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Trickkiste der Sexpropheten

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„Basta“ und „Wiener“ fühlen den Österreichern in Sachen Sex den Puls: Was da wissenschaftlich abgesichert erscheint, ist letztlich reine Manipulation.

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„Basta“ und „Wiener“ fühlen den Österreichern in Sachen Sex den Puls: Was da wissenschaftlich abgesichert erscheint, ist letztlich reine Manipulation.

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Meinungsumfragen sind fixer Bestandteil des modernen Lebens. Sie erscheinen als demokratische Abstimmung in Permanenz. Viele Entscheidungsträger scheinen sich nach dem Willen des Volkes zu richten unter dem Motto: Was die Mehrheit tut und will, kann doch nicht falsch sein.

Nach Mehrheitsmeinungen richtet sich aber auch der kleine Mann. Liege ich richtig, wenn so viele ganz anders sind als ich? Wie leicht ist man verunsichert, wenn man sich als Außenseiter fühlt.

Mit dieser Reaktion rechnen die Gesellschaftsveränderer - und setzen gezielt das Instrument der Umfragen für ihre Zwecke ein. Die sexuelle Liberalisierung ist auf einer Woge solcher Umfragen geritten, die uns alle vor Augen führen sollten, wie freizügig unser Verhalten ohnedies schon sei. Wie oft dabei Manipulationen im Spiel sind, zeigen Umfragen der Magazine „Basta“ und „Wiener“ vom März 1988:

Dem „Wiener“ geht es um das Thema „Seitensprung“. Wie steht der Österreicher dazu? Das Ergebnis war für Sex-Fans enttäuschend: Nur fünf Prozent finden ihn „ok“. 60 Prozent der Befragten lehnen ihn ab.

Der „Wiener“ enttäuscht:„... von den Problemen des Promisken spüren, Herr und Frau Österreicher noch wenig. Sie sind noch nicht soweit...“

Klar, daß man solches nicht gleich auf den ersten Seitenfies Berichts bringt, sondern erst auf Seite drei. Was war aber unter diesen ernüchternden Umständen näherliegend, als eine andere Tabelle in die Auslage zu stellen? „Geht man heute seltener fremd als vor fünf oder sechs Jahren?“, wollte der „Wiener“ erfahren.

Die Antworten sind eher bedeutungslos: „gleich oft“ - 55 Prozent, „seltener“ — 25 Prozent und „öfter“ - 19 Prozent. Genaugenommen bedeutet das: Niemand weiß so recht, wie sich die Österreicher im allgemeinen verhalten — und nach dem eigenen Tun wurde man ja nicht gefragt. Und so gibt man halt eine Meinung ab — um dem Fragesteller eine Freude zu machen.

Was macht aber der „Wiener“ aus dieser Bedeutungslosigkeit? „Mehr als die Hälfte der Österreicher geht nicht öfter und nicht seltener fremd als vor sechs Jahren. Nur jeder vierte Bürger denkt an die Zügelung seiner Triebe. Jeder fünfte dagegen will noch einen Zahn zulegen.“

Da wird plötzlich eine Meinung über das allgemeine Verhalten tapfer so umgedeutet, als hätte man die Personen nach ihrem eigenen Tun befragt. Man beachte auch die Verteilung der wertenden Worte: Mit dem abwertenden „nur“ werden die immerhin 25 Prozent bedacht, die von weniger Seitensprüngen reden. Die nur 19 Prozent mit gegenteiliger Meinung werden aufgeblasen: Sie legen „einen Zahn zu“ - Fortschritt, bravo!

„Insgesamt bleibt das ganze aber doch eine matte Sache. Also wird der Herausgeber eines Kontaktmagazins in den Zeugenstand gerufen. Dank seiner Sachkenntnis hätte sich der „Wiener“ eigentlich die ganze teure Befragung sparen können, denn der zitierte Experte genießt „in Österreich das Privileg des tiefsten Einblickes in die privaten Bedürfnisse der Leute ...“

Das wird auch gleich zahlenmäßig untermauert: Täglich erreichen den Fachmann 1000 Leserbriefe! Da die Post Briefe nur an Werktagen zustellt, sind das im Jahr immerhin rund 260.000 Informationen über Sexualnöte. Da müßte sich ja im letzten Jahrzehnt bei dem Herrn fast jeder zweite Österreicher im zeugungsfähigen Alter das Herz ausgeschüttet haben!

Was ist nun die Erkenntnis dieser umfassendsten Sexualdokumentation Österreichs? „Der Österreicher will die Liebe zu viert! Er tritt mit dem Partner zum Seitensprung an...“ Die Botschaft ist heraus: Einträchtig, Hand in Hand mit dem Partner gehen Herr und Frau Österreicher ans lustvolle Werk außerehelicher Beziehungen.

