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70 Prozent der Österreicher verstehen nicht die Kurznachrichten im Radio. Sprachwissenschafter untersuchten nun die Situation im österreichischen Medienalltag.

„Es wird sicherlich nur ein Bruchteil vom Gesagten wirklich von den Leuten verstanden. Einerseits aus — gewisser Beschränktheit — ah — überhaupt von der Komplexität der Materie her — daß das vielleicht eher a spanisches Dorf is. Oder auf der anderen Seite — von der Art der Präsentation. — Daß also — gewisse Dinge — ein hohes Maß an Konzentration erfordern“ (Interview mit Mittelschicht-Mann, etwa 30 Jahre alt).

„I versteh jetzt irgendwas net. Wann i was net versteh, fang i zum Denken an — was kann des heißen? Wann i jetzt zum Denken an-fang - versteh'i 's nächste wieder net. Jetzt krieg l scho amal an Teil net mit“ (Interview mit Unterschicht-Mann, etwa 30 Jahre alt).

Beide Interviewpartner äußern ihre Schwierigkeiten den Nachrichten gegenüber — jenen Informationen, die — von der Absicht des Gesetzgebers und der Rundfunkanstalt her — jedermann und jederfrau verständlich sein sollten. Der erste Interviewpartner bezieht sich unter anderem auf die schwierigen Inhalte und — daraus folgend — die komplizierte Form, die zur Darstellung solcher Materien dient. Das hohe Maß an Konzentration, das notwendig wäre, entspricht nicht der Situation eines Rundfunkhörers, denn Nachrichtenhören ist eher — wie aus unserer Untersuchung hervorgeht — eine Nebenbeschäftigung, eine Berieselung. Man ist schon beruhigt, wenn die Morgennachrichten bekanntgeben, daß die nähere und nächste Umwelt noch steht, alles andere ist nicht mehr so wichtig.

Was ist also die Lösung? Weniger Inhalte? Andere Inhalte? Eine andere Sprache? Andere Präsentationsformen? Der zweite hier zitierte Interviewpartner (von 50 zwei- bis dreistündigen Tiefeninterviews) beschreibt den Verste-hensprozeß recht plastisch—während er noch versucht, eine Informationsmenge zu entschlüsseln, wird er schon mit der nächsten konfrontiert — und scheitert letztlich hoffnungslos. Wiederum die Frage: Was tun? Liegt es hier an der mangelnden akademischen Bildung oder am Text?

Eine Untersuchung am Institut für Angewandte Sprachwissenschaft, Universität Wien (Lutz/ Wodak: Informationen für Informierte, Wien, Akademie der Wissenschaften 1986), bestätigt jedoch: diese zwei Meinungen sind keineswegs Einzelfälle. 70 Prozent der Hörer verstehen die Kurznachrichten nicht. Dabei sind Radionachrichten die wichtigste Informationsquelle der Österreicher - noch vor der auflagenstärksten Zeitung. Diese Untersuchung hat sich nicht nur auf Interviews gestützt. Vielmehr führten wir zwei voneinander getrennte Untersuchungen durch.

Schüler verfaßten schriftliche Nacherzählungen (13 Schulklassen, verschiedene Schultypen, 277 Versuchspersonen), wobei die Nachrichten in drei Versionen dargeboten wurden: in der Originalformulierung, in einer vereinfachten Umformulierung und in einer Alternativformulierung, die noch einfacher war und zusätzlich von zwei Sprechern (weiblich und männlich abwechselnd) gelesen wurde.

Besonderes Augenmerk legten wir auf die Verkürzung langer Satzgefüge, aber auch auf explizites Hinweisen auf Zusammenhänge oder Widersprüche innerhalb einer Meldung und auf di^ Gliederung des Gesamttextes. Die Zeit blieb dieselbe (fünf Minuten), die Informationsmenge ebenso. Die Interviews (die zweite Untersuchungseinheit) sollten folgende Aspekte einfangen: warum hört man Nachrichten, welche Interessen spielen eine Rolle, welches politisches Verständnis, welche Vorurteile und so weiter? Außerdem konnten derart Schicht, Geschlecht, Alter und Bildung berücksichtigt werden.

Auch der Gebrauch vieler Fremdworte ist schlichtweg schlecht. Wenn irgendwie vermeidbar, sollten Abstrakta und Fremdwörter möglichst wenig vorkommen. Und wenn sie vorkommen, dann nicht — etwa aus stilistischen Erwägungen — gleich in Varianten: etwa „Inflationsrate“ und „Verbraucherpreisindex“. In den Interviews baten wir zum Beispiel die Versuchspersonen, uns diese Worte zu erklären. Kaum einer oder eine erkannte, daß es sich um denselben Inhalt handelte.

Zurück zu den Umformulierun-gen: In der Originalmeldung hieß es: „Die Kämpfe im sogenannten Golfkrieg zwischen den beiden Ländern haben sich in den vergangenen Tagen offenbar wiederum^ verschärft. Der iranische Rundfunk meldet irakische Raketenangriffe auf die Städte Dezful und Andimeshk ... Der Irak wirft hingegen Persien vor, die Stadt Chandri mit Artillerie beschossen und dabei 17 Zivilisten getötet zu haben...“.

Hier fällt sogleich auf, daß einerseits widersprüchliche Meldungen aufeinanderfolgend gelesen werden, ohne darauf hinzuweisen. Details, die sicherlich niemand kennt, werden genannt, und zwar nicht nur in Nebensätzen. Partikeln markieren Ungewißheit und Unsicherheit, obwohl dies auch anders gekennzeichnet werden könnte — denn was heißt in diesem Zusammenhang „offenbar“? Daraus wurde in unserer Umformulierung:

„Im Golfkrieg sind wieder heftige Kämpfe im Gange, wobei aus Iran und Irak widersprüchliche Informationen kommen. Der iranische Rundfunk meldet 40 Tote und 250 Verletzte durch einen irakischen Angriff auf die Städte Dezful und Andimeshk. Der Irak hingegen wirft dem Iran vor, bei einem Angriff auf die Stadt Chandri 17 Zivüisten getötet zu haben.“

Hier ist nun der Widerspruch explizit markiert, Sicheres und Vermutetes ist ebenfalls deutlich zu erkennen. Verständlichkeit heißt also nicht unbedingt, daß der Text länger werden muß. Außerdem sahen wir, daß die andere Präsentation (Mann/Frau; helle/ dunkle Stimme) sehr wichtig für eine erhöhte Aufmerksamkeit waren. Trotzdem waren wir durch das Ergebnis der Nacherzählungen überrascht. Alle Schüler verstanden zwar den besseren Text besser, die gebildeten jedoch wesentlich besser.

Das heißt Sprachverbesserung ohne „flankierende Maßnahmen“ hilft nur denjenigen, die sprachgewandt sind, deren Sprache es ohnehin ist. Wenn man aber nicht einmal weiß, wo der Irak liegt, wo der Nahe Osten liegt, was die „Solidarität in Polen“ ist, dann nützt eine verständlichere Sprache nichts. Hier liegt eine große Aufgabe für unsere Schule und für unsere Bildungsinstitutionen; in vielen Fächern müßte aktuelle Tagespolitik, Wirtschaft, Geographie, Zeitgeschichte integriert werden. Und die Textsorte „Nachrichten“ gehört in den Deutschunterricht hinein.

Der Umgang mit Alltagssprache, mit wichtigen öffentlichen Texten (Formularen, Zeitungen, Gesetzen, Broschüren, Nachrichten) wird noch immer viel zuwenig geübt und zugunsten literarischer Texte vernachlässigt. Die Schule sollte aber junge Menschen auf das Leben vorbereiten, sollte Schüler zur Mündigkeit erziehen, zur Kritikfähigkeit — und dazu gehört auch der richtige Umgang mit Information.

Außerdem könnte gerade in der Schule noch ein wesentlicher Aspekt unserer Untersuchung verbessert werden: Mädchen aus der Unterschicht schnitten am schlechtesten ab — aber nicht etwa deshalb, weil sie dümmer sind, sondern weil „Politik noch immer Männersache“ ist. Auch gegen solche Vorurteile müßte man ins Feld ziehen. Denn bei Nachfragen zeigte sich, daß Frauen mindestens genau soviel (oder wenig) verstanden hatten wie die Männer, sie waren nur weniger selbstbewußt.

Die sprachwissenschaftliche Untersuchung ist nur ein erster Schritt; Schule, Rundfunkanstalt und Praktiker, zusammen mit der Wissenschaft, können zu mehr Verstehen und Verständlichkeit beitragen, mündige Bürger heranziehen und Informiertheit garantieren.

Die Autorin ist Ordinaria am Institut für Angewandte Sprachwissenschaft der Universität Wien.

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