Jugend

Jugendliche in der Krise: Gestern Freiheit, heute Corona

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Jugendliche sollen in der Pandemie Verantwortung übernehmen, der sie noch nicht gewachsen sind. Über das schwindende Privileg der Unvernunft.

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Jugendliche sollen in der Pandemie Verantwortung übernehmen, der sie noch nicht gewachsen sind. Über das schwindende Privileg der Unvernunft.

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Jugendliche sind derzeit ein beliebter Forschungsgegenstand. Da wird von der „Corona-Jugend“ gesprochen, von der „verlorenen Generation“ und von der „jugendlichen Unvernunft“. Quer durch Europa und darüber hinaus werden Studien aus dem Boden gestampft und zitiert, was jungen Menschen fehlt. Da scheint es nur logisch, dass vom Langenscheidt-Verlag das Wort „lost“ unlängst zum Jugendwort des Jahres auserkoren wurde. „Eine Person, die lost ist, ist ahnungslos, verloren oder hat einfach keinen Plan, was eigentlich gerade abgeht“, teilte der Verlag in einer Aussendung mit.

Da sind Berfin (14), Lisa (16) und Michelle (23). Sie kennen einander nicht, aber sie haben etwas gemeinsam: Sie absolvieren ihre Ausbildung inmitten einer weltweiten Pandemie. Und nach einem verlorenen Sommersemester, verlorenen Ferien und verloren gegangenen Freizeitaktivitäten finden sie sich jetzt im zweiten Lockdown wieder. Alle drei haben Herausforderungen zu meistern, die sie oft überfordern. So bringt der Umstieg von der Unter- in die Oberstufe für Berfin eine völlig andere Situation mit sich, als das im Frühjahr der Fall war. Es gilt, sich an eine neue Klasse zu gewöhnen, an ungewohnte Unterrichtsmethoden und vor allem ans DistanceLearning. Alles ist noch ungewohnt, sagt sie. Als am schwierigsten empfindet sie, dass sie derzeit ihren Sport – sie spielt Fußball – nicht ausüben kann. „Mein Leben fühlt sich derzeit sehr eingeschränkt an.“

Lisa indes macht gerade ihren Führerschein. Sie wartet auf ihre Fahrprüfung, die wegen des Lockdowns verschoben wurde. Wie so vieles, etwa der Präsenzunterricht in der Schule. Sie besucht eine landwirtschaftliche Fachschule. An den Stoff aus dem Sommersemester anzuknüpfen war vor dem Lockdown schon nicht einfach. Dann musste sie als K1-Person auch noch zehn Tage in Quarantäne ... Und dann ist da noch Michelle. Sie war vor der Krise fünf Monate in Asien. Die Umstellung von völliger Freiheit zu großer Eingeschränktheit war hart, sagt sie. Seit ihrer Rückkehr studiert sie im Master Allgemeine Bildungswissenschaften. Ihre Studienkollegen hat sie, wenn überhaupt, bisher nur über Zoom oder WhatsApp kennen gelernt. Ihren Nebenjob in der Gastronomie kann sie Lockdown-bedingt nicht ausüben, was ihr wiederum Sorgen bereitet. „Die Krise hat mir das Gefühl der Sicherheit über ein selbstbestimmtes Leben genommen“, sagt sie.

Übergangslösungen statt Ziele

Dieses fehlende Gefühl der Sicherheit führt Ulrike Zartler, Soziologin der Uni Wien, darauf zurück, dass Jugendlichen derzeit viel Verantwortung aufgebürdet wird – etwas, das unter normalen Umständen nicht der Fall wäre. Die Jugend als das Alter der Unvernunft habe außerhalb der Krise Privilegien, die ihr jetzt nicht zugestanden werden können. Jugendliche seien massiv von der Krise betroffen, würden ihrer Möglichkeiten und Erfahrungen beraubt. Das Gefühl, sich nicht mehr verlassen zu können, aber auch ein „Gefährder“ zu sein, ist zusätzlich irrsinnig belastend. Dazu wird in Deutschland an der Universität Hildesheim aktuell eine qualitative Studie durchgeführt, in der mittels Interviews erhoben wird, was junge Menschen derzeit beschäftigt.

Unsicherheit ist auch ein großes Thema, vor allem wenn es darum geht, „etwas zu verpassen“, so Studienautor Michael Corsten. Die Gesellschaft suggeriere der Jugend, etwas erleben zu müssen. Dass das derzeit aber nicht möglich ist, könne sich schnell auch auf die Qualität des Selbstwertgefühles auswirken. Besonders beleuchtet werden in der Studie aber die Zukunftsperspektiven junger Menschen ab 18 Jahren. Michael Corsten nennt als eine der ersten Erkenntnisse, dass die gegenwärtige Situation als wirklichkeitsfremd und seltsam wahrgenommen werde.

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