 63 Prozent waren mit ihrem Posten zufrieden, 27 Prozent hätten einen kleineren Bahnhof vorgezogen, 18 Prozent gaben keine Stellungnahme ab.

93 Prozent der befragten Patienten wären lieber gesund als krank, 47 Prozent zogen die Existenz im Krankenhaus, wo sie betreut wurden und nicht arbeiten mußten, dem Leben vor der Erkrankung vor.

88 Prozent der befragten Säuglinge zogen die Mutterbrust, 56 Prozent zogen die Flasche vor. (Eine Aufschlüsselung der Saugge- wohnheiten-Ziffem in männliche und weibliche, ehelich und unehelich geborene, in städtischer und ländlicher Umgebung aufgewachsene Säuglinge, auch im Hinblick auf den Status der Eltern, ist in Arbeit. Bereits jetzt kann vorweggenommen werden, daß die überwiegende Mehrzahl der Säuglinge aus der Ehe zweier Katholiken die Flasche vorzieht.)

99 Prozent der Nichtbefragten hielten empirisch-soziologisch-psychologische Studien für sinnlos, 10 Prozent hielten sie für wichtig, 71 Prozent gaben keine Stellungnahme ab.

(Aus: „Der exakte Schwindel” oder „Der Untergang des Abendlandes durch Zahlen und Ziffern”, von Hans Weigel, Styria-Verlag, Graz- Wier^Köln 1977, 147 Seiten,

öS 148,-.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung