Illustration 5 - © Illustration: Rainer Messerklinger

Einfache Sprache: leicht erklärt

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Laut Artikel 21 der UN-Behindertenrechtskonvention müssen relevante Informationen barrierefrei verfügbar sein. Gerade in Krisenzeiten wird deutlich, wie wichtig es ist, elementarere Texte in verständlicher Sprache aufzubereiten.

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Laut Artikel 21 der UN-Behindertenrechtskonvention müssen relevante Informationen barrierefrei verfügbar sein. Gerade in Krisenzeiten wird deutlich, wie wichtig es ist, elementarere Texte in verständlicher Sprache aufzubereiten.

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„Manche Leute versteht man nicht. Ärzte zum Beispiel. Da wäre es super, wenn sie ‚Leichte Sprache‘ verwenden“, sagt David Galko. Der junge Mann mit Lernschwierigkeiten ist Experte für barrierefreie Information. Gelesen hat er immer schon gerne, erzählt er im Gespräch mit der FURCHE. Zeitungen zum Beispiel, vor allem die Berichte über Sport. Aber auch Bücher. „Ich mag aber keine Kinderbücher. Ich bin erwachsen.“ Seit einigen Jahren arbeitet Galko in der Prüfgruppe bei „Capito“. Die gemeinnützige Organisation übersetzt komplexe, schwierige Texte in Leichte Sprache. Was genau bedeutet das? „‚Einfache‘ und Leichte Sprache werden oft synonym verwende“, erklärt „Capito“- Marketing- und -Projektmanagerin Doris Becker-Machreich. „Einfache Sprache bemüht sich, einfach zu sein. Also kurze Sätze, keine Schachtelsätze, keine Fremdwörter. Für Leichte Sprache wurde ein konkretes und strenges Regelwerk definiert. Ausgebildete Fachleute übersetzen nach einem ganz konkreten Kriterienkatalog in verschiedene Sprachstufen. Nicht nur Formulierungen und die Wortwahl, auch die Gliederung, der Textfluss und die Länge der Sätze sowie das gesamte Layout sind von Bedeutung.“

Ob behördliche Schreiben, Beipacktexte, Produktinformation, Leitbilder oder Verträge: Wenn vom Auftraggeber gewünscht, werden die Texte bei „Capito“ nach der Bearbeitung von Betroffenen aus der Zielgruppe geprüft. „Wir lassen nicht einfach Fremdwörter weg. Unser Anspruch ist es, die Texte ohne Informationsverlust so aufzubereiten, dass sie beispielsweise von Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geringen Deutschkenntnissen verstanden werden“, so Becker-Machreich. „Nur Menschen wie David können uns sagen, was für sie verständlich ist – und was nicht.“ Je nach Sprachniveau müsse man zusätzliche Hintergrundinformationen liefern oder abstrakte Begriffe wie „Nachhaltigkeit“ erklären. Beim gemeinsamen Lesen und Diskutieren werde schnell klar, wo die Stolpersteine liegen, welche Formulierungen nicht nachvollziehbar sind und wo genau nachgebessert werden muss. Deshalb ist die Arbeit der Prüferinnen und Prüfer besonders wichtig.

Visuelle Hilfsmittel zur Verständigung

Leichte bzw. Einfache Sprache hat ihren Ursprung in der US-amerikanischen „People First“-Bewegung. In Europa war Schweden Ende der 1960er Jahre Vorreiter mit einem ersten Projekt für einfache Sprachvermittlung. In Österreich setzt sich zum Beispiel das Selbstvertretungs-Zentrum aktiv für die Interessen von Menschen mit Lernschwierigkeiten und barrierefreie Kommunikation ein. Iris Kopera gehört zum Team. „Schwere Sprache grenzt aus. Mich ärgert es, wenn man sich keine Mühe gibt, etwas einfach zu schreiben. Wir haben alle das Recht, informiert zu sein und mitreden zu können. Das Problem ist, dass oft so gekürzt wird, dass die Information weg ist. Auch Menschen mit einer stärkeren Behinderung sollen etwas zu lesen haben“, sagt sie und macht deutlich: Ja, nicht nur hohe Gehsteigkanten oder fehlende Blindenleitsysteme, auch Sprache kann eine Barriere sein! Zuletzt erhob die Statistik Austria 2013 Daten zur Lesekompetenz der Österreicherinnen und Österreicher. Demnach haben 17,1 Prozent der 16- bis 65-Jährigen in Österreich, also fast eine Million Menschen, Leseschwierigkeiten und sind dadurch mit möglichen Benachteiligungen in Beruf und Alltag konfrontiert.

„Bei der Frage, wer Leichte bzw. Einfache Sprache eigentlich braucht, würde ich nicht viel auf solche Zahlen geben“, sagt Anna Schachner, Bildungswissenschafterin und Soziologin bei der Kultur- und Sozialforschungseinrichtung „Queraum“. „Wenn schwierige Texte wie Gesetzestexte barrierefrei verfügbar sind, profitieren viel mehr Menschen davon, als die Statistik ausweist“, stellt sie klar. Etwa ältere Menschen, die sich schnell informieren möchten, Menschen mit niedrigem Bildungsniveau oder solche mit Seh- oder Hörbeeinträchtigung. Informationen sollten demnach so gestaltet sein, dass sie von möglichst vielen Personen eindeutig, klar und rasch aufgefasst werden können. Denn das Nichtverstehen von Informationen kann gravierende, nicht zuletzt gesundheitsgefährdende Folgen haben. Was etwa, wenn Informationen über Krankheiten, Medikamente oder Therapiemöglichkeiten nicht verstanden und daher falsch beurteilt werden? „Wir sprechen zwar seit einem Jahr von Corona. Trotzdem kann man nicht automatisch voraussetzen, dass alle Menschen über das Virus Bescheid wissen“, mahnt Doris Becker-Machreich.

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