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Bis daß der Tod euch scheidet ...

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Die immer komplizierter werdenden Strukturen unserer Zeit lassen gleichzeitig den Wunsch nach einer glücklichen Beziehung sehr stark in den Vordergrund treten - ist sie doch ein Garant fiir Stabilität.

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Die immer komplizierter werdenden Strukturen unserer Zeit lassen gleichzeitig den Wunsch nach einer glücklichen Beziehung sehr stark in den Vordergrund treten - ist sie doch ein Garant fiir Stabilität.

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Es ist erwiesen, daß die Lebens-Zufriedenheit der meisten Menschen stark davon abhängt, inwieweit ihnen die Gestaltung ihrer „kleinen Lebenswelt” (nach Paul Zu-lehner, Theologe) auf eine für sie zufriedenstellende Weise gelingt. Das Gelingen von Beziehungen hat dabei einen konstant hohen Wert. Beziehung ist ein bevorzugter Heimat-Ort, weil in ihr die zwei großen „Lebensheiligtümer” vorkommen:

■ Der Wunsch nach Geborgenheit, offenbar auch als Gegenpol zu den hohen Mobilitätsanforderungen der modernen Gesellschaft und

■ der Wunsch nach Wachsen, Entfaltung und Selbstentwicklung in Freiheit.

Diese „kleine Lebenswelt” wird in sehr vielfältigen Formen des Zusammenlebens verwirklicht. Für das Gelingen ist vor allem die innere Qualität einer Beziehung entscheidend, ihr emotionaler Gehalt, ihre Verläßlichkeit und Stabilität.

Trotz oder auch wegen der hohen Wertschätzung und Erwartung, die in Beziehungen gesetzt werden, gelingt das Zusammenleben in diesen „kleinen Lebenswelten” nicht immer. Viele Beziehungen scheitern auch am Unvermögen der Beteiligten oder durch Belastungen, Druck und Trends des gesellschaftlichen Umfelds. Die Zahl der Ehescheidungen allein sagt nicht aus, was es sonst noch an Leid gibt, das Menschen einander zufügen.

Zur Frage, warum heute so viele Beziehungen scheitern, holte die furche einige Stellungnahmen ein:

Barbara Cot emiove-Calergi, Journalistin: Es ist sicher richtig, daß junge Menschen heute weniger darauf trainiert sind, etwas durchzuhalten, auch wenn es schwierig ist. Früher sind viele Menschen in einem Beruf oder in einer Ehe geblieben, auch wenn sie unglücklich waren.

Ein Grund, warum Beziehungen heute leichter und häufiger auseinandergehen ist sicher der, daß das - zum

Unterschied zu früher - eben möglich ist. Würde man heute eine Umfrage bei Frauen im Jahre 1900 machen, wie viele aus ihrer unglücklichen Ehe ausbrechen wollen, so würde sicher eine große Reihe von „Ja-Stimmen” zusammenkommen. Heute ist es überhaupt kein Problem mehr, sich als Frau von seinem Mann zu trennen und alleine oder mit jemand anderem zu leben. Man sollte alte Zeiten keinesfalls allzu sehr verklären.

Früher hat die Menschen vielleicht nicht so sehr die innere Überzeugung, sondern eher die Notwendigkeit zusammengehalten. Man mußte sich auch nicht innig lieben, wenn man geheiratet hat, viele Ehen wurden auch arrangiert. So war das halt. Wenn die große Erwartung einer immer andauernden Liebe hinter einer Beziehung steht, ist das sicher auch schwerer durchzuhalten, als wenn die Ehe quasi ein Beruf ist, den man hat. Eine Familie mit mehreren Kindern, wie es früher die Norm war, stellte eben eine Lebensaufgabe dar.

Wenn man, wie heute, nur ein Kind hat, und zusätzlich die Möglichkeit der beruflichen Unabhängigkeit, so fragt man schon eher: „Warum soll ich mein ganzes Leben lang mit einem Mann unglücklich zusammenleben?”

Es gibt auch einen „Gegentrend” junger Menschen, die sehr bewußt und gezielt eine Beziehung eingehen, und sie mit großem Ernst leben, aber quasi als „Minderheitenprogramm”. Die christlich-ewige Ehe ist in unseren Tagen sicher ein Minderheiten-programm, denn die Kirche wirkt viel weniger prägend auf die Gesetze ein als früher. Das ist ganz offensichtlich. Es wäre sehr wirksam, wenn dieses

Minderheitenprogramm eindrucksvoll und glaubwürdig gelebt würde, sodaß klar wird, daß das auch eine Möglichkeit ist, und gar nicht die schlechteste.

Verdammen würde ich aber die „nicht-ewigen Beziehungen” nicht, ich sehe darin auch keine Konsumhaltung, denn Verantwortung und Liebe spielen auch hier eine Rolle. Es ist heute einfach ein anderer Stil.

