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Geheime Verführer?

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„Die verhältnismäßig ruhige Entwicklung der österreichischen Preise hielt auch (!) zu Jahresmitte an ... Der Auftrieb der Baupreise ist etwas schwächer geworden, doch war der Preisindex für Wohnbauten im zweiten Quartal noch beträchtlich höher als 1972 (einschließlich Mehrwertsteuer 19 Prozent).“ Solche Sätze, wie sie sich immer wieder in den Monatsberichten des Osterreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (ÖIW) finden, rufen Kritiker auf den Plan. Sie beschuldigen das Institut, der jeweiligen Regierungspresse Schlagzeilen zu liefern, die ein falsches Bild vermitteln. Unter Berufung auf die wissenschaftliche Autorität des ÖIW ließen sich darauf Titel konstruieren, wie: „Ruhige Preisentwicklung. Auftrieb der Baupreise schwächer.“ Hinter solcher Glamour-Fassade könnte man die weit weniger schönen Fakten unauffällig verschwinden lassen. Die Berichte seien nichts als geheime Verführer zur Bejahung der Regierungspolitik.

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„Die verhältnismäßig ruhige Entwicklung der österreichischen Preise hielt auch (!) zu Jahresmitte an ... Der Auftrieb der Baupreise ist etwas schwächer geworden, doch war der Preisindex für Wohnbauten im zweiten Quartal noch beträchtlich höher als 1972 (einschließlich Mehrwertsteuer 19 Prozent).“ Solche Sätze, wie sie sich immer wieder in den Monatsberichten des Osterreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (ÖIW) finden, rufen Kritiker auf den Plan. Sie beschuldigen das Institut, der jeweiligen Regierungspresse Schlagzeilen zu liefern, die ein falsches Bild vermitteln. Unter Berufung auf die wissenschaftliche Autorität des ÖIW ließen sich darauf Titel konstruieren, wie: „Ruhige Preisentwicklung. Auftrieb der Baupreise schwächer.“ Hinter solcher Glamour-Fassade könnte man die weit weniger schönen Fakten unauffällig verschwinden lassen. Die Berichte seien nichts als geheime Verführer zur Bejahung der Regierungspolitik.

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Kann man denn wirklich bereits von einer ruhigen Preisentwicklung sprechen, bloß weil die exorbitante Inflationsrate von 8,1 Prozent zu Jahresbeginn auf „nur“ 7,2 Prozent im Juni gesunken ist? Ist es nicht irreführend, den Akzent auf die Ab-schwächung des Auftriebs der Baupreise zu setzen und dann hinterdrein in einem unauffälligen Klammersatz, der leicht dem Rotstift des Redakteurs zum Opfer fallen kann, die deprimierende Tatsache eines 19prozentigen Anstiegs der Wohnbaupreise zu erwähnen — eines Anstiegs übrigens, der praktisch zur Gänze „hausgemacht“ ist?

Verteidiger des Instituts argumentieren, daß dieses nicht nur beschönigt, sondern auch, wenngleich verklausuliert, Kritik an der Regierungspolitik übt. Dafür bietet der zitierte Julibericht gleichfalls Muster. So heißt es an einer Stelle:

„Die bisherigen binnen- und außenwirtschaftlichen Dämpfungsmaßnahmen haben das Wachstum der heimischen Wirtschaft kaum beeinträchtigt und den Konjunktur-auftriefo nicht so weit gedämpft, wie es stabilitätspolitische Erwägungen nahegelegt hätten.“

An sich ein harmloser Satz. Er wird allerdings brisant, wenn man ihn mit einem anderen konfrontiert, der an einer ganz anderen Stelle des Berichts versteckt ist und Isoliert genommen genau so harmlos ist. Dieser andere Satz sagt über die Wirtschaftspolitik:

„Seit Herbst 1972 bemüht sie sich auf verschiedene Weise, dem Preis-und Kostenauftrieb und der Kon-junkturüberhitzung entgegenzuwirken. Seit Jahresbeginn wird auch die Wechselkurspolitik restriktiv eingesetzt... der Exportschilling (wurde) gegenüber den westeuropäischen Handelspartnern zwischen Jahresbeginn und der ersten Julihälfte de facto um 6,5 Prozent aufgewertet.“

Der flüchtige Leser — und das sind die meisten — liest hier nur den ernergischen Kampf gegen die Inflation heraus und weiß sich in besten Händen. Erst die Synopsis mit dem anderen Satze zeigt das Ungenügen der Stabilisierungspolitik, ihre möglicherweise verfehlte Stoßrichtung und reizt zur Frage, wozu wir eigentlich die „Krot“ der Exportverteuerung gefressen haben. Könnte das nicht — so die Kritiker — vom ÖIW deutlicher ausgesprochen werden, um den Leser konkreter zu informieren?

Welcher Seite soll man recht geben? Sicherlich muß das ÖIW sachlich bleiben, aber ist Euphemie nicht ebenso unsachlich wie Polemik? Wo liegt im Einzelfall die Grenze auf der einen oder der anderen Seite, welche Kriterien gibt es dafür, wer entscheidet, ob die Grenze überschritten wurde oder ob der Bericht zu nahe an der einen oder an der anderen Grenze liegt?

Nun, die ganze Prognostik, wie sie heute gehandhabt wird, ist noch reichlich problematisch und die Zahl der Fehlprognosen ist — beileibe nicht nur in Österreich — sehr hoch. Nicht nur daß das Datenmaterial meist keine eindeutigen Schlußfolgerungen gestattet, fließen natürlich in jede Prognose Intentionen ein — und welcher Art diese in einem Institut sind, das in hohem Maß von Regierungssubventionen abhängig ist, läßt sich denken.

Nicht daß irgend etwas verfälscht würde, aber man kann die gleichen Fakten verschieden kommentieren und selbst bei eindeutigen Kommentaren noch verschiedenes durch entsprechende Formulierungen suggerieren. Man kann auch eines oder das andere auf Wunsch diverser Stellen, die den monatlichen Kommentar vor seiner Publikation zu Gesicht bekommen, unter den Tisch fallen lassen.

Aber wie könnte das, was so manchen Kritikern mißfällt, vermieden werden? Etwa durch einen autonomen Status für das ÖIW oder gar durch dessen Verwandlung in ein quasi „Hochschulinstitut“? Garantiert aber im Zeitalter der Manipulation und Unterwanderung die Autonomie tatsächlich noch Unabhängigkeit und Objektivität?

Vielleicht auch sollte man den Ball an die Kritiker zurückspielen, ob sie nun Politiker oder Journalisten von jeweils der Couleur sind, der die Institutsberichte gerade nicht in den Kram passen. Wer anders als sie hat denn das ÖIW auf ein

Podest gehoben, es mit einer Gloriole von unparteiischer und unfehlbarer Wissenschaftlichkeit umgeben? Beschränkten sich die Zeitungen nicht allmonatlich darauf, kommentarlose Exzerpte aus den Monatsberichten zu bringen, diese höchstens gedankenlos nach plakativen Schlagzeilen für die Titelge-bung abzusuchen, sondern setzten sie sich (was freilich mehr Arbeit ist) mit dem Inhalt kritisch auseinander, dann würde — wie immer die organisatorische Konstruktion des ÖIW ist — manche Gefälligkeitsformulierung unterbleiben, die heute unbemerkt einfließen kann.

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