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Poker mit den Wahlprognosen

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Wer in den letzten Tagen und Wochen Zeitungen und Magazine zur Hand genommen hat, wurde mit einer Unmenge von einander scheinbar widersprechenden Aussagen über die Parteienpräferenzen der Oster-reicher konfrontiert.

Da meldet das Institut X 39 Prozent für die ÖVP und 45 Prozent für die SPÖ, das Institut Y hingegen 41 zu 47 Prozent; Zentralsekretär A vermutet eher 42 zu 48 Prozent, während Generalsekretär B darauf verweist, daß der Abstand zwischen den beiden Großparteien auf nur drei Prozent geschrumpft sei — von den Werten, die für die FPÖ, die Grünen und Alternativen in Umlauf sind, ganz zu schweigen.

Angesichts dieses Zahlenwirrwarrs fragt sich der Leser verständlicherweise, ob es sich bei

der Meinungsforschung überhaupt um eine seriöse Wissenschaft handle, ob nicht jeder die Daten bekommen könnte, die er gerne hätte.

Versuchen wir also, etwas Licht in die Welt der (veröffentlichten) Meinungsforschung zu bringen und sehen uns an, was diese — und andere — Zahlen wirklich aussagen (können).

Zunächst eine banale Feststellung: Auch Meinungsforscher können irren. Sind sie ehrlich (und das sind die meisten), geben sie das auch zu und verweisen darauf, daß ihre Zahlen mit einer gewissen, statistisch faßbaren Wahrscheinlichkeit auch falsch sein können. „Ausreißer", wie es im Fachjargon heißt, sind eben möglich; und selbst wenn die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist, besitzt niemand eine Garantie, daß nicht gerade seine Studie unter die ominösen fünf Prozent der echten Fehler fällt.

Zudem sind die ermittelten Werte nie auf Zehntel oder Hundertstel von Prozenten genau, sondern fallen - rein statistisch betr-achtet — in bestimmte Schwankungsbreiten. Diese hängen sowohl von der Zahl der befragten Personen (Stichprobengröße) wie auch von der Höhe des jeweiligen Prozentsatzes ab.

Kurzum: Befrage ich 500 Personen (siehe Tabelle), von denen drei Prozent eine Präferenz für die Partei X äußern, so liegt der wahre Wert ungefähr zwischen eineinhalb und viereinhalb Prozent. Sprechen sich bei 2000 Befragten 50 Prozent für die Partei Y aus, so schwankt deren „wahrer Wert" zwischen 48 und 52 Prozent.

Wie wir wissen, kann aber ein halbes Prozent über den Einzug ins Parlament entscheiden (Erreichen eines Grundmandates), und zwischen 48 und 52 Prozent liegen bekanntlich ganze Regierungswelten.

Andere Probleme ergeben sich aus der Forschungspraxis: So ist in den letzten Jahren die Anzahl jener Menschen gewachsen, die angeben, noch nicht sicher zu sein, welche Partei sie am Wahltag wählen wollen. Derzeit liegt der

Anteil dieser „Nicht-Deklarier-ten" bei etwa einem Viertel bis einem Drittel der Befragten.

In dieser (sehr) großen Gruppe befinden sich aber nicht nur „wirklich" Unentschlossene, zu ihr gehören auch viele, die sich bereits ihr Urteil gebildet haben.

Vergleich von tatsächlichem Wahlverhalten zu geäußerten Parteipräferenzen gewonnen haben, alle diese Rechenvorgänge sind aber mit einer gewissen Unsicherheit behaftet:

Erstens ändert sich die Zusammensetzung der Nicht-Deklarier-

aber die Partei ihrer Wahl nicht nennen wollen.

Würde man nur die Rohdaten rechnen, also nur die Prozentsätze jener, die sich offen für eine Partei deklarieren, erhielte man offenkundig ein verzerrtes Bild. Andererseits kann man die „Unentschlossenen" und „Verschwiegenen" jedoch nicht einfach anteilsmäßig den „Deklarierten" zuschlagen, da sie sich eben nicht gleichmäßig auf die Parteien verteilen.

Zwar verwenden alle Meinungsforschungsinstitute „Umrechnungsschlüssel", die sie aus langjähriger Erfahrung, aus zusätzlichen Fragen und aus dem

ten oft von Monat zu Monat -manche von ihnen deklarieren sich, andere werden schwankend. Zweitens gibt es eben nur für traditionelle Parteien Erfahrungswerte: Wie potentielle Grüne wirklich wählen werden, weiß heute niemand.

Seriöse Meinungsforschung kann durchaus interessante Ergebnisse liefern, insbesondere, wenn man sich dabei nicht auf wige Fragen beschränkt, sondern eine Problemstellung ausführlich zu erheben versucht, wenn man in regelmäßigen Abständen bestimmte Fragen immer wieder stellt („Fieberkurve" einer Partei oder eines Themas) und - vor allem - wenn man sich der Grenzen seines Instruments bewußt ist.

Unzulässig und eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit wäre es jedenfalls, wenn man (beispielsweise) zwei Monate vor einer Wahl 500 oder 800 Leute befragt und die Ergebnisse dann nach dem Motto: 46.3 zu 43,7 zu 5,2 zu 3,8 und 1,0 Prozent den staunenden Wählern präsentiert.

Abgesehen davon, daß hier eine Genauigkeit vorgetäuscht wird, die keinesfalls gegeben ist, darf man solche Ergebnisse auch nicht für Prognosen über den Wahlausgang heranziehen. Aus einer derartigen - vielleicht sogar nur ein-mahg erhobenen - Datenbasis ein Wahlresultat vorhersagen zu wollen, ist ebenso wissenschaftlich wie die Kaffeesud-Deuterei der Anna-Tanf.

Leider werden die Leser solcher Umfragen nur selten über diese Probleme informiert. Manche Politiker sind der Faszination der Zahlenspiele ebenso erlegen wie viele Journalisten. Tatsächlich läßt sich aber — und das muß man wissen - mit der gezielten Veröffentlichung von Umfragedaten gut (aber nicht gute) Politik betreiben: Man kann die eigenen Anhänger mobilisieren, den Gegner als Bedrohung oder als ohnehin schon Geschlagenen darstellen.

Beliebtes Spielmaterial

Und es lassen sich auf diese Weise politische Gruppen massenmedial aufbauen — etwa: „Wenn so viele dafür sind, warum nicht auch ich?" — oder zu unbedeutenden Randerscheinungen abqualifizieren.

Darüber hinaus ist „die neueste Meinungsumfrage" immer für eine Meldung in den Medien gut: Fällt einer Redaktion sonst überhaupt nichts mehr ein, so läßt sich damit noch immer eine Seite oder eine Kommentarspalte füllen; und hat ein Politiker einmal gar nichts mehr zu sagen, kann er „seinem" Journalisten zumindest eine „brandheiße" Zahl ins Ohr flüstern.

Der Autor ist Sozialforscher und Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Graz.

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