Gerlinde Ortner, Psychologin mit jahrelanger tlierapleerfaiirung im

Bereich Beziehungen: Das was heute so großartig mit „Beziehungsarbeit” tituliert wird, wie es zum Beispiel die jahrelange Arbeit von Müttern ist, wird in keiner Weise honoriert. Es geht heute nur noch um die Pflege der Familienangehörigen, um Kochen, um Aufgabenkontrolle für die Schule. Die Kommunikation ist verlorengegangen. So erleben die Kinder schon zu Hause, daß sie sehr wohl zum Beiten, Tennis oder zur Nachhilfe gebracht werden, daß aber keine Zeit mehr für konkrete persönliche Wertschätzung im Gespräch da ist. Mädchen definieren sich nur noch über das Äußerliche, menschliche Werte zählen nicht. Bei Burschen ist der „coole” Typ heute das Modell, dem nachgeeifert wird. Ich schreibe auch für eine Jugendzeitschrift. Tagtäglich bekomme ich Zuschriften von 12 bis 16jährigen Jugendlichen, die ihre Einsamkeit, ihr Alleingelassensein schildern. Wo die Mutter ist? Sie ist überfordert oder frustriert. Wie sollen diese jungen Menschen lernen, was Beziehung heißt?

Dazu kommt der Trend unserer Tage nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung. Verzicht ist schon lange nicht mehr mit Ehrgefühl gekoppelt. Wir leben eben in einer „Wegwerfgesellschaft”, man muß sich nichts mehr erkämpfen, es fehlen Ausdauer und Einsatz. Kinder erleben bei ihren Eltern, daß ein Sich-Einfühlen in den anderen nicht vorkommt, daß Konflikte nicht mehr ausgetragen werden und es daher auch kaum zu Versöhnungen kommt. Opfer bringen bedeutet Image-Verlust. Der dynamische Power-Mensch darf ja nicht nachgeben. Hat ein Produkt Fehler, so wird es weggeworfen. Das heißt für den sozialen Bereich: Die Auseinandersetzung fehlt, es bleibt wenig Zeit für Freundschaften, man hat zu viel zu lernen, am Computer zu tun, Freizeitaktivitäten müssen erfüllt werden.

Junge Menschen erlernen auch rasch ein gewisses Vermeidungsverhalten. Wenn der Lehrer oder die Schule nicht paßt, so wird eben gewechselt. Diese Dinge werden einem heute sehr leicht gemacht.

Ebenso gut erlernen Jugendliche die möglichst rasche Bedürfnisbefriedigung, Sättigung und Langeweile sind die Folge. Das Grundmuster, das in der Bedürfnisbefriedigung erlernt wird, bestimmt später auch das Beziehungsmuster.

Die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit ist aber vorhanden. Es fehlt heute die Zeit, Dinge auch zu verinnerlichen, sich zu sensibilisieren.

Elke Sengmüller, Paar-Therapeutin und Psychologin in Salzburg: Beziehungen entsprechen immer ihrer Zeit, sie passen sich an und sind gleichzeitig Spiegel des sogenannten Zeitgeistes. Beziehungen werden heute wahrscheinlich schneller eingegangen, sie zerbrechen meist auch schneller, wobei Sexualität nicht mehr die Funktion der Bindung als viel mehr der Lustbefriedigung hat. Vor allem für Frauen ist es heute leichter, auf sich allein gestellt zu leben, sie verharren deshalb nicht mehr in schwierigen Beziehungen. Diese „Individualisierung” hat auch den Vorteil, daß die Menschen heute ihr persönliches

Glück nicht mehr ausschließlich von einem Partner abhängig machen. Sie leben selbstbestimmter, mit dem Nachteil, daß sie dadurch oft auch einsamer sind. Die Fürsorge und Verantwortung füreinander ist geringer geworden.

Für Paare haben sich auch die gemeinsamen Ziele verändert: religiöse Werte, Geborgenheit in der Familie, das Aufziehen von Kindern, haben nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher. Mehr Bedeutung gewonnen haben heute gemeinsame „Aktionen” im Freundeskreis, Sport, Reisen, Urlaub, Ausgehen, also Freizeit1 gestaltung.

Ein großes gemeinsames Ziel, wie es etwa eine Firma sein kann, kann Paare stark aneinander binden. Auch ein unerfüllter Kinderwunsch bindet viele Paare, auch wenn der Wunsch nach Kindern allgemein heute nicht mehr vorrangig ist.

Junge Menschen legen großen Wert auf gemeinsame Freizeitaktivitäten, auf Freundschaft und Ehrlichkeit. Sie suchen aber auch sehr das gute Gespräch, die Diskussion. Ich bezeichne das als „Frühstücks- und Teetrinkkultur.”

Beziehungen zwischen Mensehen waren nie einfach, denn Menschen kommen häufig aus sehr verschiedenen Herkunftsfamilien, haben unterschiedliche Lerngeschichten. Sie gehen auch mit differenzierten Wünschen und Bedürfnissen in eine Beziehung hinein, haben vielfältige Werte, Visionen und Hoffnungen. Beziehung ist imtner Herausforderung. Ich sehe für die heutige Zeit neue Möglichkeiten, die zum Gelingen von Beziehungen beitragen können. Ich denke, daß sich die derzeit stattfindende Veränderung der wirtschaftlichen Gegebenheiten auch auf die Beziehungsstrukturen auswirkt. Die Gemeinschaften werden wieder enger und man rückt einfach näher zusammen.

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