Schön verpackt in eine empirische Erhebung wird da (durch nichts begründete) Meinung gemacht. Und, um die Manipulation abzurunden, wird auch noch der „Fernseh-Pfarrer“ Berthold Mayer bemüht:

„Einen punktuellen Seitensprung sollte man gar nicht unbedingt beichten. Wenn es öfter passiert, sollte man mit dem Partner sprechen. Das ist aber nicht der offizielle Kirchenstandpunkt“, soll Mayer gesagt haben.

Wiederum ein kleiner Trick: Was in der Befragung eindeutig als Eingeständnis an den Partner formuliert worden war (dem Partner beichten), erscheint dem Leser im Mund des Priesters — wenn er es wirklich so gesagt hat — als Aussage zum Sakrament. Die Botschaft: Ein Seitensprung ist halb so schlimm, kein Grund jedenfalls, beichten zu gehen!

Wissenschaftlich verpackte, mit Tabellen aufgema-scherlte Manipulation betrifft auch „Basta“, allerdings zum Thema „Pornographie“, mit Meinungsumfrage, versteht sich von selbst.

Im Untertitel des Beitrags wird Österreich als ein Volk von Voyeuren entlarvt: „Zwei Drittel schauen Pornofilme an. Uber 30 Prozent wären selbst gern Porno-Darsteller. Eine satte Mehrheit ist gegen das Verbot.“ Das auch noch, wo unser Image derzeit ohnedies schon zur Genüge so angekratzt ist!

Wie sieht das nun im einzelnen aus? Rund 80 Prozent seien gegen eine Zensur, wurde erhoben.

Mag sein. Aber wie viele haben sich bei dieser Antwort gedacht, daß Zensurieren ohnedies nichts nützt?

Aber weiter: Zwei Drittel Porno-Konsumenten- das ist beachtlich! Doch auch hier ist Vorsicht geboten. 69 Prozent der Männer geben an, Einschlägiges schon gesehen zu haben. Das kommt mir zwar viel vor (wie viele Befragte werden es rundweg abgelehnt haben, sich überhaupt zu diesem Thema zu äußern?), aber lassen wir es gelten. Zwei Drittel der Männer ist nicht dasselbe wie zwei Drittel der Bevölkerung.

Frauen sind an Pornographie weniger interessiert. Offenbar so wenig, daß „Basta“ ihre Zahl unter den Tisch fallen läßt.

Dafür aber liest man, es gebe Pornovideos „in vielen Haushalten: 56 Prozent der Konsumenten spechtein gemeinsam mit dem Partner...“ Auch das noch: Jeder zweite österreichische Haushalt in der Rolle des Voyeurs!

Keine Sorge, liebe Leser! Die 56 Prozent beziehen sich nur auf jene Frauen, die Pornographisches konsumieren. Und weil diese noch relativ wenig zahlreich sind, ergibt eine Berechnung aufgrund der angeführten Zahlen, daß maximal 15 Prozent der Paare einschlägige Videos ansehen. Ist auch noch viel. Aber immerhin...

Und ähnlich verhält es sich mit der Unterstellung, 30 Prozent wahren selbst gerne Porno-Darsteller. Das wären in Österreich immerhin zwei Millionen unent-deckte Video-Stars! Auch hier wird mit der vorhandenen Information Schindluder getrieben:

„Basta“ hatte ein Institut beauftragt, mit Meßgeräten die Reaktion von Menschen auf die Darbietung pornographischer Videos zu erfassen. Eine breite Palette von der einfachen Zärtlichkeit bis zur raffiniertesten Perversion wurde den Versuchspersonen vorgesetzt.

Ja — und von diesen Testpersonen waren dann 30 Prozent bereit, eventuell auch als Darsteller für sanfte Pornographie zu fungieren. Kein Mensch wird annehmen, daß diese Testgruppe repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ist! Für „Basta“ aber heißt es einfach: „30 Prozent wären selbst gern Porno-Darsteller“ -und unterschiebt dies dem Durchschnitt.

So entstehen die „wissenschaftlich fundierten“ Aussagen. Es wäre nicht der Mühe wert, sich mit diesem Unfug zu beschäftigen, würde er einem nicht immer wieder in Diskussionen entgegengehalten.

Da ist es gut zu wissen, daß hinter vielen Aussagen zweifelhafte Zahlenakrobatik, nicht repräsentative Stichproben und viel Manipulation steckt. Aus dieser Erfolgmischung bestand auch schon der Kinsey-Report, gewissermaßen der Großvater einschlägiger Untersuchungen.

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