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Die Jugend: Ein schöner Vogel?

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„Schöner Vogel Jugend“- ein Titel, der an Leichtigkeit, Lebensfreude, Freiheit denken läßt. Erlebt sich die Jugend heute so? Ist das Grundstimmung junger Leute in Österreich?

Die Antwort der Autoren der in diesem rund 700 Seiten umfassenden Buch zusammengestellten Studien ist diesbezüglich ziemlich eindeutig: Nein. Und Herausgeber Herbert Janig stellt einleitend bezüglich des Titels auch klar: Man habe nicht so sehr die Realität als vielmehr die Sehnsucht der Jugend und die Klischeevorstellungen der Erwachsenen kennzeichnen wollen.

Kann man aber überhaupt von der Jugend sprechen? Ist ihr Erscheinungsbild nicht allzu vielfältig? Doch. Die Autoren tragen diesem Umstand auch Rechnung, indem die besondere Situation . der Gastarbeiterjugend, der Jungen im städtischen und ländlichen Raum, der nationalen Minderhei-

ten, der männlichen und weiblichen sowie der arbeitenden und studierenden eigens dargestellt wird.

Uber alle Besonderheiten hinweg gibt es aber einen breiten Strom gemeinsam prägender Einflüsse, über die ich im folgenden berichten möchte.

Von welchem Personenkreis handelt also dieses Buch? Grob gesprochen sind es jene 1,237.000 Personen, die derzeit zwischen 15 und 24 Jahren alt sind. Mit 16,5 Prozent ist der Anteil der Jugendlichen hierzulande im europäischen Vergleich relativ hoch. Die Zahl der Jugendlichen nimmt jedoch rasch ab. Bis zum Jahr 2000 wird ihr Anteil auf 11,5 Prozent der Gesamtbevölkerung absinken.

Innerhalb Österreichs ist ein deutliches West-Ost-Gefälle festzustellen: viel Jugend im Westen, wenig im Osten. Und: viel Jugend im ländlichen Raum, denn 45 Prozent der Jungen leben in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern.

Was kennzeichnet nun diese Jugend der achtziger Jahre? Jedenfalls eines: Sie ist die erste Generation, die in einem Klima materiellen Wohlstands, ja sogar des Überflusses aufgewachsen ist. Man merkt es schon am Standard ihrer persönlichen Ausrüstung: Kassettenrecorder (76 Prozent), Fahrrad (72 Prozent), Schiausrüstung (64 Prozent) gehören seit längerem zum Standardrepertoire.

Von der Wirtschaft wurde die Jugend längst als interessanter Markt entdeckt. Die Werbung suggeriert dem Jugendlichen, Konsum mache glücklich und Lebensqualität hänge direkt mit Güterbesitz zusammen.

Und so manche Erfahrung scheint dies zu bestätigender ein Auto hat, kommt besser bei Mädchen an; wenn Freunde ins Lokal gehen, muß man sich das auch leisten können, will man bei ihnen sein.’..

Und so stehen viele Jugendliche mit großen Konsumwünschen, aber nur einem relativ schmalen eigenen Budget da. Denn mehr als die Hälfte der Jugendlichen verfügt im Monat über weniger als 2.000, ein Drittel sogar über weniger als 500 Schilling. Das ergibt viel „Frust“, wird als unerträgliche Abhängigkeit von den „kleinlichen“ Eltern erlebt.

Und diese Abhängigkeit dauert immer länger, rückt doch die Berufswelt für viele in weite Ferne als Endpunkt endloser Schul- und Studienjahre. Je komplexer die Berufswelt, umso diffuser wird die Vorstellung der jungen Menschen von dem, was sie einmal beruflich tun werden. Das ist Quelle tiefer Verunsicherung - auch bei der Wahl des Ausbildungsweges.

Man beginnt ihn ohne klares Ziel, versucht eben einmal die Matura zu machen. Dann wird man schon sehen. Aber auch dann bleibt die Vorstellung vage, fallen die Entscheidungen „ad hoc“.

Jedenfalls hat die Schule das Image, Vermittlerin von Lebenschancen zu sein. Und sie kostet die Schüler viel Energie: Wendet der Hauptschüler schon 37 bis 44 Stunden wöchentlich für das Lernen auf, so beträgt der entsprechende Zeitaufwand in der Oberstufe allgemeinbildender Schulen bis zu 55, in berufsbildenden sogar bis zu 65 Stunden!

Für viele sind die Erfolgserlebnisse nicht gerade überwältigend: Zwischen 35 und 65 Prozent der Schüler kommen mit „Genügend“ oder „Nicht genügend“ in den Hauptfächern nach Hause, was die Leidenschaft für die Schule nicht unbedingt fördert.

Lernen wird auch dadurch zum eher lustlosen Unterfangen, daß viele (mangels klarer Berufsvorstellungen) nicht erkennen, inwiefern das Gelernte für sie wichtig ist. Und so müssen mindestens 20 Prozent der Oberstufenschüler mittels Nachhilfe zu ihrem Ziel, der Matura, gehievt werden.

Relativ neu ist auch der Umstand, daß die Familie für die Lebensvorbereitung an Bedeutung verliert: Wenige oder keine Ge schwister, zwei berufstätige Eltern, mangelnde Kontakte zur Nachbarschaft prägen ein Klima der Kontaktarmut, erzeugen ein Beziehungs- und Liebesdefizit.

Darüber hinaus wird das Leben immer mehr segmentiert. Alles Wichtige spielt sich außerhäuslich ab, hat wenig Bezug zum Familienleben und läuft nach anderen Spielregeln ab. Die Familie wird auf die Rolle der emotionalen Versorgung reduziert.

Aus dieser Mangelerfahrung heraus konzentrieren viele Jugendliche ihre Hoffnungen auf die Freizeit, das außer Haus verbrachte Wochenende. Hier könne man endlich tun, was man wolle, erwarten viele. Kino, Disco und Sport rangieren an der Spitze der außerhäuslichen Aktivitäten. Dort trifft man zwar viele Leute — aber es fehlt letztlich doch an ernsthafter Begegnung. Viele Jugendliche sind auf der Suche nach Gesprächen, suchen Geborgenheit, schrecken aber doch vor einer echten Bindung zurück, wollen „Freiheit“ bewahren. Sexuelle Beziehungen werden eingegangen, der Entschluß zur Ehe aber aufgeschoben.

Wer die Freizeit nicht außer Haus verbringt, konsumiert zu Hause Medien, womit wir bei einem weiteren Merkmal der Jugend unserer Tage angelangt sind: Sie ist eine „Medien-Ju- gend“. In 97 Prozent der österreichischen Haushalte gibt es einen Fernseher, vor dem der durchschnittliche Schüler täglich 75 Minuten verbringt. Weitere 40 Minuten hört er Platten oder Kassetten. Das Radio läuft beinahe dauernd als Geräuschkulisse-vor allem 0 3.

Dementsprechend sind die Jungen auch der Werbung ausgesetzt, die in Österreich 1987 rund 30 Milliarden Schilling umgesetzt haben soll — nicht umsonst, wie man an der Jugend merkt. Sie stürzt sich vielfach auf das, was gerade als „in“ propagiert wird. Es wird für sie „zum Symbol und zur Garantie für Zugehörigkeit, für ihre Einbindung in die Gesellschaft“.

Und so entstand in den letzten Jahrzehnten ein Leitbild der Jugendlichkeit: Fitness, Be-

schwingtheit, modisch sein, freudig konsumieren als Lebensmodell, das auch die Erwachsenen zunehmend in seinen Bann gezogen hat.

Wie steht aber diese Jugend zum Bereich der Institutionen der Ordnungen in einer Zeit, die so stark die Bedürfnisse des einzelnen betont? Was die Politik anbelangt, so dominiert seit langem eine große Skepsis. Schon 1984 war das Image der Politiker miserabel

Bereits 1986 waren 20 Prozent der Jungen bereit, den politischen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. 1989 werden wohl auch die hartnäckigsten Politiker diese Botschaft vernommen haben.

Kritisch ist auch die Einstellung gegenüber der Kirche - obwohl immer noch 92 Prozent der Jugendlichen getauft sind. Allerdings nehmen nur mehr 20 Prozent der Jungen am Sonntagsgottesdienst teil. Nur ein kleiner Anteil erlebt in der Kirche Geborgenheit, während eine Mehrheit die Kirche vor allem als Institution zur Abhaltung religiöser Zeremonien betrachtet.

Obwohl apathischer Agnostizismus immer noch die Einstellung - auch der Jugend — zu Sinnfragen prägt, spielt Religion doch wieder eine größere Rolle. Die Suche nach transzendenten Erfahrungen gewinnt an Bedeutung.

Insgesamt entsteht somit das Bild einer Generation, die in einer unüberschaubaren Zeit mit vielen Verlockungen nur schwer ihren Weg findet. Kein „schöner Vogel“ — leider.

SCHONER VOGEL JUGEND. Von Herbert Janig. Peter Hexel, Kurt Luger, Bernhard Rathmayer (Hrsg). Universitätsverlag Rudolf Trauner, Linz 1988,691 Seiten.

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